Normalerweise sorgt die Wahl des Landtagspräsidenten in Thüringen für wenig Aufmerksamkeit. Doch nun könnte die AfD den wichtigen Posten für sich beanspruchen. Ein Szenario, das alle anderen Parteien im Landtag ablehnen. Es drohen Chaos und ein Gang vor das Verfassungsgericht.
Erwartet wird ein Politikspektakel, das einen Vorgeschmack auf die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen gibt. Fast vier Wochen nach der Landtagswahl soll das Landesparlament in Erfurt am Donnerstag mit der Arbeit beginnen – und dazu gehört die Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines Landtagspräsidenten.
Bisher war das eine unspektakuläre Aktion und eher eine Formalität. Die stärkste Fraktion, die in der Regel auch die künftige Regierung anführt, präsentierte eine Persönlichkeit, die möglichst nicht als strammer Parteisoldat auffiel und für viele wählbar war. Doch das ist Vergangenheit.
Denn dieses Mal geht es um ein Kräftemessen zwischen der starken AfD-Fraktion mit ihrem Rechtsaußen
Die Ausgangslage
Nach den Spielregeln des Landtags hat die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für das Präsidentenamt. Das ist mit Abstand die AfD. Sie stellt 32 von 88 Abgeordneten und beansprucht das zweithöchste Staatsamt im Freistaat für sich. Vorgeschlagen hat sie dafür ihre Abgeordnete Wiebke Muhsal als Kandidatin.
Die 38-Jährige stammt aus Nordrhein-Westfalen und blieb nach dem Studium in Thüringen. Sie gehörte dem Landtag bereits von 2014 bis 2019 an und fiel beispielsweise damit auf, dass sie eines Tages in einer Art Niqab schwarz verschleiert im Landtag erschien.
Vor einigen Jahren wurde Muhsal wegen Betrugs rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Gerichte sahen es als erwiesen an, dass sie einen Arbeitsvertrag mit einer Mitarbeiterin im Jahr 2014 um zwei Monate vordatierte, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten.
Manche empfinden den AfD-Personalvorschlag auch deshalb als Provokation. "Wer sich an Steuergeldern vergreift, darf nicht Landtagspräsidentin werden", findet Ministerpräsident
Warum ein AfD-Landtagspräsident ein Problem sein könnte
Bereits vor Bekanntwerden von Muhsals Kandidatur hatten CDU, BSW und CDU signalisiert, dass sie jemanden mit AfD-Parteibuch nicht für wählbar halten.
Der Landtagspräsident als "Hüter der Verfassung und des Parlamentarismus" in Thüringen könne nicht von einer Partei kommen, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet wird, betonte etwa Thüringens CDU-Fraktionschef Mario Voigt immer wieder.
Dazu kommt: Der Landtagspräsident hat tatsächliche politische Macht. Er muss alle Gesetze, die das Parlament beschließt, unterschreiben und verkünden. Erst dann werden sie rechtlich bindend. Verfassungsrechtler befürchten allerdings, dass ein AfD-Präsident das ausnutzen könnte, um unliebsame Gesetzte zu blockieren. Denn dem Amtsinhaber steht ein Prüfrecht für Gesetze zur Verfügung.
Der Konflikt
Die CDU schickt deshalb ihren Abgeordneten Thadäus König ins Rennen, der 2019 schon einmal Höcke bei der Landtagswahl bezwang und im katholisch geprägten Eichsfeld das Direktmandat holte. König ist auch stellvertretender CDU-Landesvorsitzender.
Die AfD pocht jedoch auf ihr Vorschlagsrecht. Dass die anderen Parteien die AfD-Landtagspräsidentin verhindern wollen, hält die Partei für undemokratisch. Eine unberechtigte Kritik laut dem Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz.
Das Bundesverfassungsgericht habe jüngst in vergleichbaren Fällen deutlich gemacht, "dass ein Vorschlagsrecht nicht verbunden ist mit einem bestimmten Wahlergebnis". Brodocz betont: "Die Wahl ist der zentrale demokratische Mechanismus." Oder anders gesagt: Nur weil die AfD das Recht hat den Kandidaten aufzustellen, kann niemand die Abgeordneten zwingen diesen auch zu wählen.
