Nach WM-Silber ist vor Gold? Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft startet am Freitag begleitet von Euphorie und einer hohen Erwartungshaltung in die WM in Tschechien. Wir haben mit Ex-Nationalspieler Stefan Ustorf über Chancen und Herausforderungen bei dem Turnier gesprochen.
Die Aufgabe für Harold Kreis ist keine einfache. Denn der Eishockey-Bundestrainer sieht sich bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Tschechien (10. bis 26. Mai) mit den Folgen des jüngsten Erfolgs konfrontiert. Die simple Rechnung von großen Teilen der Fans und Öffentlichkeit: 2023 gab es WM-Silber, dann müssen Fragen nach dem Titel 2024 ja wohl erlaubt sein. Es ist ein Balanceakt, eine gewisse Euphorie zuzulassen, ohne die eigene Mannschaft damit zu überfrachten. Denn im Idealfall wird das Team gepusht, im schlimmsten Fall aber ausgebremst.
"Ich habe schon gehört, dass die Erwartungen hoch sind. Das stimmt, das ist mir nicht entgangen", sagte Kreis der dpa. "Ich kann das auch nachvollziehen von unseren Fans, die eine unglaubliche WM von unserer Mannschaft gesehen haben. Aber wir können nicht den Anspruch erheben: Wir kommen ins Finale und gewinnen Gold", sagte er.
Eishockey-WM: Wie weit kommt das DEB-Team?
Doch es ist so, wie es oft ist: In der allgemeinen Wahrnehmung darf es nach der letztjährigen Überraschungsmedaille in diesem Jahr gerne ein bisschen mehr sein für den Vize-Weltmeister. "Wer nach Gold fragt, der hat wirklich überhaupt keine Ahnung, das muss man ganz ehrlich sagen", sagt Ex-Nationalspieler Stefan Ustorf im Gespräch mit unserer Redaktion. Der aktuelle Sportdirektor der Nürnberg Ice Tigers ist für eine konservativere Herangehensweise. Eine realistischere, bei aller Qualität, die der WM-Kader aufweist.
"Wir sind an einem Punkt angekommen im deutschen Eishockey, wo wir nicht überrascht sein sollten, wenn die Mannschaft um die Medaillen spielt", sagt Ustorf. "Aber wir dürfen es auf gar keinen Fall erwarten. Wenn wir aber das Viertelfinale verpassen sollten, sollte auch keiner schockiert sein. Wir haben uns fest etabliert unter den Top-Acht-Nationen der Welt, da gehören wir hin", stellt er klar, betont aber auch: "Der Abstand zwischen den Nationen ist klein." Was zu Überraschungen wie 2023 führen kann. Dann muss aber alles passen.
Auf die Balance kommt es an
Wichtig ist deshalb die richtige Balance. "Wunsch und Euphorie mitzutragen, ist absolut nachvollziehbar", sagte Kreis der dpa. Für Ustorf ist es trotzdem wichtig, dass die Mannschaft die Nebengeräusche nicht groß an sich heranlässt, sie mache sich den größten Druck sowieso selbst, sagt Ustorf. Und dieser Druck muss nicht einmal zwingend belastend sein: "Sie wollen was erreichen, sie wollen was zeigen, sie wollen sich auch persönlich weiterentwickeln." Die Mannschaft habe ihre eigenen Erwartungen und arbeite extrem hart, sagt der 50-Jährige: "Sie sind aber auch erfahren genug, um zu wissen, dass in so einem kurzen Turnier unglaublich viel passieren kann".
Das hat das Jahr 2023 gezeigt: Nach drei Niederlagen gegen die Top-Nationen Schweden, Finnland und die USA stand das DEB-Team mit dem Rücken zur Wand, startete dann aber eine unerwartete Siegesserie, die bis ins Finale führte. Damals wuchs das Team durch die Situation, der Druck wurde in wichtige positive Energie umgewandelt und eine Euphorie erzeugt, die das Team durch das Turnier trug. Eine WM ist speziell, wird in rund zwei Wochen gespielt, mit sieben Vorrundenspielen in elf Tagen; da geht es Schlag auf Schlag.
