Die AfD ist bei den Landtagswahlen in Sachsen auf Platz zwei gelandet – trotzdem ist ihr Abschneiden ein „Alarmsignal“ an die anderen Parteien. Ein gestärkter CDU-Ministerpräsident könnte eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen schmieden und muss sich besonders dem ländlichen Raum zuwenden: Was wir aus der Sachsen-Wahl lernen können.

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1. Das AfD-Ergebnis muss den anderen Parteien – mal wieder – zu denken geben

Es war ein leichtes Aufatmen in Sachsen zu vernehmen, als die AfD bei den Landtagswahlen „nur“ zweitstärkste Kraft wurde. Doch Dr. Hendrik Träger, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig, sieht im Ergebnis der Rechtspopulisten trotzdem ein „Alarmsignal“ für die anderen Parteien. 27,5 Prozent hat die AfD erreicht. „Es gab abgesehen von der CDU bisher selten eine Partei, die es bei Landtagswahlen in Sachsen je auf mehr als 20 Prozent geschafft hätte. Das ist bisher nur der Linken gelungen“, erklärt Träger im Gespräch mit unserer Redaktion.

Der Erfolg der AfD hat nach Trägers Einschätzung mehrere Gründe: Zum Teil sei es eine Protestwahl gewesen, zum Teil würden sich ihre Anhänger wirklich mit Personen und Programm identifizieren. Wähler-Beschimpfung hält er jetzt auf jeden Fall für den falschen Weg: „Viele AfD-Wähler könnten von den anderen Parteien zurückgewonnen werden. Dafür braucht es aber ein überzeugendes Gegenangebot.“

2. Michael Kretschmer könnte in der CDU eine wichtigere Rolle spielen

Als Michael Kretschmer 2017 Sachsens Ministerpräsident wurde, kam er aus einer eher schwachen Position: Bei der Bundestagswahl hatte er sein Direktmandat an die AfD verloren. Inzwischen hat er sich im Bundesland aber großes Ansehen erarbeitet: Dem Meinungsforschungsinstitut infratest dimap zufolge sind 71 Prozent seiner Landsleute mit seiner politischen Arbeit zufrieden – im Vergleich mit anderen Ministerpräsidenten ein guter Wert. Zugute kam ihm aber auch, dass sich Wähler, die einen Sieg der AfD verhindern wollten, am ehesten hinter der CDU als größter Regierungspartei versammelt haben – so wie es in Brandenburg bei der SPD passiert ist.

Mit 32,1 Prozent hat die CDU sich zumindest klar den ersten Platz gesichert. „Das Ergebnis ist zu einem großen Teil dem Ministerpräsidenten zu verdanken“, sagt Hendrik Träger. „Er hat damit auch der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer das politische Überleben zunächst gesichert.“ Die angeschlagene Parteichefin wird den sächsischen Ministerpräsidenten möglicherweise nun stärker einbinden. Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete Kretschmer am Tag nach der Wahl sogar als „zweitwichtigsten Mann“ für AKK – gleich hinter ihrem Ehemann.

3. Kenia-Koalition in Dresden ist am wahrscheinlichsten

Eine Koalition aus CDU und AfD hätte im Landtag in Dresden eine deutliche Mehrheit – Ministerpräsident Michael Kretschmer hat ein solches Bündnis im Wahlkampf aber klar ausgeschlossen. „Er kann dieses Versprechen jetzt nicht brechen, ohne erhebliche Glaubwürdigkeitsverluste zu erleiden“, sagt Politikwissenschaftler Träger. Daher bleibt als Regierungskonstellation eigentlich nur eine Kenia-Koalition aus CDU, Grünen und SPD – benannt nach den Farben der kenianischen Flagge.

Einfach wäre auch die nicht: „In Sachsen sind langwierige Koalitionsverhandlungen zu erwarten, weil Dreier-Bündnisse schwieriger zustande zu bringen sind als Zweier-Bündnisse“, sagt Träger. „Zudem wird es schwierig, den eher konservativen CDU-Landesverband mit den Grünen an einen Tisch zu bringen.“

4. Der ländliche Raum braucht mehr Aufmerksamkeit

Eine Kenia-Koalition wäre Träger zufolge eine „Großstadt-Koalition“: Die Grünen wurden vor allem dort gewählt – in Dresden und Leipzig konnten sie sogar drei Direktmandate erringen. „Die Parteien müssten stark aufpassen, dass die Wähler in den ländlichen Regionen nicht den Eindruck haben, dass ihre Interessen nicht beachtet werden“, meint Hendrik Träger.

Die Wahl zeigt, dass gerade in den ländlichen Gegenden viele Bürger mit der Politik unzufrieden sind. „Die AfD ist vor allem im Osten Sachsens stark, der strukturschwächer ist“, erklärt der Politikwissenschaftler. Die CDU habe hier in den vergangenen Jahren Fehler bei Infrastruktur und innerer Sicherheit gemacht: „Wenn man Polizeistationen und Schulen im ländlichen Raum schließt, überzeugt das die Wähler dort nicht.“

5. Die Linke hat ein Wahrnehmungsproblem

Für linke Parteien war Sachsen immer schon ein schwieriges Pflaster. Nur die Grünen konnten bei dieser Wahl feiern – auch wenn sie nicht ganz so gut abgeschnitten haben, wie es Umfragen vermuten ließen. Eine große Verliererin ist dagegen die Linke. „Viele, die früher aus Protest die Linke gewählt haben, sind jetzt zur AfD abgewandert“, sagt Hendrik Träger. „Auch auf Bundesebene kann die Partei derzeit nicht überzeugen, weil sie bei Themen wie der Einwanderungspolitik nicht einheitlich auftritt.“

Speziell in Sachsen hat die Partei derzeit zudem keine Machtoption: Eine Regierungsmehrheit mit ihrer Beteiligung ist nicht in Sicht. In der öffentlichen Wahrnehmung sei die Linke – genau wie zum Teil auch SPD, Grüne und FDP – in den letzten Wahlkampfwochen hinten runtergefallen, so Träger: „Am Ende ging es vor allem um die Frage, ob die CDU oder die AfD stärkste Kraft wird. Bei dieser Polarisierung war mit anderen Themen nur noch schwer durchzudringen.“

6. Kein Grund zum Aufatmen für die GroKo in Berlin

Für CDU und SPD bleibt nach dieser Landtagswahl die Erkenntnis: Für die vermeintlich „große“ Koalition gibt es nun auch in Sachsen keine Mehrheit mehr. Dem Bundesland geht es eigentlich gut. Nicht nur der Ministerpräsident, auch sein bisheriger Stellvertreter von der SPD ist im Land beliebt. Doch die Wähler haben eben nicht nur über die Landespolitik abgestimmt, sondern auch über die unbeliebte GroKo in Berlin. Dass das Bündnis auf Bundesebene nun zerbricht, glaubt Hendrik Träger trotzdem nicht: „Wenn es jetzt zu Neuwahlen käme, können sich CDU und SPD ausrechnen, wo sie landen würden.“


Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Hendrik Träger, Universität Leipzig
  • Süddeutsche Zeitung, 2. September 2019: Kramp-Karrenbauers zweitwichtigster Mann
  • wahl.tagesschau.de: "Landtagswahl 2019 Sachsen"


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