- In drei TV-Triellen gewinnt aus Zuschauersicht der SPD-Kandidat Olaf Scholz.
- Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock kann es zwar in Sachen Sympathie und Glaubwürdigkeit mit ihm aufnehmen, in der Kategorie Kompetenz erhält sie aber eine Klatsche.
- Geschlechterforscherin Claudia Bruns und Politikwissenschaftler Uwe Jun haben unterschiedliche Erklärungen dafür.
Am Sonntag ist Bundestagswahl. In drei Triellen trafen die Kanzlerkandidaten
In allen Diskussionsrunden war der Trend gleich: Die Zuschauerinnen und Zuschauer bewerteten stets den SPD-Kandidaten Scholz als am überzeugendsten. Bei der letzten TV-Debatte sahen 42 Prozent den 63-Jährigen ganz vorn.
Kompetenz-Klatsche für Baerbock
Bei den vorherigen TV-Debatten wurden die Zuschauer im Nachgang von "Forsa" außerdem nach Details wie Sympathie, Kompetenz oder Glaubwürdigkeit befragt.
Hier fiel auf: Grünen-Kandidatin
Zuschauer vs. Faktenchecks
Woran liegt es, dass Baerbock es in Sachen Sympathie, Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit mit Konkurrent Scholz aufnehmen kann, ihr aber gleichzeitig so wenig Kompetenz zugeschrieben wird?
Immerhin legen die objektiven Faktenchecks etwas anderes nahe: So kam Baerbock im Vergleich zu Scholz und Laschet beispielsweise beim "Spiegel"-Faktencheck im Anschluss an das zweite Triell auf die wenigsten irreführenden, übertriebenen oder falschen Aussagen.
Männlich konnotierte Eigenschaft
Auch Politikwissenschaftler Thomas König zeigte sich nach dem ersten Triell im "Deutschlandfunk" davon überzeugt, dass Baerbock inhaltlich am meisten gepunktet hatte. Sympathisch, aber nicht kompetent – woran liegt das?
Geschlechterforscherin Claudia Bruns hebt hervor, dass alte Geschlechterklischees dafür mit verantwortlich sind. Politische wie sachliche Kompetenz werde nach wie vor eher Männern zugeschrieben.
Schlechteres Zeugnis für Frauen
"Der Beginn der bürgerlichen Gesellschaft ist von Ausschlüssen gegenüber Frauen und rassierten Anderen geprägt. Etwas davon schwingt auch heute noch mit", sagt Bruns und erinnert an die Hinrichtung der Frauenrechtlerin Olympe de Gouge Ende des 18. Jahrhunderts und an romantische Ideale von bescheidenen, reinen und zurückhaltenden Frauen.
Wissenschaftliche Studien zeigten auch heute noch, dass Frauen nach wie vor anders wahrgenommen würden als Männer, wenn es um Kompetenz und Fähigkeiten in der Arbeitswelt gehe. "Zum Beispiel werden Frauen bei Bewerbungsgesprächen bei gleicher Qualifikation eine ganze Note schlechter eingestuft als männliche Mitbewerber. Das trifft nun auch Baerbock", erklärt Bruns.
Auch Merkel war einst "Kohls Mädchen"
Auch
Politikwissenschaftler Uwe Jun hingegen hält hingegen andere Faktoren als das Geschlecht für entscheidender: Baerbock habe durch Ungeschicklichkeiten nach ihrer Benennung zur Kanzlerkandidatin selbst zu der Bewertung beigetragen. "Zu nennen wäre auch ihre im Vergleich geringe politische Erfahrung", ergänzt der Experte.
Augenmerk für Image-Aspekt
Die Klatsche für Baerbock in dieser Kategorie liege aber nicht nur an ihr selbst: "Scholz schenkt dem Image-Aspekt der Kompetenz durch sein Auftreten ein großes Augenmerk", urteilt Jun.
Einen Faktor "Kompetenz" hält er allerdings für zu reduziert. "Für die Kompetenzzuschreibung durch die Wähler müsste man auch politische Gewandtheit und Erfahrung betrachten", sagt er. Auch, wenn Kompetenz mit Sachlichkeit verbunden werde, seien die Zuschreibungen gegenüber dem Auftreten von Baerbock, ihrem Handeln, und ihrem Image stets subjektiv.
Gestoßen an Gläserner Decke
"Da lässt sich Rationales und Emotionales nicht völlig trennen", erläutert Jun. Kein Wunder also, dass die Parteianhänger ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin stets mit Abstand nach vorne wählten.
Bruns aber erinnert daran: "Weltweit haben nach wie vor nur rund 10 Prozent der Länder eine weibliche Regierungschefin" Die Hälfte stamme aus Europa, mit zehn Regierungs- und Staatschefinnen seien es so viele wie nie zuvor. "Seit über 20 Jahren aber stagniert die politische Frauenrepräsentanz jenseits der Spitzenpositionen auf allen Ebenen bei etwa einem Drittel - der sogenannten gläsernen Decke", sagt Bruns.
Angst vor Unbeständigkeit
Am erfolgreichsten seien dabei noch konservative Frauen. "Sie mildern radikale Aussagen eher ab und machen die Parteien dadurch anschlussfähiger", erklärt Bruns.
Mit Baerbock als Spitzenfigur in einer mitte-links orientierten Partei ließen sich jedoch vermeintlich kaum neue Wählerschichten erschließen. "Vor allem, wenn Frauen auch offen feministische Positionen vertreten, lösen sie eher Angst vor Unbeständigkeit, Veränderung und männlicher Entmachtung aus", analysiert die Expertin.
Ungeschriebene Gesetze
Für Männer und Frauen würden verschiedene ungeschriebene Gesetze dessen gelten, was "erlaubt" sei, ohne bestimmte Geschlechternormen zu verletzen.
Baerbock befinde sich deshalb in einer Zwickmühle: Eine zu bestimmt auftretende, machtbeanspruchende Frau verliere in den Augen der Öffentlichkeit oft ihre weiblichen Qualitäten. "Zugleich wird von Spitzenpolitikerinnen genau dies verlangt", erinnert Bruns.
Wo Weiblichkeit nützt
Dennoch: Dass Baerbock eine Frau ist, muss aus Sicht von Bruns nicht nur Negatives für ihre Kandidatur bedeuten: "Frauen kommen oft an die Macht, wenn es eine systemische Krise zu bewältigen gibt", erinnert die Expertin. Dann verkörperten sie – nicht zuletzt auch durch ihr Geschlecht – am glaubwürdigsten einen Bruch mit der Vergangenheit.
"Diese könnte Baerbock im Moment zuspielen", sagt Bruns. Ein Teil ihres Erfolgs gehe auf die derzeitige Krisensituation zurück. "Es ist die letzte Legislaturperiode, in der die Klimakrise noch in gewissem Umfang abgefangen werden kann", erinnert Bruns.
Verwendete Quellen:
- Spiegel: "Der Faktencheck – wer hat wo geschummelt?" 30.08.2021
- RTL: "Sympathie, Glaubwürdigkeit, Kompetenz: So punkten die Kandidaten beim Triell" 30.08.2021
- Deutschlandfunk: „Baerbock hat am meisten gepunktet" 30.08.2021
- N-tv: "Scholz am überzeugendsten". 12.09.2021
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