Die deutsche U-17-Nationalmannschaft schafft den Einzug ins WM-Finale und zeigt: Die deutschen Fußball-Fans können endlich wieder mit einer Nationalmannschaft mitfiebern.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Man darf spätestens jetzt wohl den großen Gary Lineker bemühen, um die Auftritte der deutschen U-17-Nationalmannschaft bei der WM in Indonesien auf einen Nenner zu bringen: Linekers Bonmot um das einfache Spiel mit den 22 Spielern, an dessen Ende immer die Deutschen gewinnen, ist aktueller denn je.

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Denn was die Mannschaft von Trainer Christian Wück in jedem einzelnen Spiel bisher an Einsatzwillen, Kampfkraft und Widerstandsfähigkeit an den Tag legt, ist nicht nur bemerkenswert. Es ist ein Lichtblick in einer ansonsten trüben Phase für den Deutschen Fußball-Bund, der dringend positive Schlagzeilen benötigt und diese nun von seinen 17- und 18-jährigen Jungs geliefert bekommt.

Der Einzug der deutschen U 17 ins Finale der Welttitelkämpfe, der erst zweite in der Geschichte dieses Turniers überhaupt und der erste seit 1985, ist eine Blaupause dafür, wie alle Mannschaften des DFB eigentlich auftreten sollten - und wonach sich die Fanseele nach den zuletzt leblosen Vorstellungen der A-Nationalmannschaft sehnt.

Deutschland überwindet "Schockstarre"

Mit ihren Spielen in der Gruppenphase und in den engen K.o.-Spielen gegen die USA und die hoch gehandelten Spanier hatte sich die Mannschaft schon vor der Partie gegen Topfavorit Argentinien in die Herzen der deutschen Fans gespielt. Am Dienstagvormittag setzte das Team dann in einer hochdramatischen Partie gegen Argentinien sogar noch einen drauf.

Nach der Energieleistung gegen die USA und der Abwehrschlacht gegen Spanien zeigte die deutsche Mannschaft gegen die Argentinier ihre vermutlich beste Turnierleistung: Über eine stabile Defensivleistung fand die deutsche Offensive zunächst vor allem bei schnell vorgetragenen Kontern statt.

Der Rückstand zur Pause nach zwei späten Gegentreffern der Argentinier als Antwort auf Paris Brunners Führung brachte eine ganz andere Seite der Mannschaft zum Vorschein und erwies sich fast schon als Glücksfall.

Jedenfalls war Trainer Wück mit den ersten 45 Minuten gar nicht zufrieden, sprach danach von einer "Schockstarre", in die sich seine Mannschaft hineinmanövriert hatte. Umso wichtiger sei deshalb die Befreiung in der zweiten Halbzeit gewesen. "Da waren wir dann griffiger, haben mutig nach vorne gespielt, waren viel aggressiver als die Argentinier. Auch deshalb bin ich so stolz: weil die Mannschaft ihr Spiel umstellen konnte", sagte Wück bei "Sky".

DFB-Elf durch nichts zu stoppen

In der zweiten Hälfte war Deutschland tatsächlich das fußballerisch bessere Team, hatte bis in die Nachspielzeit hinein die besseren Chancen und führte nach Toren von erneut Brunner und Mittelstürmer Max Moerstedt verdient mit 3:2.

Der abermalige Ausgleich der Argentinier durch den dritten Treffer von Agustin Ruberto in der siebten Minute der Nachspielzeit zog das Momentum nur scheinbar wieder auf die Seite des Gegners: Im anschließenden Elfmeterschießen waren es die deutschen Spieler, die einmal mehr ihre Nerven besser im Griff hatten.

Selbst die letzte Volte des argentinischen Trainers Diego Placente, nach dem späten Ausgleich und extra für das Elfmeterschießen noch den Torhüter auszuwechseln, zielte ins Leere. Diese deutsche Nationalmannschaft ließ sich auf ihrem Weg ins Endspiel partout nicht stoppen.

"Ersatzkeeper" Heide wird zum nächsten Helden

Im Vorfeld der Partie war viel über die deutschen Tugenden zu lesen und zu hören, über Kampf, Wille, Entschlossenheit und Effizienz, und ein bisschen fühlten sich ältere Beobachter an die Debatten der 80er und 90er Jahre über die deutsche A-Nationalmannschaft erinnert. Die U 17 hat aber deutlich mehr zu bieten als "nur" diese Attribute. Zu einer erstaunlichen Resilienz kommt auch ein besonders ausgeprägter Teamgedanke und spielerischer Witz und Esprit.

Das macht dann auch alle Widrigkeiten wett, mit denen sich die Mannschaft fast seit Turnierbeginn herumplagen muss. Im Halbfinale saß eine halbe Mannschaft verletzt, angeschlagen oder erkrankt nur auf der Tribüne.

Im sechsten Spiel binnen nur 16 Tagen, bei drückender Hitze von rund 30 Grad und einer abenteuerlichen Luftfeuchtigkeit am Spielort Surakarta dann so eine Leistung auf den Platz zu bringen, jedem erneuten Rückschlag zu trotzen: Das macht große Mannschaften aus - und vielleicht sogar auch den neuen Weltmeister.

Dass der "Ersatzkeeper" Konstantin Heide von Drittligist Unterhaching nicht erst im Elfmeterschießen mit zwei gehaltenen Elfern zum Held des Tages wurde, passt perfekt ins Bild: Im Viertelfinale noch hatte die eigentliche Nummer eins Max Schmitt die Spanier mit seinen Paraden noch zur Verzweiflung getrieben. Nun erledigte diesen Job eben sein erster Stellvertreter.

Wück: Die Jungs geben ihr Herz für unser Land"

Beim Finale am Samstag um 13 Uhr gegen Frankreich soll nun auch der letzte Schritt hin zum ersten WM-Titel für eine deutsche U 17 überhaupt gemacht werden. Auf diese Jungs wartet das größte Abenteuer ihrer noch jungen Karriere - und eine letzte Gelegenheit, ihre ganz eigenen Antworten zu geben.

"Ich glaube, dass Deutschland mittlerweile sehr stolz auf das Team ist", so Wück in Anspielung auf die Hass-Kommentare, die während des Turniers immer wieder in den sozialen Medien veröffentlicht wurden. "Rassistische Kommentare von ein paar Idioten werden wir nicht verhindern können, die gibt es leider auf der ganzen Welt", so Wück.

Aber: "Die Jungs geben ihr Herz für unser Land, sie sind alle in Deutschland geboren, sind alle stolz, mit dem Adler auf der Brust spielen zu dürfen. Das ist eine ganz große Ehre, und genau das merkt man. Wenn man diesen Idioten noch mehr Raum gibt und über sie redet, haben sie genau das erreicht, was sie wollen."

Auch deshalb will die deutsche Mannschaft noch ein letztes Mal Taten folgen - und ihre Fans zu Hause mitfiebern lassen.

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