• FDP und Grüne könnten in die Rolle der Königsmacher kommen und entscheiden, zu welcher Koalition es kommt.
  • Beide haben sich in NRW in der Vergangenheit hart bekämpft.
  • In der Gesellschaftspolitik gibt es große Überschneidungen, bei Wirtschaft und Finanzen drohen Auseinandersetzungen.
Eine Analyse

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Die Wahl in Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, gilt als die "kleine Bundestagswahl". CDU und SPD liegen Kopf an Kopf. Letzte Umfragen zeigen, dass es für eine Zweierkoalition sehr knapp werden könnte. Möglicherweise müssen FDP und Grüne dann zusammenarbeiten. Doch gerade diese beiden Parteien waren in der Vergangenheit in NRW eher Intimfeinde, als gute Partner. Wo gibt es zwischen ihnen Schnittpunkte, wo liegen die tiefen Gräben?

Dass FDP und Grüne im Bund bisher ohne großen Streit zusammenarbeiten, heißt noch lange nicht, dass sie dies in NRW genauso tun würden. Zu groß waren in der Vergangenheit die Unterschiede. Die FDP verstand die Grünen immer als "Moralapostel", die ihre ökologische Gesinnung über alles stellten und dafür eine hohe Staatsverschuldung in Kauf nahmen. Umgekehrt war der Ton auch nicht besser: Die Grünen sahen die FDP als Partei der Besserverdienenden und Wirtschaftslobbyisten.

Wahl in NRW ist für beide Parteien besonders wichtig

Auch aus Bundessicht ist diese Landtagswahl von hoher Bedeutung. Die FDP hat nicht viel zu gewinnen, aber einiges zu verlieren. Sie ist bereits in der Landesregierung in Düsseldorf beteiligt. Im besten Fall bleibt sie es; bei einem für sie schlechten Wahlausgang fliegt sie aus der Regierung. Der Landesverband in NRW ist auch der Heimatverband von Christian Lindner, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und dem Parlamentarischen Geschäftsführer im Bundestag, Johannes Vogel. Wenn es in Düsseldorf schiefgeht, fällt der Schatten bis nach Berlin.

Auch bei den Grünen ist die Anspannung groß. Der historische Kursschwenk über die Lieferung schwerer Waffen für die Ukraine sowie der Abschluss neuer Gasverträge mit der autokratischen Regierung in Katar beunruhigen die Partei. Der Krieg in der Ukraine hat zudem verhindert, dass sie ihre im Wahlkampf angekündigten Klimaversprechen bisher umsetzen konnte. Ein Sieg in Düsseldorf würde auch die grüne Seele wieder etwas besänftigen.

Große Nähe in Gesellschaftspolitik

Doch die eigentlichen Auseinandersetzungen beginnen wohl erst, falls Grüne und FDP in einer Dreierkoalition zusammenkommen. Die Universität Münster hat den "Wahl-Kompass" entwickelt, mit dem Wähler herausfinden können, wie sie mit den Parteien übereinstimmen. Dazu haben die Wissenschaftler um Nobert Kersting und Jan Philipp Thomeczek die Wahlprogramme der Parteien ausgewertet. FDP und Grüne liegen je nach politischem Themenfeld recht nah zusammen oder aber auch sehr weit auseinander.

Bei einem Querschnittsvergleich der wesentlichen Programmpunkte dieses Wahlkampfes zeigen die beiden Parteien eine Übereinstimmung von 54,8 Prozent. Dabei findet man in der Gesellschaftspolitik die größten Schnittmengen. Dies gilt etwa für die Absenkung des Wahlalters, die Einführung des Islamunterrichts, die Legalisierung von Cannabis, die Einführung von Bürgerräten und die Ablehnung weitergehender Zugriffsrechte für die Polizei auf private Daten.

Und so haben die beiden Parteien nur auf diesen Themenbereich der Gesellschaftspolitik bezogen sogar eine Übereinstimmung von 73 Prozent. Hier zeigt sich, dass die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Grünen und der FDP beide liberale Wurzeln haben. Beide Parteien wollen den Einzelnen stärken und seine Rechte gegenüber dem Staat und Dritten schützen. Schwieriger wird es schon, wenn es um Fragen der Identitätspolitik geht. FDP und Grüne kommen beispielsweise bei der Frage, ob Parteien ihre Wahllisten abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen sollen, wohl nicht mehr zusammen.

Was man über die Wahl in Nordrhein-Westfalen wissen muss

Am 15. Mai wird ein neuer Landtag in NRW gewählt. Das Rennen ist völlig offen. Die Wahl wird auch als "kleine Bundestagswahl" bezeichnet und in Berlin genau beobachtet.

Bei Wirtschaft und Finanzen droht Streit

Größere Unterschiede bestehen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier liegen die Parteien bei vielen Fragen weit auseinander: Dürfen Läden sonntags offenbleiben, soll das Nachtflugverbot weiter eingeschränkt werden, müssen Neubauten verpflichtend Solardächer haben? Beide Parteien haben außerdem völlig konträre Haltungen dazu, ob der Haushalt generell ausgeglichen sein soll und wie weit sich der Staat in die Wirtschaft einmischen darf. So haben beide Parteien in der Wirtschafts- und Sozialpolitik insgesamt zueinander nur eine Nähe von 47 Prozent.

Falls eine Dreierkoalition nötig werden wird, bleibt abzuwarten, ob und wie die beiden zueinanderfinden. Wenn FDP und Grüne es jedoch schaffen, alte Animositäten und Gegensätze zu überwinden, können sie alleine bestimmen, wer an Rhein und Ruhr Ministerpräsident wird.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzung/Einschätzungen des Autors bzw. der Autorin bzw. der/des zu Wort kommenden Experten bzw. Expertin/nen einfließt/einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.


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