- Im Berliner Olympiastadion schaut sich der Schiedsrichter die entscheidende Szene noch einmal in der Review Area an, obwohl er zuvor richtig entschieden hat.
- Er tut das aus eigenem Antrieb, aufgrund der besonderen Brisanz der Partie.
- In Bremen hingegen hätte ein On-Field-Review besser nicht stattgefunden.
67 Minuten waren im Berliner Stadtduell zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union (0:2) gespielt, die Gäste aus Köpenick führten mit 1:0, als sich jene Szene ereignete, in der letztlich das Spiel entschieden wurde.
Bei einem Angriff der Gastgeber kam es im Strafraum von Union zu einem Zweikampf zwischen Rani Khedira und dem Herthaner Marc Oliver Kempf. Dabei kam Kempf zuerst an den Ball, den einen Sekundenbruchteil später auch Khedira spielte, bevor er mit dem vorderen Teil des Fußes seinen Gegenspieler an der Fußseite traf.
Kempf ging zu Boden, doch Schiedsrichter Felix Brych ließ weiterspielen. Union konterte blitzschnell, Paul Seguin vollendete den Spielzug mit dem Treffer zum 0:2.
Doch war der Fußeinsatz von Khedira gegen Kempf wirklich regulär? Oder hätte es statt des Tores für Union einen Elfmeter für die Hertha geben müssen? Felix Brych begab sich jedenfalls zum Monitor am Spielfeldrand, um sich die Szene noch einmal anzuschauen. Danach blieb er bei seiner Entscheidung.
Warum sich Felix Brych für ein On-Field-Review entschied
Dieses On-Field-Review kam allerdings nicht deshalb zustande, weil Video-Assistent Pascal Müller der Ansicht war, dass der Referee einen klaren und offensichtlichen Fehler begangen hatte. Vielmehr ging der Unparteiische aus eigenem Antrieb in die Review Area.
Im Interview des Senders Sky erläuterte er später seine Gründe. "Mein Eindruck auf dem Platz war, dass es ein harter Zweikampf war, aber kein Foul, weil ich gesehen habe, dass Rani Khedira auch den Ball gespielt hat", sagte er. Nach dem Tor habe er gleichwohl Kontakt zum VAR aufgenommen. "Er hat mir die Szene beschrieben und gesagt, dass es auch für ihn vertretbar ist, weiterlaufen zu lassen."
Doch "aufgrund der Brisanz des Spiels und auch aufgrund der Brisanz der Spielsituation habe ich mich selber entschieden, rauszulaufen", so Brych weiter. Seine Wahrnehmung auf dem Feld sah er am Monitor bestätigt: "Harter Zweikampf, aber Khedira spielt auch den Ball. Beide Spieler gehen letztlich gleichzeitig in den Zweikampf, und damit war es für mich völlig in Ordnung, es laufen zu lassen und das Tor zu geben."
Was die Regularien für den VAR sagen
Das On-Field-Review sei zwar eigentlich "nicht nötig, nicht erforderlich und nicht gefordert" gewesen, fuhr Felix Brych fort. "Aber es war eine ganz wichtige Situation, potenziell spielentscheidend, und ich wollte dem Rechnung tragen."
Die Regularien und Anweisungen für den Einsatz des VAR geben dieses Vorgehen her. Zwar soll es bekanntlich prinzipiell nur zu einem On-Field-Review kommen, wenn der Schiedsrichter in einer spielrelevanten Situation einen klaren und offensichtlichen Fehler begangen oder einen schwerwiegenden Vorfall übersehen hat.
Doch kann der Referee im Ausnahmefall auch ein solches Review durchführen, wenn es ihm hilft, "eine Entscheidung zu verkaufen, um ihre Akzeptanz zu erhöhen", wie es im Handbuch des International Football Association Board für die Video-Assistenten heißt.
Das ist natürlich subjektiv, und mancher wird einwenden, dass es für den Unparteiischen nicht erforderlich ist, eine richtige oder zumindest akzeptable Entscheidung noch einmal in Augenschein zu nehmen. Auf der anderen Seite hat sich der Referee hier in einer Partie mit besonderem Zündstoff abgesichert, als es zur Schlüsselszene kam.
Khediras Einsatz war regelkonform
Schließlich hätte eine Aberkennung von Seguins Treffer auch bedeutet, dass ein Elfmeter für Hertha fällig gewesen wäre, mit der möglichen Folge, dass es danach 1:1 statt 0:2 gestanden hätte. Und ohne das On-Field-Review hätten vermutlich viele kritisiert, dass sich Felix Brych diese knifflige Szene nicht noch einmal angesehen hat.
Die Entscheidung selbst ging allemal in Ordnung. Denn Khedira spielte erst deutlich den Ball, berührte ihn also nicht nur geringfügig. Der anschließende Kontakt gegen Kempfs Fuß bei der Abstellbewegung hatte keine Intensität, die gewichtiger gewesen wäre als das vorherige Spielen des Balles.
Es war zwar keine Situation ohne jeglichen Ermessensspielraum, aber insgesamt sprach erheblich mehr für Brychs Sicht der Dinge, als dafür, das Tor zu annullieren und Hertha einen Strafstoß zuzusprechen.
