Ein Sieg noch, dann würde der 1. FC Heidenheim zum ersten Mal in die Bundesliga aufsteigen. Holger Sanwald, Vorstandsvorsitzender des FCH, erklärt, wie der Verein so weit gekommen ist und was er davon hält, dass viele schon jetzt über eine Verzwergung der Liga klagen.

Ein Interview

Herr Sanwald, einen Spieltag vor Ende hat der 1. FC Heidenheim den Aufstieg schon vor Augen, ist aber noch nicht durch. Darf man denn trotzdem schon zu einer erfolgreichen Saison gratulieren?

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Holger Sanwald: Selbstverständlich! Wir haben jetzt 64 Punkte, das haben wir bisher noch nie erreicht. Es war auch zu Beginn der Saison nicht unbedingt zu erwarten. Wir konnten Oliver Hüsing, unseren Vizekapitän, nicht halten, Robert Leipertz ging nach Paderborn, und Schalke machte noch ein Angebot für Tobias Mohr, dass wir nicht ablehnen konnten. Da war klar: Wir gehen ohne drei absolute Leistungsträger in die Saison. Der Aufstieg war nie unser Ziel, es ging darum, eine gute Runde zu spielen und die Leistungsträger, die wir verloren haben, zu ersetzen. Dass dann die neuen Spieler sich in unsere Mannschaft so gut eingefügt haben, ist schon sensationell.

Ist es ein Vorteil, im Vergleich zu anderen Vereinen nicht aufsteigen zu müssen?

Wir freuen uns auf jedes Spiel wie kleine Jungs, würden am liebsten heute statt morgen spielen. Für uns alle wäre es ein Traum, aufzusteigen - aber wenn nicht, wäre auch nichts kaputt. Vielleicht ist es gerade diese Lockerheit, die man jetzt braucht, um das durchzuziehen. Wir wollen es schaffen, dazu stehen wir auch. Aber das geht auch nur mit Spaß am Spiel.

Ein wichtiger Baustein für den Erfolg des FCH ist Trainer Frank Schmidt. Wie viele Angebote haben Sie für ihn schon erhalten?

Gar keins.

Kein einziges?

Bei mir jedenfalls hat sich keiner gemeldet. Ich habe das auch öffentlich gesagt: Andere Vereine brauchen nicht anfragen, es ist erfolglos. Die Anfragen, die bei ihm reinkommen, hat er schon selbst abgelehnt, weil er zu seinem Wort steht. Er hat im Herbst 2021 bis 2027 verlängert und hätte auch unbefristet verlängern können, wenn er gewollt hätte. Meine Kollegen von den anderen Klubs wissen das längst: Sie können mit mir über alles reden, aber über dieses eine Thema nicht.

FCH-Vorstand Sanwald: "Für Frank Schmidt ist es eine Herzenssache"

Andere langjährige Trainer brannten bei ihren Vereinen irgendwann aus. Warum nicht er?

Weil er es versteht, sich immer wieder neu zu pushen. Er hat ein hohes Ehrgeizlevel, setzt sich realistische Ziele, will mit unserem Verein etwas erreichen. Das liegt auch an der besonderen Konstellation, dass er seit der Verbandsliga als Spieler bei uns ist. Für ihn ist es eine Herzenssache, das wirft man nicht einfach so weg. Dazu kommt, dass er sich auf uns als Vereinsführung absolut verlassen kann. Bei manchen anderen Vereinen habe ich oft den Eindruck: Man behauptet zwar, man steht zum Trainer - aber sobald es schlecht läuft, kommen die Zweifel auf. Wir hatten auch schon schwierige Phasen, aber wir fragen uns in solchen Situationen reflexartig: Wie können wir unseren Trainer unterstützen? Weil uns allen klar ist, was für eine wichtige Rolle er für uns spielt.

Frank Schmidt läuft an einer Choreographie des 1. FC Heidenheim vorbei.
Bald könnte der Traum wahr werden: Nur noch ein Sieg trennt den 1. FC Heidenheim vom Aufstieg in die Bundesliga. Seit 2007 wird der Verein von Frank Schmidt (r.) trainiert. © IMAGO/Sportfoto Rudel/Herbert Rudel

Heidenheim ist einer der kleinsten Standorte im Profifußball, auch in der zweiten Bundesliga. Ist das ein Nachteil?

Das ist ein Denkfehler. Heidenheim ist als 50.000-Einwohner-Stadt vielleicht nicht so groß wie München oder Stuttgart. Aber uns ist es gelungen, die ganze Region hier für uns zu begeistern. Und die ist wirtschaftlich kerngesund und super aufgestellt. Klar, auch andere Städte haben ein großes Einzugsgebiet, aber nicht viele mit dieser wirtschaftlichen Potenz. Es gibt hier Ortschaften in der Nähe, die haben 10.000 Einwohner und vier, fünf Firmen, die in ihrer Nische Weltmarktführer sind. Ich höre da oft von Kollegen: Das gibt es ja gar nicht, was ihr hier für Strukturen habt. Unsere Region selbst ist sich dessen manchmal gar nicht richtig bewusst, und genau hier spielt der FCH eine wichtige Rolle.

