Rassismus äußert sich im Fußball auf unterschiedliche Art und Weise. Wir haben mit der Kriminologin Dr. Thaya Vester über die Gründe, Auswirkungen und mögliche Maßnahmen gesprochen.

Ein Interview

Die U17-Junioren sind Weltmeister. Es ist eine vielversprechende Fußballer-Generation. Jugendliche, die Hoffnungen wecken, dass sie eines Tages auch in der A-Nationalmannschaft erfolgreich sein können. Doch trotz des Erfolgs wurden sie während der WM zur Zielscheibe von Rassismus. Und wenn davon sogar Dr. Thaya Vester überrascht wird, ist ohne Frage eine neue Qualität erreicht.

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Denn die Kriminologin ist unter anderem Mitglied der DFB-Projektgruppe "Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen", sie beschäftigt sich zudem intensiv mit Gewalt und Diskriminierung im Fußball. Mit ihr haben wir uns über Rassismus im Netz, auf den Plätzen und Gründe, Auswirkungen und mögliche Maßnahmen unterhalten.

Frau Vester, wir hatten zuletzt bereits über Gewalt im Fußball gesprochen. Sie sagten, der Fußball sei in der Hinsicht nicht kaputt, aber ramponiert. Wie ist der Status Quo beim Thema Rassismus?

Dr. Thaya Vester: Im Prinzip ist es ähnlich, der Status Quo ist nicht gut. Durch die sozialen Medien wird Rassismus offenkundiger. Jeder kann alles schreiben und in die Welt 'hineinkotzen'. Und dann steht das da erstmal. Und dadurch werden bestimmte Einstellungen sichtbarer als früher, wodurch der Eindruck vermittelt werden könnte, dass es rassistischer zugeht. Das heißt, die sozialen Medien spielen durchaus eine große Rolle, was die Wahrnehmung betrifft.

Wie bei den U17-Junioren zuletzt, die rassistisch angegriffen wurden.

Das ist eine neue Qualität, die mich überrascht hat. Es hat sich bislang das Muster gezeigt, dass bei Misserfolgen bestimmte Spieler herausgepickt wurden und dass dann die Herkunft auf einmal eine Rolle spielte. Doch jetzt haben wir das sogar schon im Erfolgsfall. Das ist noch einmal eine ganz neue Dimension. Rassistische Entgleisungen sind immer schlimm, aber jetzt richtet sich das gegen Jugendliche, die erfolgreich für unser Land Fußball spielen. Objektiv betrachtet ist es ein Wahnsinn.

Wie desillusionierend sind diese Kommentare? Das sind ja im Grunde noch Kinder ...

Jetzt kann man sich überlegen, was dahintersteckt, was das für Mechanismen sind, was das für Menschen sind, die das Bedürfnis haben, diese Jugendlichen, die erfolgreich für Deutschland kicken, abzuwerten. Wie gerade erläutert, kamen solche Entgleisungen in der Vergangenheit vor allem dann vor, wenn beispielsweise ein wichtiges Spiel verloren wurde. Da gab es also einen akuten Stimulus, der dann Negatives freisetzt. Wenn so etwas nun aber im Erfolgsfall geäußert wird, spricht einiges dafür, dass das rassistische Denken tiefer verankert ist.

Verbände zum Beispiel verurteilen das Ganze immer aufs Schärfste, so auch der DFB bei der U17. Reicht das?

Diese Statements sind sehr wichtig, aber sie bleiben oft allgemein. Noch wichtiger ist, dass darüber hinaus etwas unternommen wird. Entscheidend ist der wirklich einzelne rechtliche Schritt, der sich niederschlägt bei einer Einzelperson. Und der dann auch für andere sichtbar werden muss. Denn wann unterlassen Menschen Dinge? Wenn sie davon ausgehen müssen, dass sie erwischt werden und dass es harte Konsequenzen gibt.

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Was raten Sie Jungs wie den U17-Fußballern?

Es ist traurig und schlimm, dass sich sozusagen diejenigen, die davon betroffen sind, auch noch darum kümmern und eine Strategie finden müssen, wie man damit umgeht. Für die psychische Gesundheit wäre es am besten, das komplett zu ignorieren. Aber die Realität ist eine andere. Und vor allem bei jungen Menschen, denn die haben gar keine Chance, das nicht an sich heranzulassen. Und das macht was mit jungen Menschen. Im Prinzip ist das Umfeld gefragt. Und da braucht es ein professionelles Umfeld, das das moderiert. Also persönliche Berater, Vereine und auch die Verbände.

"Andere stumpfen ab und andere kommen damit gar nicht klar"

Wie erleben Sie es, wie Betroffene damit umgehen?