Doch was passiert, wenn die AfD-Kandidatin keine Mehrheit erhält? Nach Ansicht der Landtagsverwaltung nutzt sich das Vorschlagsrecht der stärksten Fraktion ab, spätestens nach einem zweiten gescheiterten Wahlgang könnten demnach auch andere Fraktionen Kandidaten aufstellen. Die AfD vertritt hier eine andere Rechtsauffassung: Ihrer Meinung nach darf nur die AfD Wahlvorschläge machen.
Der vermeintliche Ausweg
Um auf Nummer sicher zu gehen, wollen CDU und BSW noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten die Geschäftsordnung des Parlaments ändern. So steht es auch auf der Tagesordnung der ersten Sitzung. Geplant ist, dass schon ab dem ersten Wahldurchgang andere Fraktionen Kandidaten aufstellen dürfen.
Die Regeln für die Wahl hatte man übrigens auch schon im letzten Landtag ändern wollen. Doch das Vorhaben scheiterte, weil die Landtagsverwaltung keinen Änderungsbedarf feststellen konnte.
Die AfD reagiert derweil entsetzt auf die Änderungspläne. Partei-Co-Chef Stefan Möller, Jurist, hält eine Änderung der Geschäftsordnung für nicht möglich. "Solange sich der Landtag nicht konstituiert hat, kann er auch die Geschäftsordnung nicht ändern", sagt er. Die Konstituierung sei erst mit der Wahl des Landtagspräsidenten abgeschlossen.
Vertreter der anderen Parteien im Landtag sehen das anders. Experte Brodocz hält das Vorgehen von CDU und BSW für nachvollziehbar, um einen "Rechtskonflikt in der ersten Sitzung" zu verhindern. Die bisherige Geschäftsordnung sei in ihrem Wortlaut nicht ganz eindeutig.
Der AfD-Joker
Das Ass im Ärmel der AfD ist 73 Jahre alt und heißt Jürgen Treutler. Denn: Die konstituierende Sitzung des Landtags, in dem auch sein Präsident gewählt wird, wird vom Alterspräsidenten geleitet. Und das ist im neuen Parlament der Ingenieur aus Südthüringen.
Aus den Reihen der anderen Parteien gibt es die Befürchtungen, Treutler könnte einfach stur immer wieder neue Wahlgänge mit AfD-Kandidaten aufrufen, sich auf seine Auslegung der Geschäftsordnung berufen und Kandidaten der anderen Fraktionen ignorieren. Auch deshalb wollen CDU und BSW die Regeln präziser fassen. Diese Regeländerung war auch schon im alten Landtag diskutiert worden.
Nach Ansicht von AfD-Co-Chef Möller legt in der ersten Sitzung allein der Alterspräsident die Geschäftsordnung aus und entscheidet über den Verlauf der Landtagssitzung. "Lassen Sie sich überraschen", sagte Treutler zuletzt auf die Frage, wie er agieren will.
Denkbar ist inzwischen aber auch, dass Treutler Möllers Rechtsauffassung teilt und den Landtag bis zur abgeschlossenen Konstituierung für nicht beschlussfähig hält. Nach einer juristischen Einschätzung der Landtagsverwaltung steht es dem Parlament ab seinem Zusammentritt frei, die Geschäftsordnung zu ändern.
Das Papier bezieht sich auf das Selbstorganisationsrecht des Landtags. Weigert sich Treutler, die Abstimmung über die Geschäftsordnung aufzurufen, wäre wohl ein Gang zum Thüringer Verfassungsgerichtshof angesagt. Dort hat man bereits signalisiert, sich vorzubereiten und eine möglichst schnelle Entscheidung in Aussicht gestellt.
Trotzdem würde das vorerst politischen Stillstand in Thüringen bedeuten. Chaos ist im Freistaat also programmiert. (dpa/afp/bearbeitet von thp)
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