Bei Heidenheim gibt es im Westen den VfB Stuttgart, im Osten den FC Augsburg.

Das ist richtig. Aber zwischendrin sind wir. Das heißt nicht, dass die Leute nicht auch mal nach Stuttgart oder Augsburg fahren und sich ein Bundesligaspiel anschauen. Aber die finden das, was wir machen und die Art, wie wir den Verein führen – mittelständisch und geerdet – trotzdem gut und identifizieren sich mit uns als 1. FC Heidenheim.

Sanwald sieht den 1. FC Heidenheim nicht mehr als Underdog

Sie sehen also keine Nachteile?

Natürlich sind die großen Klubs uns voraus, was Infrastruktur und wirtschaftliche Möglichkeiten anbelangt. Aber dadurch, dass wir uns erst durchsetzen mussten, haben wir einen klaren Plan und Werte entwickelt, für die der Verein 1. FC Heidenheim steht. Wir müssen nicht wie andere Vereine zwei oder drei Trainer gleichzeitig zahlen, das spart auch Geld. In der zweiten Liga sind wir deshalb wirklich kein Underdog mehr. Falls wir den Sprung in die Bundesliga schaffen würden, wäre das natürlich wieder anders. Aber wir kennen auch diese Situation schon von früheren Aufstiegen.

Schon jetzt gibt es Stimmen, die eine Verzwergung der Bundesliga fürchten, auch der mögliche Aufstieg des 1. FC Heidenheim wird dabei immer genannt. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?

Ich muss schmunzeln, wenn ich so etwas lese. Am Ende des Tages haben es doch die Vereine verdient, in der Bundesliga zu spielen, die den Aufstieg geschafft haben. Das Ligasystem lebt gerade davon, dass es atmet und immer Platz für Neues entsteht. Ohne das gäbe es beispielsweise auch nicht den 1. FC Kaiserslautern. Der FCK kommt auch aus keiner großen Stadt, aber hatte Ottmar und Fritz Walter und die großen 50er Jahre. Der FCK ist schon Deutscher Meister geworden und hat Champions League gespielt. Und heute sagt dir jeder zu Recht: Der FCK ist ein Traditionsverein.

Auf der anderen Seite: Was bringt der 1. FC Heidenheim der Bundesliga?

Mittlerweile wird ja nicht nur im Fußball viel über Nachhaltigkeit diskutiert. Wir sind ein nachhaltiger Verein, in jeglicher Hinsicht. Wir haben einen Cheftrainer, der die längste Amtszeit aller aktuellen Trainer im deutschen Profifußball hat, ich selbst habe vor 28 Jahren in der Landesliga als ehrenamtlicher Abteilungsleiter angefangen. Viele andere Vereinsverantwortliche und Führungskräfte sind auch schon seit Amateurzeiten dabei. Bei manchen anderen Vereinen haben die Verantwortlichen einen Zwei- oder Dreijahresvertrag und treffen dadurch auch andere Entscheidungen, weil sie nur daran denken müssen, bis morgen zu überleben. Bei uns ist das anders – wir könnten in der Glitzerwelt Bundesliga echte Werte, echte Stabilität und wirklich nachhaltige Entscheidungen bieten – ganz ohne Bling-Bling. Und falls wir in die erste Liga aufsteigen sollten, braucht auch niemand glauben, dass die Stadien leer sein würden, wir waren jetzt schon seit Wochen bei unseren Heimspielen ausverkauft. Auch auswärts waren zuletzt mehrfach um die 2.000 FCH-Fans mit dabei, in Regensburg rechnen wir sogar mit 4.000 bis 5.000 FCH-Fans.

Heidenheim-Vorstand Sanwald: "Wir planen, das Stadion zu vergrößern"

In dieser Saison liegt der Zuschauerschnitt noch bei etwas über 10.000.

Dazu muss man sagen: Corona hat uns bei den Zuschauerzahlen hart getroffen, noch vor der Pandemie hatten wir meistens zwischen 12 und 13.000 Zuschauern und damit eine Stadionauslastung von rund 90 Prozent. Aber die Leute hier in der Region sind sehr vorsichtig und verantwortungsbewusst. Man hat gemerkt, dass es gedauert hat, bis sie wieder das Vertrauen hatten, in die Voith-Arena zu gehen. Durch den sportlichen Erfolg hat sich dieser Prozess jetzt glücklicherweise beschleunigt, wir bekommen jetzt für jedes Spiel mehr Ticketanfragen, als wir anbieten können. Mittelfristig planen wir deshalb, die Voith-Arena von 15.000 auf 25.000 Plätze zu vergrößern - ligaunabhängig. Ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr zu dieser Zeit die Baugenehmigung dafür haben.

