Im Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft tummelt sich die Weltklasse, Bundestrainer Joachim Löw hat die Qual der Wahl. Mit einem Ilkay Gündogan in Galaform hat Löw aber fast eine Art Neuzugang in der Hinterhand, der bei der Weltmeisterschaft von entscheidender Bedeutung werden könnte.

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Ilkay Gündogan trottete als Letzter aus den Katakomben im Jöggeli, dem Jakobs Park in Basel. Der Mannschaftsbus von Manchester City war da längst Richtung Hotel abgefahren.

Wenige Stunden zuvor hatte er seine Mannschaft mit einer überragenden Leistung und zwei Toren zu einem ungefährdeten 4:0-Sieg gegen den FC Basel dirigiert, mit der anschließenden Dopingkontrolle hatte der deutsche Nationalspieler aber offenbar etwas mehr Probleme als mit seinen Schweizer Gegenspielern an diesem Abend.

Es war der erste große Auftritt für Gündogan seit langer Zeit. Die K.-o.-Runden der Champions League werden nicht nur in England oder Deutschland aufmerksam verfolgt, sondern weltweit.

Der wichtigste Beobachter nach seinem Vereinstrainer Pep Guardiola dürfte aber Joachim Löw gewesen sein. Der Bundestrainer bewies ein feines Gespür bei seinem Trip nach Basel und sah einen Gündogan in WM-Form. Mindestens.

Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht für Löw und Gündogan zugleich. "Ich habe mitbekommen, dass Jogi Löw auch im Stadion war. Er hat zwei Tore von mir gesehen und Leroy Sané wurde dann nach seiner Verletzungspause auch noch eingewechselt. Ich gehe mal davon aus, dass er seinen Ausflug nicht bereut hat", sagte Gündogan in die Mikrofone, ehe er sich ins Auto setzte und Richtung Mannschaftshotel davonfuhr.

Vier Jahre Verletzungspech

Es ist ja nichts weniger als die wichtigste Spielzeit seiner Laufbahn, die Gündogan derzeit bestreitet. Seit fast fünf Jahren werfen ihn immer wieder schwere Verletzungen zurück.

Erst setzte ihn eine ominöse Rückenverletzung über ein Jahr lang außer Gefecht, dann sprang ihm die Kniescheibe heraus.

Im Dezember 2016 riss er sich in einer harmlos wirkenden Spielsituation im Heimspiel gegen den FC Watford das Kreuzband.

Die Reha zog sich elendig lange hin, erst nach neun Monaten konnte Gündogan das Knie wieder voll belasten und ins Mannschaftstraining einsteigen.

Durch die Verletzungen hat er eine Weltmeisterschaft, eine Europameisterschaft und in seinen Klubs an die 200 Pflichtspiele verpasst. Jetzt ist er für ManCity wieder zurück auf dem Platz und auf dem besten Weg, eine zentrale Figur in einer der derzeit besten Mannschaften der Welt zu werden.

City hat in dieser Saison jetzt schon mehr Pflichtspiele in allen Wettbewerben gewonnen als in der gesamten letzten Spielzeit - was unter Umständen auch ein wenig damit zu tun haben könnte, dass Gündogan endlich wieder mithelfen kann.

Gündogan hat das gewisse Etwas

"Ilkay ist ein fantastischer Mittelfeldspieler mit einer großen Persönlichkeit, der uns in der ersten Jahreshälfte 2017 sehr gefehlt hat", lobte ihn sein Trainer Guardiola am späten Dienstagabend.

Auch der andere, Löw, hatte sich da wohl schon entsprechende Gedanken gemacht.

Gündogan hat sein letztes Pflichtspiel im DFB-Dress im November 2016 bestritten, für Löw ist der Mittelfeldspieler für die anstehende WM in Russland in diesem Sommer daher fast eine Art Neuzugang.

Löw hat gerade im zentralen Bereich des Spielfelds unzählige Möglichkeiten und verschiedene Spielertypen mit Weltklasseformat. Und trotzdem ist Gündogan ein ganz besonderer Spieler.

Seine Vororientierung und Antizipationsfähigkeit sind enorm, kaum einer kann sich aus engen Räumen so gut lösen und bringt dazu noch derart große strategische Fähigkeiten mit.

Er kann in der Zentrale sowohl den defensiven als auch den offensiven Part spielen und selbst als zentraler Regisseur hinter der oder den Spitzen wäre Gündogan einsetzbar - auch wenn es diese Position im System von Löw eigentlich nicht gibt.

Gündogan hat dieses gewisse Etwas, er muss auf dem Platz nicht lange überlegen, was als nächstes zu tun ist. Er ist im Kopf schneller als seine Gegenspieler, hält alles im Fluss.

Und er hat den Mut, es auch mit den raubeinigen Verteidigern der Premier League im Zweikampf aufzunehmen.

Das schätzt sein Vereinstrainer ganz besonders an ihm - "dieses Tempo, mit dem er auf die Verteidiger zuläuft und die dann auszuspielen versucht. Andere Mittelfeldspieler drehen in diesen Situationen ab und passen den Ball."

Übrigens: Als sich Pep Guardiola einst für einen Weggang aus München entschied und bei Manchester City unterschrieb, verpflichtete er als ersten von mittlerweile sehr vielen Spielern: Ilkay Gündogan von Borussia Dortmund.

Bleibt er endlich gesund?

Bei Joachim Löw wird Gündogan nicht von vorne anfangen müssen, ein Platz im Team des Titelverteidigers ist aber auch für einen Hochbegabten wie ihn kein Selbstläufer. Es wird ein heftiges Gedränge geben im deutschen Mittelfeld.

Toni Kroos dürfte gesetzt sein, ziemlich sicher auch Mesut Özil. Leon Goretzka gilt als Geheimwaffe, Sami Khedira ist als Führungspersönlichkeit immer gefragt.

Die Chancen stehen nach den bisherigen Eindrücken dieser hervorragenden Saison aber nicht so schlecht, dass Gündogan auch für den Weltmeister der "game changer" werden kann, den Guardiola in ihm sieht. Ein Spieler, der noch ein paar Nuancen besser ist als andere.

Aber eben auch einer, der in den letzten Jahren anfällig war für Verletzungen. Deshalb wird es für den Bundestrainer bis zuletzt eine Zitterpartie bleiben, ob sich Gündogan Ende Mai gesund zum Dienst melden kann.

Bislang verläuft Ilkay Gündogans wichtigste Saison seiner Karriere aber nahezu perfekt. "Ich will die Champions League gewinnen und die WM spielen", hat er während seiner letzten langen Verletzungspause gesagt. "Ich will einfach nur spielen."

Selbst neutrale Beobachter dürften ihm das gönnen. Die deutsche Nationalmannschaft jedenfalls wäre mit Gündogan noch eine Spur besser.

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