Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht Basketball-Journalist Andre Voigt über das deutsche WM-Gold, das er vor Ort miterlebt hat. Er erklärt, warum das DBB-Team keine "goldene Generation" ist und welche Auswirkungen der WM-Titel auf die BBL hat.
Herr Voigt, Deutschland ist Basketball-Weltmeister geworden. Sie waren vor Ort in Manila dabei. Was geht Ihnen durch den Kopf?
Andre Voigt: Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal erleben würde und dann auch noch vor Ort. Es war sehr emotional für mich. Dass der Sieg dann auch noch gegen Serbien mit Trainer Svetislav Pesic passiert, der bis dato den größten deutschen Basketball-Erfolg verantwortet hat, macht es noch zusätzlich besonders. Aber es ist kein Erfolg, der einfach nur zufällig passiert ist. Dahinter steckt eine Menge Aufbauarbeit.
Was verstehen Sie unter dem Wort "Aufbauarbeit"?
In den frühen 2000er Jahren hatten junge deutsche Nachwuchsspieler einen schweren Stand, denn sämtliche Beschränkungen für ausländische Spieler waren gefallen. Und das bis hinunter in die Regionalligen. Irgendwann gab es aber dann wieder ein Umdenken und in der deutschen Basketball-Liga (BBL) wurde die Positivquote eingeführt (deutsche Spieler im Kader; Anm. d. Red.). Es gab Präsenzquoten in der zweiten und dritten Liga, zudem wurden Nachwuchsligen eingerichtet.
Was macht den Titelgewinn aus Ihrer Sicht so besonders?
"Basketball-Deutschland" ist nur eine kleine Blase. Es steckt viel ehrenamtliches und elterliches Engagement dahinter. Dazu die Menschen, die ihre Freizeit für den Sport opfern, ohne dafür großen Ruhm oder finanziellen Profit zu erzielen. Für all diese Menschen war der Sieg. Es ist alles sehr eng miteinander verzahnt, denn auch in der Nationalmannschaft haben manche Spieler schon als Teenager miteinander oder gegeneinander gespielt.
Bei Sportarten wie Fußball oder Handball ist ein Weltmeister-Titel keine Überraschung mehr, da es Sportarten sind, die in unserem Land weit verbreitet sind. Im Basketball ist es nicht so, da es mit den USA ein klar dominierendes Land gibt. Dort dann Weltmeister zu werden und dieses Land zu schlagen, das als klarer Favorit ins Spiel gingen – das zeigt die unheimliche Qualität der Nationalmannschaft.
Wie lange kann diese Mannschaft im Kern noch zusammenspielen und noch weiter für Furore sorgen?
Die Mannschaft ist noch relativ jung, kann also in jedem Fall einige Jahre in dieser Besetzung spielen. Dahinter gibt es bereits eine Menge Nachwuchstalente, die ein ähnliches Level erreichen können. Das ist also keine "Goldene Generation", sondern nachhaltige Arbeit, deren Früchte nun erstmals so richtig geerntet wurden.
Der Halbfinal-Sieg gegen Team USA sorgte für eine Menge Reaktionen und Aufmerksamkeit. Es dürfte wohl das Highlight-Spiel des Turniers gewesen sein. Wo würden Sie das Spiel gegen die USA in Ihren persönlichen Basketball-Momenten einsortieren?
Diese Partie ist schon relativ weit oben in meinen Basketball-Erlebnissen, obwohl ich bei zahlreichen großen Turnieren und auch NBA-Finals vor Ort in den Hallen war. Vielleicht war diese Partie das Herausragendste, was ich vor Ort erlebt habe. Besonders die Art und Weise, wie Deutschland dieser Sieg gelang, nämlich mit einer überragenden Offensiv-Leistung, wird unvergesslich sein. Es war das offensiv hochklassigste Spiel, das ich auf Nationalmannschafts-Ebene je gesehen habe. Ich weiß auch gar nicht, wann ich bis dahin schon einmal so emotional involviert war.