Wundert es Sie, dass viele Traditionsvereine mittlerweile schlechter da stehen als sie?

Mir ist klar, dass es bei diesen Vereinen mehr Leute gibt, die mitreden wollen. Und es herrscht mehr Ungeduld, das macht es unglaublich schwer. Das ist bei uns anders. Wir haben auch eine große Vergangenheit, waren Gründungsmitglied in der Oberliga Baden-Württemberg, aber eine große Profivergangenheit haben wir nicht. Ich verstehe, dass es Verantwortliche bei größeren Vereinen da teilweise schwerer haben. Aber das darf nicht dazu führen, zu sagen: Nur diese Vereine haben eine Existenzberechtigung.

Wie viel von ihrem jahrelangen Aufstieg war geplant, wie viel war Glück?

Vieles davon war geplant. Als ich 1995 im Verein als ehrenamtlicher Abteilungsleiter angefangen habe, brauchten wir ein Ziel, wir wollten nicht nur in der Landesliga von der Hand in den Mund leben. Die erste Vision, die wir entwickelt haben, war die Rückkehr in die Oberliga Baden-Württemberg. Dafür haben wir ein Konzept aufgestellt und es Schritt für Schritt abgearbeitet. Als wir nach neun Jahren in die Oberliga aufgestiegen sind, haben wir uns überlegt: Wie soll es jetzt weitergehen? War es das jetzt, oder können wir noch eine neue Vision entwickeln? Diese neue Vision hieß dann zweite Bundesliga.

Klingt einfach. Kann das jeder Verein schaffen?

Wir kriegen tatsächlich viele Anfragen von unterklassigen Vereinen aus ganz Deutschland, die wissen wollen, wie wir das gemacht haben. Ich versuche ihnen auch, das zu erklären: Man muss ein gutes Team bilden, einen schlauen Plan machen und gemeinsam beharrlich und nachhaltig daran arbeiten. Die Reaktionen darauf sind meistens: "Das ist alles? Nicht mehr?" Ja! Aber die Schwierigkeit ist, das auch durchzuhalten. In den 90er-Jahren hatten wir ein Freundschaftsspiel gegen den SC Freiburg. Danach hat mir der damalige Trainer Volker Finke bis tief in die Nacht an der Hotelbar erklärt, wie er das mit dem SCF erreicht hatte. Ich sagte darauf: "Herr Finke, das möchten wir auch gerne schaffen." Und er antwortete: "Das wird Ihnen wahrscheinlich nicht gelingen." Weil er wusste, wie hart sie dafür arbeiten mussten. Der SC Freiburg ist noch heute unser Vorbildverein, auch wenn sie uns natürlich 20 bis 30 Jahre voraus sind.

FCH-Vorstand hat keine Angst vor einem Abstieg

Freiburg ist mittlerweile Stammgast im europäischen Fußball. Ist die Grenze für den 1. FC Heidenheim mit einem möglichen Aufstieg in die Bundesliga erreicht?

Schon, als wir 2008 in die Regionalliga aufgestiegen sind, haben viele Leute gesagt: "Das geht gar nicht - da fahren wir ja nach Darmstadt, Kassel oder Unterhaching!" Danach sind wir direkt durchmarschiert in die 3. Liga. Ähnlich war es auch in den anderen Ligen. Und jetzt, wo wir in die erste Liga aufsteigen können, fragt jeder: Was wollen die denn in der ersten Liga? Das kann doch nicht klappen. Wunderbar! Im Ernst: Ich weiß auch nicht, ob wir es in der Bundesliga schaffen würden. Was ich weiß, ist: Wir würden es mit positiver Energie angehen, uns mit Herz und Leidenschaft wehren und schauen, ob wir an unsere Grenzen stoßen oder eben nicht.

Keine Angst, dass bald eine Krise kommt? Einen Abstieg hat der FCH noch nicht erlebt.

Das stimmt. Aber wovor sollten wir Angst haben? Wir gucken, wie weit wir kommen, und wenn es nicht funktioniert, dann müssen wir das akzeptieren. Außerdem haben wir immer auch einen Plan B.

Viele Vereine haben sich von ihrem Bundesligaabstieg aber nur schwer erholt.

Aber dann hätten wir immerhin diese Zeit gehabt. Ich weigere mich, diese negativen Gedanken zuzulassen. Wir haben ein gutes Konzept und gehen es damit weiter an. Das ist unsere Grundphilosophie, und die hat uns bis zu diesem Punkt gebracht.

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