Der Stuttgarter Torhüter Ron-Robert Zieler hat für eines der kuriosesten Eigentore der Bundesligageschichte gesorgt, weil er beim Einwurf eines Mitspielers nicht aufgepasst hat. Paradox ist: Das hätte er vermeiden können, wenn er noch unachtsamer gewesen wäre.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ron-Robert Zieler dürfte besonders erleichtert gewesen sein, als Schiedsrichter Tobias Welz am Samstag die Partie zwischen dem VfB Stuttgart und Werder Bremen (2:1) abpfiff.

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Denn eine Unachtsamkeit des Stuttgarter Torhüters nach 68 Minuten hatte zum skurrilen Ausgleichstor für die Gäste geführt. Der VfB schien sich mit einem Punkt zufrieden geben zu müssen, doch Gonzalo Castro bügelte das Missgeschick seines Keepers mit dem Siegtor aus.

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Zielers ungewöhnlicher Lapsus führte zu einem der kuriosesten Eigentore in der Bundesligageschichte. Regeltechnisch interessant war es außerdem.

Was war passiert? Der Stuttgarter Borna Sosa hatte bei einem Einwurf den Ball zu Zieler zurückgeworfen. Der war allerdings damit beschäftigt, sich die Strümpfe zu richten, und bemerkte die Kugel deshalb erst sehr spät.

Der fahrige Versuch des Schlussmanns, sie mit dem Fuß zu stoppen, ging daneben. Er berührte den Ball nur leicht, dann hoppelte das Spielgerät ins Tor. Die Gastgeber schlugen ihre Hände über dem Kopf zusammen.

Wie Zieler das Eigentor hätte vermeiden können

„Es gab eine Auswechslung“, versuchte Zieler später, seinen Blackout zu erklären. „Ich habe den Pfiff, dass es weitergeht, nicht gehört und nicht damit gerechnet, dass der Ball so präzise und schnell zurückgeworfen wird.“

Dabei hätte er das Gegentor paradoxerweise verhindern können, wenn er noch unaufmerksamer gewesen wäre und den Ball gar nicht getroffen hätte.

Denn für jede Spielfortsetzung gilt: Bringt der Spieler, der sie ausführt, den Ball regulär ins Spiel und befördert er ihn dabei direkt, also ohne weitere Berührung, ins eigene Tor, dann zählt der Treffer nicht, sondern es gibt einen Eckstoß für die gegnerische Mannschaft.

Der Grund dafür ist, dass aus dem Vorteil in Form des Ballbesitzes – zu dem es gekommen ist, weil der Gegner für eine Spielunterbrechung gesorgt hat – nicht direkt ein Nachteil in Form eines Gegentreffers werden soll.

Die Regelhüter vom International Football Association Board (IFAB) wollen aber auch nicht, dass ein solcher Fauxpas ganz ohne Konsequenzen bleibt. Daher gibt es, wenn beispielsweise ein Freistoß oder ein Einwurf direkt ins eigene Tor geht, einen Eckstoß für das gegnerische Team. Das ist gewissermaßen der Mittelweg.

Erinnerungen an ein Eigentor vor 36 Jahren

Auch bei einem Strafstoß, einem Eckstoß und einem Abstoß wäre das so. Allerdings ist es fast unmöglich, aus diesen Spielfortsetzungen ein Eigentor zu erzielen. Denn dafür bedürfte es der Unterstützung in Form eines sehr starken Windes.

Wird die Kugel bei einem Schiedsrichter-Ball von demjenigen Spieler, der sie als Erster berührt, direkt ins eigene Tor geschossen, hätte das ebenfalls einen Eckstoß zur Folge.

Dass ein Torwart den Einwurf eines Mitspielers in den eigenen Kasten lenkt, ist ein Novum in der Bundesliga. Ein Eigentor durch das Abfälschen eines gegnerischen Einwurfs hat es dagegen schon einmal gegeben, und zwar vor etwas mehr als 36 Jahren.

Auch damals profitierte Werder Bremen davon: Am ersten Spieltag der Saison 1982/83 versuchte Jean-Marie Pfaff, der seinerzeitige Schlussmann des FC Bayern München, im Weserstadion einen weiten Einwurf von Uwe Reinders mit den Händen aufzuhalten.

Er kam jedoch nur mit den Fingerspitzen an den Ball, der anschließend zum 1:0 ins Tor ging. Bei diesem Resultat blieb es bis zum Abpfiff.

Der Einwurf, die unterschätzte Regel

Wie Zieler wäre es auch für Pfaff besser gewesen, den Ball nicht zu berühren. Denn wenn ein Einwurf direkt ins gegnerische Tor geworfen wird, geht das Spiel mit einem Abstoß weiter.

Der Grund dafür ist, dass es seltsam wäre, wenn beim Fußball ein Treffer zählen würde, bei dem der Ball in hohem Bogen mit den Händen ins gegnerische Tor befördert worden ist.

Ausdrücklich erlaubt ist es dagegen, den Gegner beim Einwurf leicht anzuwerfen, um im Ballbesitz zu bleiben. In der Praxis wird diese Möglichkeit jedoch nur selten genutzt – wie auch die Tatsache, dass das Abseits bei Einwurf aufgehoben ist.

Die heutige Einwurfregel gilt übrigens im Wesentlichen seit über 130 Jahren. Die FIFA lässt zwar immer mal wieder bei internationalen Jugendfußballturnieren die Variante testen, den Ball einzuschießen statt einzuwerfen, nachdem er die Seitenlinie überschritten hat. Ins Regelwerk übernommen worden ist diese Option jedoch bislang nicht.

Seit dieser Spielzeit ist übrigens in den Regeln festgelegt, dass ein Einwurf unbedingt im Stehen ausgeführt werden muss. Vorher wäre das theoretisch auch auf eine andere Art und Weise möglich gewesen. Manchmal werden Lücken eben erst geschlossen, wenn sie jemand entdeckt.

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