Die Niederlage gegen Fußball-Zwerg Island ist für die Engländer schwer zu verdauen. Nach dem Rücktritt von Trainer Roy Hodgson soll alles besser werden – wieder einmal.
Die Vorfreude auf die Europameisterschaft war in England groß. Die "Three Lions" sollten die enttäuschende EM 2012 und WM 2014 vergessen machen. Die Vorzeichen standen gut: Als einzige Nation gewann England alle zehn Qualifikationsspiele.
Die Offensive galt als weltklasse. Aufstrebende Talente wie der 21-Jährige Raheem Sterling und der 18-Jährige Marcus Rashford brachten frischen Wind rein. Als England Ende März in einem Testspiel sogar Weltmeister Deutschland mit 3:2 bezwang, war die Euphorie groß. Drei Monate später ist davon wenig übrig geblieben.
"Die schlimmste Niederlage unserer Geschichte"
Die Vorrunde war durchwachsen, das Achtelfinal-Aus gegen Island ein Desaster. Der englische Ex-Nationalspieler und Kommentator Gary Lineker sagte im Fernsehen: "Das ist die schlimmste Niederlage unserer Geschichte. England ist von einem Land geschlagen worden, das mehr Vulkane als Fußballprofis hat." Auch die englischen Zeitungen sind entsetzt. The Sun schreibt von einer Schande, die Daily Mail von der ultimativen Erniedrigung.
Die englische Nationalmannschaft hat laut transfermarkt.de einen Gesamtwert von 477 Millionen Euro. Der gesamte Kader von Island ist nicht einmal ein Zehntel davon wert. Mit logischen Ansätzen ist nicht zu erklären, warum die Engländer in diesen 90 Minuten keine Lösung fanden.
Vielleicht ist es Schicksal
Vielleicht ist es einfach ihr Schicksal, in den entscheidenden Partien zu versagen. Seit einem Jahrzehnt wartet England auf einen Sieg in der K.o.-Runde einer EM oder WM. Besonders bitter ist die Bilanz bei Europameisterschaften: Mit Ausnahme von 1996 (im eigenen Land) wurde noch nie ein Spiel gewonnen, bei dem es ums Weiterkommen ging.
Während Deutschland zum Beispiel das Sieger-Gen zugesprochen wird, scheint England ein Verlierer-Gen zu haben. Manchmal scheitern sie am Elfmeterpunkt, manchmal aufgrund eines Patzers ihrer chronisch schwachen Torhüter. Gegen Island traf Letzteres zu. Joe Hart, der eigentlich als der beste englische Torhüter seit vielen Jahren gilt, sah beim 1:2 ganz schlecht aus.
Trainer Roy Hodgson zieht Konsequenzen
Trainer Roy Hodgson übernahm direkt nach Spielende die Verantwortung und erklärte seinen Rücktritt. Der 68-Jährige wäre ohnehin nicht mehr tragbar gewesen. Mit vielen umstrittenen Entscheidungen hat er sich angreifbar gemacht.
Warum hat er im letzten Vorrundenspiel gleich sechs Spieler ausgetauscht und den Gruppensieg leichtfertig verschenkt? Warum hat er Torjäger Rashford gegen Island erst drei Minuten vor Spielende eingewechselt? Warum wurde Jamie Vardy meist nur als Einwechselspieler gebracht?
"Es ist Zeit für jemand anderen, um zu übernehmen", sagte der Trainer bei seiner Rücktrittsverkündung.
Kaum waren diese Worte ausgesprochen, begannen die Spekulationen um die Nachfolge. Laut der Sun zählt
Redknapp empfiehlt eher einen alten Hasen. Über Alan Pardew, Eddie Howe, Arsene Wenger und Hodgsons Co-Trainer Gary Neville wird ebenfalls spekuliert. Wer auch immer die Funktion des Nationaltrainers übernimmt: Ihm steht eine schwere Aufgabe bevor!
England mit einem der jüngsten EM-Kader
Die englische Nationalmannschaft wurde zuletzt stark verjüngt. Mit einem Durchschnittsalter von 25,9 Jahren hat England einen der jüngsten Kader der EM. Doch ist das Nachwuchsproblem, das dem Mutterland des Fußballs seit Jahren treu ist, nicht komplett beseitigt.
Die Fernsehverträge bringen in England so viel Geld ein, dass selbst die Vereine aus der Abstiegszone beliebig viele Top-Spieler aus aller Welt holen. 68 Prozent aller Premier-League-Spieler stammen laut "statista" aus dem Ausland. Zum Vergleich: In Italien sind es 53 Prozent, in Deutschland 48, in Spanien nur 38.
Um sich weiterzuentwickeln, müssten manche junge Engländer den Schritt ins Ausland wagen, wo sie bereits im jungen Alter ein Führungsspieler wären. Doch wäre ein Wechsel zu einem Mittelklasseverein in der Bundesliga oder der Serie A mit Gehaltseinbußen verbunden. Dazu sind viele englische Talente nicht bereit. Der Beweis: England ist die einzige Nation bei der Europameisterschaft, bei der kein einziger Nationalspieler im Ausland spielt.
Immerhin nahm die Anzahl an Vereinen, die auf Talente setzen und damit erfolgreich sind, zuletzt zu. Tottenham Hotspur vertraut jungen Engländern wie Harry Kane, Eric Dier oder Dele Alli und qualifizierte sich so für die Champions League.
Möglicherweise wird der Brexit diese Entwicklung beschleunigen. Die Verpflichtung ausländischer Spieler könnte erschwert werden, sodass der eigene Nachwuchs mehr Verantwortung übernehmen muss.
Nur braucht es dann einen Trainer, der aus dem "Rohmaterial" an Spielern eine echte Mannschaft formt. Diese muss dann auch dem Druck eines Großturniers gewachsen sein. Roy Hodgson gelang das genauso wenig wie seinen Vorgängern. Und so heißt es wieder einmal: Der Nächste, bitte.
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