Das ist sehr individuell und hängt auch davon ab, wie selbstsicher sie sind und wie groß der Umfang des Rassismus ist, der da auf sie einprasselt. Manche bekommen das gut verarbeitet. Andere stumpfen ab und nochmal andere kommen damit gar nicht klar. Und dann wirkt sich das vielleicht auch irgendwann noch auf die Leistung aus, die sie nicht mehr abrufen können. Was dann auch wieder negative Folgen hat.

Welche Möglichkeiten haben Betroffene generell?

Was interessant ist bei Hate Speech: Wenn man mit den Hatern ins Gespräch kommt, rudern die oft ganz schnell zurück. So kann man die Leute vielleicht nochmal aufrütteln.

Vor allem aber sind Justiz und die Plattformen gefragt. Was tut sich da?

Die Plattformen möchten, dass Traffic generiert wird. Durch was, ist denen erstmal egal. Die wollen gar nicht proaktiv aussortieren, sondern immer nur dann, wenn es von ihnen eingefordert wird. Dementsprechend wäre es wichtig, dass andere Personen eine Art Gegenrede schreiben. Das passiert auch, aber es müsste vielleicht noch mehr passieren. Wenn die Betreiber nicht von sich aus dem Quark kommen, dann ist die Zivilgesellschaft gefragt, sie dazu zu bringen, indem man noch mehr Kommentare meldet oder zur Anzeige bringt, damit es nicht hingenommen wird. Und die Justiz muss dann genauso durchgreifen.

Wie würden sie die Situation bezogen auf den Rassismus im Netz momentan beschreiben? Wie schlimm ist es?

Es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Dass vor allem die Betreiber ihren Pflichten nachkommen und gegen solche Dinge entsprechend vorgehen. Und dass alles schneller geht. Denn wenn Sie online etwas melden, sei es bei Betreibern oder bei der Polizei, ist es teils erschreckend, wie lange Dinge weiterhin im Netz bleiben. Und das führt dazu, dass sowohl die Betroffenen als auch die Täter das Gefühl vermittelt bekommen, dass es okay ist, so etwas zu machen.

Wie äußert sich der Rassismus auf den Plätzen?

Das ist schwieriger zu beantworten als bei der Gewalt, weil wir bei verbalen Äußerungen ein noch viel größeres Dunkelfeld haben. Denn wenn es darum geht, Vorfälle zu melden, wird längst nicht alles erfasst. Das hat unterschiedliche Gründe. Schiedsrichter müssen zum Beispiel intensiver geschult werden, was eine Diskriminierung ist und was noch eine Beleidigung. Dazu gibt es auch Unterschiede zwischen den Landesverbänden, wo bei dem einen "du schwule Sau" eine Diskriminierung, ein paar Kilometer weiter aber eine Beleidigung ist. Da steckt der DFB gerade mitten im Prozess, das Ganze zu vereinheitlichen. Und das dauert dann nochmal eine ganze Weile, bis es zur Basis durchschlägt.

Ist der Rassismus auf den Plätzen gerade besonders schlimm? Oder ist man besonders sensibilisiert?

Wir sind sensibler, aber es spricht auch sehr viel dafür, dass gerade sehr viel los ist auf den Plätzen. Steigerungen in Statistiken können aber auch auf etwas ganz anderes hinweisen. Nämlich, dass Schiedsrichterschulungen und Aufklärungsprogramme erfolgreich sind. Dann werden die Zahlen zwangsläufig steigen. Dann haben wir möglicherweise 300 Prozent mehr Diskriminierungen im Fußball, aber es ist nur eine Verschiebung vom Dunkel- ins Hellfeld. In dem Fall wären die steigenden Zahlen sogar eher ein Erfolg, weil Vorfälle nicht mehr unter dem Radar bleiben.

Bei der Gewalt haben wir vom Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft gesprochen. Gilt das auch für Rassismus?

Manchmal ist es ein Brennglas. So oder so ist es auf alle Fälle ein Gradmesser. Man merkt, wie aufgeheizt die Stimmung ist und wie emotional die Debatten geführt werden, wenn wir jetzt diese Besonderheit haben, dass Jugendliche im Erfolgsfall rassistisch angegangen werden. Das deutet darauf hin, dass es eine Thematik ist, die unsere Gesellschaft sehr beschäftigt.

Im Netz ist es vor allem die vermeintliche Anonymität, die Leute zu Rassismus verleitet. Was ist es in der Öffentlichkeit?

