Um den Neue-Deutsche-Welle-Hit "Major Tom" und die deutsche Nationalmannschaft entstand zuletzt ein Hype. Wir haben mit Fanforscher Harald Lange darüber gesprochen, warum das Lied perfekt passt und warum es für das DFB-Team noch wichtig werden könnte.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Liedzeile passt perfekt. "Dann hebt er ab", heißt es im Refrain des Songs "Major Tom" von Peter Schilling. Tatsächlich hob der Kultsong aus den 1980er-Jahren zuletzt bei der deutschen Nationalmannschaft ab – und wie. Quasi aus dem Nichts ging der Song viral und wurde zum Gegenstand emotionaler Diskussionen, ihn beim DFB-Team doch als Tor-Hymne einzusetzen.

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Sogar eine Online-Petition gab es, die über 70.000 Menschen unterschrieben. Mit dem Ergebnis, dass "Major Tom" beim 2:1-Sieg des DFB-Teams gegen die Niederlande nach dem ersten Treffer tatsächlich gespielt wurde.

Für Fanforscher Harald Lange ist der Erfolg von "Major Tom" keine große Überraschung. "Der Song hat schon etwas, das ganz gut zum Torjubel passt. Im Unterhaltungskontext ist das eine gute Auswahl", sagt Lange im Gespräch mit unserer Redaktion.

Man kennt das Lied, es ist beliebt, der Text ist einfach, man kann ihn mitgrölen. Das Ganze ist dabei melodisch, klangvoll und unter dem Strich wird auch noch ein "Wir"-Gefühl" erzeugt. Wichtige Faktoren für den Erfolg eines Songs bei Fußball-Fans, die in der Hinsicht wählerisch sind.

"Und mit der geballten PR-Kraft von adidas ist es in dem Fahrwasser wunderbar gelungen, das als Idee für einen Tor-Jingle zu verbreiten. Und durch Social Media wurde das tausendfach geteilt und gefordert", sagt Lange.

Der Neue-Deutsche-Welle-Hit und der adidas-Werbespot

Die ursprüngliche Idee hatte Entertainer Tommi Schmitt, der in seinem Podcast "Copa TS" bereits im Herbst 2023 das Lied als Tor-Hymne ins Spiel brachte.

Viral ging das Ganze dann aber Mitte März durch einen adidas-Werbespot zum neuen Trikot, denn der Spot war unterlegt mit dem Neue-Deutsche-Welle-Hit. In den sozialen Medien wurden daraufhin Tore der Nationalmannschaft mit dem Song kombiniert und es wurde gefordert, ihn in Zukunft zu spielen.

Seit einer Fan-Wahl im Jahr 2019 ist eigentlich "Kernkraft 400" von Zombie Nation die Tor-Hymne der Nationalmannschaft. Eine völlig andere Art des Fansongs, denn hier ist die Melodie quasi der Text, der mitgegrölt wird. Zudem ist das Lied inzwischen ein Klassiker in Stadien weltweit. Ähnlich wie "Seven Nation Army" von den "White Stripes", bei dem das Gitarren-Riff mitgegrölt wird. Die Fansong-Palette ist breit.

Bei "Major Tom" kamen verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen die generelle Reichweite des adidas-Clips. Dazu der Bekanntheitsgrad des Songs. Und die Fans der Nationalmannschaft, "die eine hohe Affinität zu solchen Momenten und dem Unterhaltungsfaktor haben", sagt Lange. Denn das Gros des Publikums bei der Nationalmannschaft machen Eventfans aus, die unterhalten werden wollen.

Der größte Faktor ist aber die Nationalmannschaft selbst. Die durch Änderungen im Kader ein neues Gesicht hat, eine neue Struktur rund um Rückkehrer Toni Kroos, dazu das Trikot in Pink und Lila. "Diese neue Mannschaft ist erfolgreich, spielt guten Fußball, ist risikoreich. Und das nach einer wirklich extrem langen Talfahrt. Und da genau in diesem Moment des Umbruchs kommt dieser Jingle mit ins Spiel", sagt Lange.

