Es war der 13. Oktober 1995, als erstmals eine Frau in der ersten Bundesliga der Männer auf den Rasen trat. Für Gertrud Gebhard war das nur einer von vielen "Sie schrieb Geschichte"-Meilensteinen ihrer Karriere.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Petra Tabarelli (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als Bibiana Steinhaus-Webb vor sechs Jahren erstmals ein Spiel in der Bundesliga der Männer leitete, war sie zuvor ganze zehn Jahre Spielleiterin in der nächstniedrigeren Liga gewesen. Angeblich wollte man sie trotz guter Leistung nicht ins Oberhaus heben aus Sorge vor dem Trubel, der über sie hereinbrechen könnte. Nun, Fürsorge ist oft gut gemeint, aber nicht immer gut gemacht – insbesondere bei Frauen, die schon zuvor mehrere Male im Rampenlicht gestanden sind.

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Und Steinhaus-Webb war zudem nicht die erste Frau in der 1. Bundesliga: Das war 22 Jahre zuvor Gertrud Regus, so Gebhards Geburtsname. An sie erinnern sich aber nur wenige.

Wer war Gertrud Gebhard, geborene Regus?

1980 absolvierte die Fränkin ihre Schiedsrichterinnenprüfung und fand binnen zwei Saisons nicht nur ihre Linie als Spielleiterin, sondern allgemeine Akzeptanz. Im Magazin der Schiedsrichtergruppe Bamberg fasste sie es so zusammen: "In meinen ersten beiden Spielzeiten habe ich 13 rote Karten gebraucht. Die habe ich die nächsten zehn Jahre insgesamt nicht gebraucht." Binnen dieser Dekade erhielt sie ihr Fifa-Abzeichen – mutmaßlich als erste deutsche Frau - und wurde für internationale Spiele nominiert.

1991 nahm ihre Karriere sichtbar an Fahrt auf. Sichtbar, weil sie mehrere Spiele erhielt, die mediale Aufmerksamkeit erfuhren und sie jährlich mehrere Wände durchbrach. Noch 1991 war sie die erste deutsche Schiedsrichterin, die ein Frauen-Länderspiel leitete; außerdem nahm sie nicht nur als Assistentin an der WM der Frauen in China teil, sondern wurde für das Finale nominiert. Ja, auch international war ihre Klasse bekannt.

1992 folgte die Nominierung für das Finalspiel der Frauen im DFB-Pokal und der Aufstieg als Schiedsrichterassistentin in die damals drittklassige Regionalliga der Männer – jeweils als erste Frau im deutschen Fußball überhaupt. Nach nur einer Saison stieg sie in die 2. Bundesliga auf, zwei Jahre später in die 1. Bundesliga.

Ohne Worte

Die Kommentare in der Sportberichterstattung zu Gebhards Leistungen zeigen, dass man sich damals weder sprachlich noch das Niveau betreffend keineswegs seit der denkwürdigen, misogynen Sportstudio-Sendung von 1970 mit Wim Thoelke geändert hatte. Und liest man heute Kommentare, wenn eine Frau ein Männerspiel kommentiert, sieht man: Selbst bis heute hat sich nichts verändert. Lediglich die Gegenrede ist ein wenig lauter geworden, kommt aber weiterhin zu 95 von Frauen.

Es wurde in dieser Zeit mehr über Gertrud Gebhard gesprochen als mit ihr. Monatelang wurde in der Boulevardpresse diskutiert, wie, wann und wo sie denn duscht. Etwa mit ihren Kollegen zusammen? Sie wurde gefragt, was denn ihre heißeste Szene in der Umkleidekabine war. Und die Frauenzeitschrift (!) Gala stellte ihr eine Tapferkeitsmedaille aus, weil, naja, sie assistierte bei einem Spiel von Schalke und … Carmen Thomas hat ja vor Jahren mal Schalke 05 gesagt, das muss man sich ja erstmal trauen, gell. Höhö.

Ein richtiger WTF-Moment.

Eine Frau an der Seitenlinie in der 1. Bundesliga

Noch kurz vor ihrem Debüt sagte sie in der Berliner Zeitung: "Ich bin Schiedsrichterin mit Leib und Seele. Und ich bin weiblich. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe mich auf dem gleichen Weg qualifiziert wie meine männlichen Kollegen."

Am 13. Oktober 1995 war sie also die erste Frau, die in der 1. Bundesliga der Männer auf den Rasen lief. Es war im Schalker Parkstadion und der 1. FC Kaiserslautern war zu Gast. Ihr Debüt verläuft geräuschlos – zumindest während der 90 Spielminuten und auf dem Platz. Medial wurde sie bedrängt, beantwortete die sinnvollen Fragen gewohnt nüchtern.