Welcher Moment rund um die Partie ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Während des Spiels der Dreipunkte-Wurf von Andreas Obst, als er Tyrese Haliburton zu Fall gebracht hat. Nach dem Spiel die Umarmung zwischen Moritz Wagner und seinen Eltern. Das Wort Familie wurde in der Mannschaft einfach gelebt.
Welche Auswirkungen könnte die Niederlage gegen Deutschland auf den amerikanischen Basketball, der sich selbst als führend sieht, haben?
Solche Niederlagen haben immer zwei Auswirkungen. Zum einen wird der Patriotismus angeschmissen und gefragt, wo die ganzen Superstars wie Anthony Davis oder Stephen Curry waren. Bei Olympia werden traditionell aber natürlich die größeren Namen wieder im US-Kader stehen. Zum anderen werden wohl zukünftig andere Schwerpunkte gesetzt in der Kaderzusammenstellung. Es werden wohl wieder mehr Big Man im Team sein, um mehr Länge im Team zu haben und dadurch unter den Brettern wieder mehr entgegensetzen zu können. Denn das war schon auffällig, wie schwer sie sich gegen reboundstarke Mannschaften getan haben, trotz aller Athletik und Dynamik im Team.
Was waren die spielerischen Ansatzpunkte für die Überraschung des DBB-Teams gegen die USA?
Man hat häufig die Größenvorteile ausgespielt und die kleineren Spieler attackiert, sodass die Amerikaner zu einer Reaktion gezwungen waren. Zudem kam das US-Team nicht wirklich bereit für die zweite Halbzeit aus der Kabine. Sie hatten nicht den Willen, direkt ihr volles Potenzial zu zeigen, dies gelang ihnen erst im vierten Viertel. Dadurch konnte die deutsche Mannschaft ein Wohlfühlklima für sich in der Partie schaffen und erreichte ein Level an Selbstbewusstsein, das nicht mehr aufzuhalten war. Aber diese Offensiv-Power war so nicht zu erwarten und von allen prognostizierten erfolgreichen Spielausgängen wohl die unwahrscheinlichste.
Wie nachhaltig ist die aktuelle Erfolgswelle im deutschen Basketball. Ist es nur ein "Sommermärchen" oder steckt da mehr dahinter?
Dadurch, dass ich die WM vor Ort verfolgt habe, kann ich nicht wirklich viel über die Entwicklung während des Turniers in Deutschland sagen. Aber mein Eindruck aus der Ferne war, dass erst durch den Sieg über die USA die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit da war. Meine Hoffnung ist, dass diese Partie einfach den Hype bei der jüngeren Generation lostritt. Kinder, die die Videos und Aktionen des DBB-Teams über Eltern, Geschwister oder Freunde mitbekommen und dann vom Basketball-Virus infiziert werden und selbst diese Sportart ausprobieren wollen.
Es sind vom Verband tolle Bilder produziert worden, auch von den anderen Spielen, die nun viral gehen. Es ist das größte Pfund des DBB, dass sich nach einem solchen Erfolg mehr junge Menschen für die Sportart begeistern können. Es darf nicht nur auf die Einschaltquoten geschaut werden, sondern die junge Bevölkerung muss für diese Sportart begeistert werden. Denn diese begeistern dann wiederum in einigen Jahren ihren Nachwuchs und engagieren sich möglicherweise weiterhin selbst, sodass ein wirklich nachhaltiges Wachstum entsteht.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen des WM-Titels auf die BBL, die nationale Liga, ein?
Die BBL wird, meiner Meinung nach, nicht viel davon haben. Denn mit Andreas Obst, Isaac Bonga und Niels Giffey (alle FC Bayern Basketball) sowie Johannes Thiemann (ALBA Berlin) spielen nur vier Spieler aus dem Kader noch in der heimischen Liga. Und ich glaube nicht, dass das Interesse daran so groß sein wird, dass die Klubs nicht mehr wissen, wohin mit den ganzen Kartenanfragen. Die BBL ist einfach nicht mehr die Liga der Nationalmannschaft. Natürlich hilft die Einigung mit der EuroLeague, dass die Nationalteams mehr Spieler aus ihren Top-Besetzungen integrieren können, aber im deutschen Ligabetrieb wird vom Glanz des DBB-Teams wenig übrigbleiben.
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