Thomas Tuchel hat eine auf den ersten Blick ganz einfache Aufgabe: Der neue Trainer von Borussia Dortmund soll die vergangene Katastrophensaison vergessen machen. Und den BVB nach dem Abgang von Jürgen Klopp nebenbei ganz neu erfinden. Doch wie weit ist Tuchel mit dem Neuaufbau?

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Es ist die Stunde null bei Borussia Dortmund, der Start in eine hoffentlich erfolgreiche neue Epoche. Zum Trainingsauftakt am Montag ist der Umbau bei Borussia Dortmund hinter den Kulissen zumindest bereits abgeschlossen. Der Abgang des zuletzt nicht mehr unumstrittenen Fitnesstrainers Dr. Andreas Schlumberger zu den Bayern war der letzte Mosaikstein im Umbau des Betreuer- und Trainerteams. Thomas Tuchel bringt seinen langjährigen Co-Trainer Arno Michels mit, dazu Athletiktrainer Rainer Schrey und den Scouting- und Videoanalysten Benny Weber vom FSV Mainz 05.

Dazu wird die Spiroergometrie, eine spezielle Atemgasanalyse zur Kohlenhydrat- und Fettverbrennung der Spieler, neu ins Programm aufgenommen. Damit und mit Hilfe individuell gestalteter Trainingspläne soll die Verletzungsanfälligkeit der letzten Saison deutlich minimiert werden.

Der Kader des BVB ist viel zu groß

Ganz so unproblematisch stellt sich die Situation innerhalb des Kaders aber nicht dar. Kevin Großkreutz (Kniebeschwerden), Nuri Sahin (Schambeinverletzung) und Adrian Ramos (Knöchelblessur) sind noch immer verletzt; Matthias Ginter, Milos Jojic und Moritz Leitner haben nach der U-21-EM noch Sonderurlaub. Ebenso wie Ciro Immobile, der am Sonntag Vater geworden ist.

Die vielen Ausfälle täuschen über den ziemlich aufgeblähten Kader hinweg. Tatsache ist aber, dass momentan 30 Spieler viel zu viel sind für einen geregelten Trainingsbetrieb. Neben den zurückgekehrten Leihspielern Leitner (der den Verein allerdings verlassen darf), Marvin Ducksch und Jonas Hofmann hat die Borussia mit Roman Bürki, Gonzalo Castro und Julian Weigl auch noch drei Spieler verpflichtet - aber mit Zlatan Alomerovic bislang lediglich einen verkauft. Dazu kommt noch Sebastian Kehl, der seine Karriere beendet hat.

Mitch Langerak schließt sich zwar dem VfB Stuttgart an, Jojic verhandelt mit dem 1. FC Köln und Immobile liebäugelt mit einer Rückkehr nach Italien. Doch dafür bleiben Ilkay Gündogan und Roman Weidenfeller. Ein Szenario, das vor nicht einmal einer Woche noch undenkbar schien.

Gündogan hat vergangene Woche schon mit einigen Äußerungen seine persönliche Rolle rückwärts vorbereitet und dürfte nach einem Gespräch mit Tuchel am Wochenende nun definitiv mindestens noch ein Jahr für Schwarz-Gelb auflaufen. Der FC Bayern München und der FC Barcelona waren lange Zeit die beiden Top-Optionen für den 24-Jährigen - nun haben beide Klubs Abstand genommen von einer Verpflichtung.

Deshalb nun die Kehrtwende, die allen Beteiligten aber fast nur Nutzen bringen wird. Gündogan hat eine komplette Saison Zeit, um sich wieder auf das sportliche Niveau zu bringen, das er vor seiner langen Verletzung hatte. Der BVB bekommt einen überragenden Mittelfeldspieler quasi zurück, den er bei einer entsprechenden Entwicklung in einem Jahr deutlich teurer verkaufen kann, als es jetzt der Fall gewesen wäre.

Eine neue Mentalität muss her

Dass auch Weidenfeller bleibt und sogar auf einen Konkurrenzkampf um die Nummer eins gegen Bürki hoffen darf, kommt ziemlich überraschend. Damit bleiben Tuchel bis auf Kehl alle Stützen der alten Jürgen-Klopp-Mannschaft erhalten. Das ändert aber nichts daran, dass das Team eine neue Mentalität und ein verändertes Spielsystem benötigt.

Sollte der fußballerisch starke Bürki den Kampf ums Tor gewinnen, steht das Aufbauspiel der Mannschaft einem neuen, stärkeren Fundament. Von Castro erhoffen sich die Verantwortlichen mehr Ordnung und Struktur und ganz besonders auch Torgefahr aus dem zentralen Mittelfeld.

In der abgelaufenen Saison erzielten Sven Bender, Sebastian Kehl, Milos Jojic, Kevin Großkreutz, Oliver Kirch und Kevin Kampl keinen einzigen und Nuri Sahin lediglich einen Treffer. Castro war zwar auch kein echter Torjäger, kam aber immerhin auf elf Scorerpunkte (zwei Tore, neun Assists).

Sollte sich ein Abnehmer für Immobile finden, wäre der Weg frei für weitere Zugänge. Namen sickern kaum durch, von einem angeblichen Interesse an Andrew Ayew von Olympique Marseille war zu lesen. Oder von Andrija Zivkovic, einem erst 18-jährigen, dazu relativ unbekannten Flügelspieler von Partizan Belgrad. Viel wichtiger als einzelne Spieler dürfte aber der neue Geist sein, den Tuchel der Mannschaft vermitteln muss.

"Fleiß, Bescheidenheit, Mut, Offenheit und Beharrlichkeit", hatte er bei seiner Präsentation eingefordert. Da passte es ganz gut, dass er den BVB nach einem schlechten Jahr zunächst in die Rolle des Jägers verortete. "Wir sind ein Herausforderer für nationale Titel. Ein Herausforderer für die Spitze mit Bayern München, Mönchengladbach, Leverkusen und Wolfsburg. Wir haben einen Rückstand, die vier erwähnten Mannschaften haben es gelernt zu gewinnen. Wir müssen trainieren und aufholen!"

Natürlich hat es Tuchel bisher vermieden, einen konkreten Tabellenplatz als Ziel zu formulieren. Aber die Stoßrichtung ist klar: Es soll zurückgehen in die Champions League. Das allein ist schon schwer genug. Borussia Dortmund muss sich dazu ganz nebenbei noch neu erfinden.

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