Ihr nächstes Spiel im Oberhaus der Männer erhielt sie erst am 4. Oktober 1996: Bayer 04 Leverkusen gegen Hansa Rostock. Der mediale Rummel hielt an und sie äußerte den Wunsch, dass es dringend noch mehr Frauen in der Bundesliga brauche, damit sie nicht so auffalle. Weitere Spiele assistierte sie in der 2. Bundesliga und in der Regionalliga.

"Ohne Perspektive"

Angeblich lief während dieser Saison nicht alles wunschgemäß aus Sicht des DFB. Sie wurde informiert, dass sie aus der Regionalliga absteigen muss – und damit auch aus dem Profifußball. Als Begründung wurde ihr mitgeteilt, dass sie ohne Perspektive sei.

Ohne Perspektive. Eine Frau, die sich binnen kürzester Zeit mit Fairness und Respekt national und international, im Frauen- und Männerbereich einen Namen gemacht hatte und die binnen weniger Jahren das WM-Finale, DFB-Pokal-Finale und die höchste Liga im Männerfußball erreicht hatte. Ohne Perspektive.

Es ist nur zu verständlich, dass Gertrud Gebhard solch eine Begründung und einen solchen Umgang nicht akzeptierte. Es folgte eine interne Auseinandersetzung mit dem Verbandsschiedsrichterausschuss, der dazu führte, dass der DFB sie von der Fifa-Liste streichen ließ.

Rücktritt 1997

1997 erklärte sie verbittert ihren Rücktritt aus allen Spielklassen.

Ebenso abrupt verloren auch die Medien das Interesse an ihr. Nachfragen kamen kaum und wenn sie kamen, wurden sie nicht beantwortet.

Aber sie kehrte der Schiedsrichterei nicht den Rücken zu, sondern war viele Jahre Beobachterin für die Bamberger Schiri-Gruppe und erhielt 2010 das Verbandsabzeichen in Gold als Anerkennung des Bayerischen Fußballverbandes für die letzten 30 Jahre.

Nachdem ihre Tochter die Ausbildung zu Schiedsrichterin absolviert hatte, begann auch Gertrud Gebhard wieder Spiele zu leiten – im Amateurbereich. Für ihre Pionierarbeit und ihr jahrzehntelanges Engagement als Schiedsrichterin wurde sie jüngst von der Schiedsrichtergruppe Bamberg für ihr Lebenswerk geehrt.

Konstanz und Normalität – ein weiter Weg?

Die Causa Gertrud Gebhard ist ein Musterbeispiel für so viel im Fußball, das bis heute gang und gäbe ist und von dem Bibiana Steinhaus-Webb, Stéphanie Frappart und viele weitere Frauen ein Lied singen können. (Und das nicht nur als Schiedsrichterin, sondern auch als Spielerin, Trainer, Journalistin und so weiter.)

Da ist zum einen die Ambivalenz zwischen Sichtbarkeit schaffen, um jungen Frauen und Mädchen zu zeigen: Schau, da leitet eine Frau ein Männerspiel in der Regionalliga … in der Champions League! Das ist kein Traumschloss mehr, sondern Realität und du kannst das auch erreichen!

Auf der anderen Seite ist der mediale Rummel ermüdend, ja, bisweilen sogar nervend, wenn aus jedem kleinen Fitzelchen direkt eine Schlagzeile gemacht wird. "Stéphanie Frappart is the first female referee of a men’s football match at Wembley" – so oder so ähnlich titeln derzeit viele englische Zeitungen angesichts des bevorstehenden Länderspiels der Three Lions gegen Australien. Und demnächst dann eine Eilnachricht, wenn erstmals eine Frau einem englischen Spieler eine gelbe Karte in Wembley zeigt?

Wie Gebhard schreibt Frappart nun aktuell ständig Geschichte und es ist großartig, dass das möglich ist. Man denke nur zurück, wie viel sich in den letzten drei, vier Jahren für Schiedsrichterinnen im Männerfußball getan hat. Aber es ist wie Anfang der 1990er bei Gebhard: Es fehlt erstens an Konstanz und zweitens an Mitstreiterinnen. Wie viel besser wäre es doch, wenn wir Sätze wie "Frappart leitet in dieser Hinrunde bereits ihr fünftes Saisonspiel in der Königsklasse" lesen oder von anderen Frauen hören, die zeitgleich mit Frappart Geschichte als Schiedsrichterin schreiben. Stattdessen ist Frapparts erster und einziger Einsatz in der Champions League der Männer bald drei Jahre her.

Es wird Zeit, dass Schiedsrichterinnen nicht mehr einfach nur Geschichte schreiben, sondern Normalität werden.

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