Pekarik und der "Abstützarm"
Neun Minuten nach dieser Szene forderte Union einen Strafstoß, als Peter Pekarik den Ball nach einem Torschuss von Niko Gießelmann im Torraum der Hertha mit der linken Hand aufhielt. Doch auch in diesem Fall entschied sich Felix Brych gegen einen Strafstoß.
Gegenüber Sky hob er hervor, die Szene auf dem Feld genauso wahrgenommen zu haben, wie später in den Fernsehbildern. "Ich habe dem Video-Assistenten und den Spielern gesagt, dass es der Abstützarm ist, also kein strafbares Handspiel", sagte der Referee.
Damit meinte er, dass Pekarik den Arm nicht zum Aufhalten des Balles eingesetzt hatte, sondern um sich damit im Fallen auf dem Rasen abzustützen. Eine solche Bewegung ist natürlich und dient der Balance des Körpers oder dem Abfangen eines Sturzes. Deshalb soll ein etwaiges Handspiel mit dem betreffenden Arm oder der Hand nicht geahndet werden.
Tatsächlich sprach auch in dieser Situation viel dafür, den Vorgang so zu bewerten, wie der Schiedsrichter es tat. Auch der VAR habe die Entscheidung im Spiel bestätigt, so Felix Brych, "und in diesem Fall gab es kein Erfordernis, noch einmal hinauszulaufen".
Yannick Gerhardt ist "fassungslos"
Ein Handspiel im Strafraum gab es auch in der Begegnung zwischen dem SV Werder Bremen und dem VfL Wolfsburg (2:1). In der 21. Minute köpfte der Bremer Marvin Ducksch den Ball nach einer hohen Hereingabe in den Wolfsburger Strafraum zunächst zu seinem Mitspieler Jens Stage, der ihn mit dem Fuß halbhoch zurücklegte.
Der Wolfsburger Yannick Gerhardt lenkte den Ball mit der linken Hand ab, die Niedersachsen konnten klären. Schiedsrichter Daniel Siebert ließ weiterspielen, doch dann intervenierte VAR Günter Perl, und es kam zu einem On-Field-Review. Anschließend entschied der Unparteiische auf Strafstoß für die Bremer, den Niclas Füllkrug zum 1:0 verwandelte.
Über die Entscheidung war Gerhardt "fassungslos", wie er nach dem Spiel sagte, schließlich sei seine Distanz zu Stage und dem Ball gering gewesen. Siebert habe diesen Einwand im Gespräch auch akzeptiert, jedoch argumentiert, "dass meine Hand sich nach dem Kontakt nach oben bewegt". Gerhardt fand es aber "schwierig, dass das allein ein Kriterium für den Elfmeter sein soll".
Der Schiedsrichter hatte also im On-Field-Review eine unnatürliche Vergrößerung des Körpers wahrgenommen, die nach dem Regelwerk gegeben ist, "wenn die Hand-/Armhaltung weder die Folge einer Körperbewegung des Spielers in der jeweiligen Situation ist noch mit dieser Körperbewegung gerechtfertigt werden kann".
Sieberts ursprüngliche Entscheidung war korrekt
Mit dieser etwas missverständlichen Formulierung ist gemeint, dass beispielsweise das Abspreizen der Arme sehr wohl eine natürliche Bewegung sein kann, nämlich dann, wenn sie nicht dazu dient und mit ihr nicht in Kauf genommen wird, den Ball mit dem Arm oder der Hand zu berühren.
Das ist etwa dann der Fall, wenn sich der Spieler in einer normalen, fußballtypischen Laufbewegung befindet oder seine Arme erkennbar dazu nutzt, um in der Balance zu bleiben oder Schwung zu holen. In Bremen bewegte sich Gerhardt nach Duckschs Kopfball auf Stage und den Ball zu, um einen Zweikampf zu führen. Er bremste ab, als sein Gegenspieler zuerst an den Ball kam, und breitete die Arme etwas aus, um im Gleichgewicht zu bleiben.
Davon, dass und wie Stage den Ball nach hinten spielte, wirkte der Wolfsburger überrascht, ihm blieb aufgrund der sehr kurzen Entfernung auch kaum Reaktionszeit, was vor allem in der Realgeschwindigkeit zu erkennen ist.
Ein absichtliches Handspiel kann man ihm deshalb nicht unterstellen, eine Vergrößerung des Körpers dagegen lag zwar vor – aber eben keine unnatürliche. Denn Gerhardts Armhaltung war, um es in der Regelsprache zu formulieren, die Folge einer normalen Ausgleichsbewegung beim Abstoppen und mit dieser natürlichen Körperbewegung auch zu rechtfertigen.
Deshalb sprach viel mehr dafür, dass die Entscheidung, die Daniel Siebert aus günstigem Blickwinkel und bei freier Sicht auf dem Feld getroffen hatte, die richtige war – nämlich die, weiterspielen zu lassen. Zumindest aber war sie nicht klar und offensichtlich falsch. Deshalb wäre der Eingriff des VAR hier nicht erforderlich gewesen.
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