Ich muss diese Einstellungen in mir drin haben, sonst würden sie nicht rauskommen. Und dann ist es tatsächlich der Punkt, dass diese Menschen offenkundig das Gefühl haben, dass man das sagen kann. Und da kommen wir zu dem Punkt, dass man darüber reden muss, was man an Sanktionen oder Gegenwehr benötigt. Die Normenkontrolle funktioniert auf den Plätzen nicht so ausgeprägt, wie es erforderlich wäre, um einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen. Es gibt zwar durchaus Menschen, die einschreiten. Es passiert nur nicht so flächendeckend.

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"Generell ist der Verband auf einem guten Weg"

"Der deutsche Profifußball ist nun einmal auf Führungsebene meist weiß und männlich", sagte Daniela Wurbs von der Beratungsstelle "Kick In!" für Inklusion im Fußball. Muss sich strukturell etwas ändern?

Ich tue mich schwer damit, pauschal zu sagen, dass beim DFB alle männlich, alt und weiß sind. Das grundsätzliche Problem wurde erkannt und generell ist der Verband auf einem guten Weg, es schlägt sich nieder in den Satzungen und in den Normen. Aber ja, bei der tatsächlichen Umsetzung haben wir auf alle Fälle noch Potenzial und Verbesserungsmöglichkeiten. Es ist immer leicht, DFB-Bashing zu betreiben. Damit tut man aber sehr vielen Menschen beim DFB, im Hauptamt und im Ehrenamt, Unrecht. Denn dort arbeiten sehr viele engagierte junge Menschen, die sehr werteorientiert sind und die den Fußball verändern möchten.

Und wie kann die Politik helfen? Passiert hier zu wenig?

Im Bereich Rassismus gab es in den letzten Jahren von der Politik deutlichere Signale und mehr Unterstützung als bei dem Gewaltthema. Und es gibt sichtbarere Erfolge. Es gibt zum Beispiel das Projekt "Fußball Verein(t) gegen Rassismus", das vom Bundesinnenministerium gefördert wird. In dessen Rahmen gibt es verschiedene Pilotstandorte, wo es zum Beispiel um die Etablierung eines Beschwerdemanagements vor Ort geht. Da gab es bereits ein paar wichtige Impulse. Doch egal, ob es um Gewalt oder Diskriminierung geht: Es gilt, die guten Konzepte, die es gibt, dann auch wirklich umzusetzen.

Wie kann man denn auf den Sportplätzen vorbeugende Maßnahmen ergreifen?

Indem man zuallererst deutlich auf die Werte hinweist. Kampagnen mit Bannern, Flaggen, Plakaten oder Durchsagen werden oft belächelt. Dabei wird aber unterschätzt, wie wichtig solche Symbole sind. Dazu könnte man, wenn man schon negative Erfahrungen gemacht hat, zusätzliche Ordnungskräfte abstellen. Allein die Präsenz kann ausreichend sein.

Beim Rassismus gilt es zu vermitteln, dass nicht weggehört wird. Und dass Meldestrukturen vereinfacht werden. Im Idealfall gäbe es auf jedem Fußballplatz einen riesigen QR-Code oder viele Aufkleber auf den einzelnen Stadionsitzen, wo man niedrigschwellig per Smartphone eine Meldung abgeben kann. Zum einen können Vorfälle dadurch erfasst und dann auch verfolgt werden. Auf der anderen Seite hat es möglicherweise bereits im Vorfeld eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter. Makkabi Deutschland hat jüngst einen Online-Meldebutton kreiert, den Sportvereine und Verbände bei sich auf der Webseite integrieren können. Das ist sehr positiv, und das bräuchten wir im Prinzip für alle anderen Diskriminierungs- oder Rassismusformen.

Zivilcourage gibt es bereits. Passiert das aber noch zu selten?

Das ist schwierig zu beurteilen, da sich ja keine Statistik darüber führen lässt, wann sich wie viele Menschen richtig beziehungsweise unterstützend verhalten haben. Trotzdem machen betroffene Spieler das häufig noch ganz mit sich allein aus. Und haben dann das Gefühl, dass sie noch besser werden müssen, damit sie niemand mehr kritisiert.

Auch Cacau, den ich als Menschen sehr schätze, hat genau das immer wieder erzählt, als er Integrationsbeauftragter beim DFB war. Also, dass er die Antwort dann einfach auf dem Platz geben wollte. Das ist als persönliche Bewältigungsstrategie auch legitim und nachvollziehbar. Dennoch finde ich das problematisch, weil das kann und soll ja nicht die Lösung sein. Und auch nicht von Funktionärsseite vorgeschlagen werden. Stattdessen braucht es deutliche Statements, dass sich niemand so etwas gefallen lassen muss.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Thaya Vester ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Außerdem ist sie Mitglied der DFB-Projektgruppe "Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen" sowie der DFB-Expert*innengruppe "Fair Play – gegen Gewalt und Diskriminierung".
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