"Ein Turnier ist so kurz, da musst du auch in der Lage sein, Ergebnisse schnell abzuhaken, egal ob positiv oder negativ. Du musst von Spiel zu Spiel denken, du musst intelligent mit deinen Erholungsphasen umgehen. Ruhe ist eine Waffe", weiß Ustorf: "Und du musst deine Punkte holen, um ins Viertelfinale zu kommen. Danach ist alles möglich."
Das offizielle Ziel lautet Viertelfinale
Offiziell lautet das WM-Ziel erst einmal Viertelfinale. "Danach schauen wir weiter", sagte Kreis, der unter anderem auf 15 Vize-Weltmeister von 2023 setzt. Für Ustorf ist es "ein gutes Aufgebot. Wir haben alles dabei, was wir brauchen, um eine erfolgreiche WM zu spielen." Der Kader habe eine gute Balance von Offensive und Defensive, man habe eine gute Mischung aus Erfahrung und jungen Spielern.
"Mit Schlüsselspielern wie denTorhütern Mathias Niederberger, Tobias Ancicka und NHL-Profi Philipp Grubauer. Dazu Dominik Kahun, Marc Michaelis, Nico Sturm, Kai Wissmann oder Jonas Müller, die eine wichtige Rolle für uns spielen. Wir haben vier gute und ausgeglichene Reihen am Start, bei denen wir alles abdecken", erklärt Ustorf. Die kurzfristige Freigabe der Chicago Blackhawks für Lukas Reichel erhöht die Qualität zusätzlich, bietet Kreis eine weitere Alternative.
Allerdings sind andere Nationen teilweise besser besetzt als noch 2023. Titelverteidiger Kanada setzt auf Toptalent Connor Bedard. Bei Gastgeber Tschechien stehen drei NHL-Torhüter im Aufgebot, bei den USA die Topstürmer Johnny Gaudreau und Brady Tkachuk, bei den Schweden die Weltklasseverteidiger Rasmus Dahlin, Erik Karlsson und Victor Hedman. "Und auch Mannschaften wie Schweiz oder Norwegen können uns Probleme bereiten, weil sie einfach gutes Eishockey spielen können", sagt Ustorf.
Ustorf: Das DEB-Team organisch wachsen lassen
Was ein wenig Kopfzerbrechen bereitet, ist die mäßige Vorbereitung mit nur drei Siegen aus acht Testspielen und der Erkenntnis, dass noch längst nicht alles rund läuft und noch Luft nach oben ist in einigen Bereichen. Allerdings ist es vor einem Turnier nicht ungewöhnlich, dass sich die Mannschaft erst noch finden muss. "Es waren ein paar individuelle Fehler. Besser jetzt als zu Beginn des Turniers. Wir fahren mit gutem Gefühl nach Ostrava. Das ist für die Moral immer wichtig", sagte Kreis.
Dass mit Auftaktgegner Slowakei, den USA und Schweden wie 2023 die vermeintlich drei stärksten Teams der Gruppe zum Auftakt warten, kann dabei helfen, zu wachsen. "Wenn du gleich gegen Top-Nationen spielst, dann gehst du mit ein bisschen weniger Druck in diese Aufgaben", sagt Ustorf: "Du kannst eigentlich befreit aufspielen, kannst dich als Mannschaft finden und kannst sehen, wo deine Stärken und Schwächen in diesem Turnier liegen. Um dann ein bisschen besser gerüstet die Aufgaben anzugehen, bei denen du deine Punkte holen musst." Um sich dann im Idealfall wie im vergangenen Jahr von der Euphorie durch das Turnier tragen zu lassen.
Über den Gesprächspartner
- Stefan Ustorf ist ein ehemaliger Eishockey-Profi, der im Laufe seiner Karriere unter anderem über 600 Spiele in Bundesliga beziehungsweise DEL absolviert hat, zudem 121 Länderspiele für die Nationalmannschaft. Heute ist der 50-Jährige Sportdirektor des DEL-Klubs Nürnberg Ice Tigers.
Verwendete Quellen
- mit Material der dpa
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