Schalkes Timo Baumgartl kritisierte Trainer und Taktik sachlich, aber öffentlich. Er wurde dafür bestraft. Wollen die Klubs keine mündigen Profis, sondern nur Phrasendrescher? Und was sagen die Fans dazu? Wir haben mit einem Kommunikationswissenschaftler und einem Fanforscher darüber gesprochen.
Die Floskelkiste ist geräumig. "Den Bock umstoßen", "den Kopf oben behalten", "von Spiel zu Spiel schauen" - den eintönigen Brei bekommt man in der Bundesliga Woche für Woche aufgetischt. Die Sätze sind so beliebig austauschbar wie nichtssagend, das Lavieren durch die Floskeln und Phrasen des Fußballs gehört zum Geschäft. Deshalb muss man die wohltuenden Ausnahmen unter PR-Sprech-Statisten immer akribischer suchen. Die Spieler, die nicht das nachbeten und aufsagen, was keiner hören will. Sondern die klar und deutlich ansprechen, was Sache ist.
Timo Baumgartl hat das auf Schalke getan – und wurde für seine sachliche, aber öffentlich geäußerte Kritik an Ex-Trainer Thomas Reis und dessen Taktik bestraft. Abgewatscht. Aus Fansicht seien Aussagen wie die von Baumgartl großartig, sagt Fanforscher Harald Lange im Gespräch mit unserer Redaktion: "Für Anhänger sind Informationen aus allererster Hand am wertvollsten". Deshalb kommt die Strafe für den Spieler bei den Anhängern des Zweitligisten auch nicht gut an. "Die allermeisten Fans finden es unangemessen, diesem Spieler einen Maulkorb zu verpassen. Stattdessen würden sie dieses Beispiel gerne zum Anlass nehmen, um auch andere Spieler dazu zu ermuntern", so Lange. Vor allem Fans kritisieren seit vielen Jahren, dass sie nur noch aalglatte Spielerstatements bekommen. "Es gibt zu wenig Typen, wird häufig gesagt, die auch mal anecken", sagt Lange.
Fans haben sich an Phrasen gewöhnt
Ein Großteil der Fankultur habe sich daran gewöhnt, dass alles weichgespült daherkomme, dass alles eine große PR-Maschinerie sei, sagt Lange. Das Thema ist allerdings nicht im Ansatz wichtig genug, als dass die Fans protestieren würden und dem Verein zu verstehen geben, dass das nicht der richtige Weg ist, nach so einem Statement so zu reagieren. "Ich gehe aber ganz fest davon aus, dass sich die Fans wünschen würden, dass es mehr von solchen Spieler-Positionen geben würde", betont Lange. "Und das würde dem Verein auf lange Sicht zugutekommen, weil man sich dann als Verein öffnet und authentischer wirkt."
Der Verein hat allerdings in vielen Fällen andere Interessen. Die Klubs wollen den Spielern nicht per se den Mund verbieten, betont Kommunikationswissenschaftler Michael Schaffrath im Gespräch mit unserer Redaktion. Er geht davon aus, dass die Spieler ihre Meinung sagen können und durchaus auch kritisch sein dürfen, "aber eben nur intern". Das ist in der Debatte für ihn der entscheidende Punkt: "Öffentliche Kritik an Vorgesetzten über die Medien ist immer kontraproduktiv oder gar gefährlich. Intern willkommen, extern immer gefährlich." Denn klar: Oft ist schwer abzuschätzen, welche Eigendynamik solche Aussagen entwickeln. Ebenso klar: Auch in anderen Wirtschaftsunternehmen ist öffentliche Kritik an Führungspersonen ein No-Go.
Im Fußball konterkariere dies zudem das Miteinander in der Gruppe, die am Wochenende wieder auf dem Platz harmonieren solle, sagt Schaffrath und schlussfolgert: "Und der Fußball als Geschäft würde darunter leiden. Der vermeintliche Unterhaltungsfaktor, den öffentliche Streitereien kurzfristig für die Medien und die Öffentlichkeit besitzen, gefährden langfristig den sportlichen Erfolg und damit auch die Vermarktbarkeit eines Clubs".
