Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble macht derzeit mit viel diskutierten Statements zur Flüchtlingskrise auf sich aufmerksam - zuletzt verglich er den Flüchtlingszuzug mit einer Lawine. Aber was ist eigentlich der Hintergrund seiner Aussagen?

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Zu Flüchtlingen als "Lawine"

  • "Lawinen kann man auslösen, wenn ein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt", sagte Schäuble. Nur wo sich die Lawine befinde, ob im Tal oder noch am Hang, das wisse er nicht.

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Das von Wolfgang Schäuble (CDU) hier verwendete Bild einer eskalierten Situation durch die hier ankommenden Flüchtlinge ist nicht treffend und zog heftige Kritik nach sich.

Im Ausnahmezustand befindet sich Deutschland weder finanziell noch was die Unterbringungsmöglichkeiten anbelangt – auch wenn durch in Brand gesetzte Flüchtlingsunterkünfte die Friedfertigkeit unserer Gesellschaft infrage gestellt wird.

Vorübergehend nicht nutzbare Sporthallen sind offenbar für viele ärgerlich. Aber deswegen kollabiert weder das Schulsystem noch die eigene Freizeitgestaltung.

Zur Globalisierung

Fast romantisch gab sich Schäuble mit Blick auf die internationale Staatengemeinschaft. Die Zuwanderung, sagte Schäuble am Mittwoch, sei ein "Rendezvous unserer Gesellschaft mit der Globalisierung". Den Druck der Migration könne Europa nur gemeinsam lösen. "Oder es kann ziemlich schlecht für uns alle werden." Kontrollen an den Binnengrenzen nützten Deutschland wenig.

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Dass Grenzkontrollen allein keine Lösung des Flüchtlingsdilemmas sind, sehen Vertreter der Schwesterpartei CSU bekanntermaßen anders.

Und auch in Europa gehen die Ansichten darüber, ob und wie sich der Zustrom besser regulieren - oder gar verhindern - ließe, weit auseinander.

Fest steht: Nach Ungarn hat auch Slowenien einen Teil seiner Grenze zu Kroatien mit Stacheldraht sichern lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte Anfang des Monats dagegen ihre Sorge, Zäune könnten die Lage auf dem Balkan destabilisieren.

Auch einen Zaun zwischen Bayern und Österreich schloss sie deshalb aus.

Eine Alternative zur Willkommenskultur kann es nur geben, wenn Europa mithilft, Elend und Krieg in den Heimatregionen der Migranten zu beenden. Auch das gehört zur Globalisierung.

Zur europäischen Geschlossenheit

Schließlich plädierte Schäuble erneut für ein einheitliches Europa. "Wir Deutschen wissen, wir haben die verdammte Pflicht, aus unserer Situation in der Mitte Europas dafür zu arbeiten - um jeden Preis - dass die europäische Einigung gelingt", sagte er. Breche Europa auseinander, schade das Deutschland am meisten.

Nach der Wiedervereinigung war die Angst vor einem erstarkten Deutschland groß. Doch das Experiment Europäische Union wurde gewagt.

Die Bundesrepublik konnte sich frei entfalten – und hat wie fast kein anderes Land vom europäischen Binnenmarkt profitiert.

Einer von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie von 2014 zufolge ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt zwischen 1992 und 2012 jedes Jahr um durchschnittlich 37 Milliarden Euro gestiegen.

Ein Ende der europäischen Integration bedeutet im Zweifel also nicht nur ein Ende des Wirtschaftswachstums hierzulande, sondern womöglich auch Bürgerkriege und das Ende der Demokratie in mehreren EU-Ländern, wie der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits vor Jahren warnte.

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Zur Finanzierung der Flüchtlingskrise

"Unsere Haushaltspolitik der vergangenen Jahre eröffnet uns nun die Handlungsspielräume, um auf unerwartete, drängende neue Herausforderungen reagieren zu können. Und das, ohne dass wir unsere langfristigen Prioritäten vernachlässigen und ohne neue Schulden zu machen." Sogar die Schwarze Null, also den ausgeglichenen Haushalt, wollte der sonst so eisern sparende Schwabe für die Versorgung der Flüchtlinge im Notfall aufgeben. Derzeit will der Bund sechs Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge hierzulande ausgeben.

Dass Deutschland den Zustrom der Flüchtlinge stemmen kann, darin sind sich die Experten mit Schäuble weitgehend einig. Und auch die geplanten Ausgaben werden bestätigt.

In dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten kommen nicht zuletzt die "Wirtschaftsweisen" zu dem Schluss, dass die direkten Ausgaben der öffentlichen Hand für die Flüchtlinge in diesem Jahr 5,9 Milliarden bis 8,3 Milliarden Euro und neun Milliarden bis 14,3 Milliarden Euro im nächsten Jahr betragen werden.

"Angesichts der guten Lage der öffentlichen Haushalte sind diese Kosten tragbar", sagte der Vorsitzende des Expertengremiums, Christoph Schmidt.

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