Fataler Schalker Fehler
Schalke bezeichnete die Strafe gegen Baumgartl als "Denkpause", der 27-Jährige musste in der vergangenen Woche mit der U23 trainieren und eine Geldstrafe zahlen, der Abwehrspieler fehlte zudem bei der 1:3-Niederlage beim SC Paderborn. Die Pointe der Posse: Reis wurde noch vor der Pleite entlassen. Laut Schaffrath hat Schalke "komplett falsch reagiert", da das Team aus disziplinarischen Gründen sportlich geschwächt worden sei: "Eine hohe Geldstrafe wäre sicher die sinnvollere Maßnahme gewesen." Die Reis-Entlassung sei zudem "richtig fatal", da das Schalker-Management "doch indirekt zugibt, dass Baumgartls Kritik eine gewisse Berechtigung gehabt haben muss".
Grundsätzlich sieht Fanforscher Lange im Hintergrund eine PR-Strategie der Klubs, mit der sie die Spieler nach außen "marionettengleich" halten möchten, und das zu allen Fragen, die den Fußball, den Sport, den Verein, die Fußball-Kultur betreffen. "Dahinter steht eine Art Steuermythos, dass man meint, man könnte das Image, man könnte das Spiel, man könnte das Bild vom Verein in der PR-Abteilung vom Reißbrett aus planen und so zielorientiert nach außen bringen." Was dafür spricht: Schriftliche Interviews werden von den Vereinen in der Regel autorisiert, die Antworten also freigegeben. Nicht selten kommt es vor, dass kritische Passagen entschärft oder ganz gestrichen werden. Dazu setzen die Klubs vermehrt auf seichtes, vereinseigenes TV, was mit kritischem Journalismus wenig bis gar nichts zu tun hat.
Was zudem auffällt: In anderen, den vermeintlich kleineren Sportarten wie Handball, Basketball oder Eishockey, gibt es kaum eine verbale Leine für die Spieler, die das auch selbst gerne nutzen und mit mehr Authentizität glänzen und punkten können. Warum ist das Phänomen gerade im Fußball so verbreitet? "In einer immer ausdifferenzierteren und mehr und mehr auseinanderfallenden Gesellschaft ist der Fußball eine vielleicht letzte gesellschaftliche Integrationsoption. Fußball ist leicht zu verstehen. Jeder und jede kann mitreden. Und Fußball emotionalisiert. Deshalb ist diese Sportart auch global von so hohem Interesse", sagt Schaffrath. Aber deshalb stehe der Fußball auch unter so großer öffentlicher Beobachtung, so der Experte: "Und wer sich in dieser Öffentlichkeit bewegt, der muss sich öffentlich entsprechend verhalten und auch artikulieren."
Medien machen es den Fußball-Profis leicht
Schaffrath nimmt allerdings die Medien auch in die Pflicht, denn der Sportjournalismus mache es den Spielern sehr leicht, mit Phrasen durch ein (Live)-Interview zu kommen. "Die Fragen der Interviewerinnen und Interviewer sind doch oft auch ziemlich redundant, da darf man von den Spielern nichts anderes erwarten als Phrasen." Dabei hätten die Vereine gar keine Angst vor mündigen Profis, glaubt der Medienexperte. "Ich denke sogar, sie würden sich noch mehr mündige Profis wünschen, als es im Profifußball gibt." Aber zur Mündigkeit eines Spielers gehöre es eben auch, dass er seine Kritik intern äußere: "Eine solche Kritik lassen die souveränen Trainer und Funktionäre dann auch zu und reflektieren diese."
Beide Experten gehen davon aus, dass sich in Zukunft an dem Bild nichts ändern wird. Während Lange sich trotzdem sicher ist, dass Vereine hinsichtlich ihrer Fans von mehr Offenheit profitieren können ("Fans sehnen sich danach, authentische Einblicke zu bekommen. Da könnten Vereine einen Zahn zulegen"), sieht Schaffrath das anders. "Die Vereine müssen Interesse wecken und Schlagzeilen schaffen über ihren sportlichen Erfolg auf dem Platz und nicht über Aktionen neben dem Platz", sagt er. Für ihn ist daher klar: "Es ändert sich nur etwas, wenn alle Player etwas ändern wollten."
Zu den Gesprächspartnern:
- Prof. Dr. Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Zuvor war er unter anderem Professor für Sportpädagogik an einer Pädagogischen Hochschule (2002-2009) und Gastprofessor an der Universität Wien (2008-2009).
- Prof. Dr. Michael Schaffrath leitet den Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München. Die Forschungsschwerpunkte des Kommunikationswissenschaftlers sind Sportjournalismus, Sport-PR, Sport im Radio, Sportkommentierung im Fernsehen sowie Journalismus und Doping.
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