Perfektes Timing für den DFB

Ein perfektes Timing. Vor allem für den DFB, der zuletzt wieder intensiver um die Gunst der Fans gekämpft hat und die verloren gegangene Nähe zu den Anhängern sucht. "Über den Jingle kann der Verband den Moment der Fannähe transportieren und für sich reklamieren. Es ist ein Moment, in dem der Verband Fannähe demonstriert", sagte Lange.

Dazu kann "Major Tom" den durch die beiden Siege in Frankreich und gegen die Niederlande schon mal leicht angefachten EM-Hype tragen beziehungsweise "so etwas wie eine Metapher für den Stimmungswechsel unter den Fans sein", sagt Lange, "aber auch für den Wechsel in der Performance dieser Mannschaft. Und das ist dann eine Metapher, an der man relativ einfach und plakativ eine neue Zeit der Nationalmannschaft einleiten könnte".

Ein Problem dabei: Die UEFA erlaubt keine individuellen Torhymnen bei der EM, stattdessen wird ein eigener Jingle der UEFA zu hören sein, der Bestandteile aus dem offiziellen EM-Song enthalten soll. Möglich wäre aber, "Major Tom" beim Aufwärmen oder in der Halbzeit zu spielen.

Für das Turnier hält Lange das aber für keine gute Idee, "Major Tom ist nach meinem Dafürhalten eine Alles-oder-nichts-Sache, entweder Tor-Jingle oder gar nicht. Wenn man jetzt versucht, den irgendwo anders zu platzieren, wäre das immer nur die zweite, dritte oder vierte Lösung". Bei den Fans könnte das sogar negativ ankommen.

Potenzial für einen Fansong

Stattdessen habe das Lied auch das Potenzial für einen klassischen Fansong. Denn den hat die Nationalmannschaft nicht. In der Bundesliga sind diese Lieder Tradition, ob nun als "Partyversion" oder als komponierte Vereinslieder wie bei der "Elf vom Niederrhein" in Gladbach beziehungsweise als bestehende Klassiker à la "You’ll Never Walk Alone" in Dortmund.

"Es wäre schön, wenn man einen Fansong beim DFB hätte, denn der trägt zur Identifikation bei, der festigt die Bindung", sagt Lange. So wie 2006, als rund um das Sommermärchen "'54, '74, '90, 2006" von den Sportfreunde Stiller in den Stadien gesungen wurde. "Das hat die Fankultur dankbar aufgenommen zu der Zeit. Das hatte einen Fansong-Charakter. Aber bei Fansongs ist es wichtig, dass dies nicht vom Verband aufgedrückt wird, es muss aus der Fankultur an sich herauskommen", sagt der Fanforscher.

Da diese aber in den vergangenen 15 Jahren rund um den vom DFB choreografierten Fan Club Nationalmannschaft arg gelitten hat, ist das längst kein Selbstläufer mehr. "Major Tom hätte das Zeug dazu, eine Art Fansong zu werden. Weil zu erwarten ist, dass er eben nicht als Tor-Jingle durchgeht. Die Aufmerksamkeit für diesen Song ist da. Und es hätte wiederum mit Blick auf Fankultur auch so ein leicht oppositionelles, kritisches Moment, was ja für Fankultur wichtig ist", meint Lange.

Soll heißen: Macht die UEFA den Anhängern einen Strich durch die Rechnung, singen sie ihn einfach während der 90 Minuten immer mal wieder selbst. Und schlagen der UEFA so ein Stück weit ein Schnippchen.

Wenn die Fans und das DFB-Team abheben

Ob das am Ende funktioniert, muss sich dann aber noch zeigen, denn das Spiel gegen die Niederlande hat auch unterstrichen, dass wenige Monate vor der EM stimmungstechnisch noch Luft nach oben ist. "Die Stimmung ist zwar eine bessere als bei den Spielen zuvor, aber ist längst noch nicht zu vergleichen mit einer Bundesliga-Atmosphäre", betont Lange.

So sieht es übrigens auch Stürmer Niclas Füllkrug. "Wir haben keine Ultra-Gruppierung, keine Fanszene und es entsteht keine Fanseele rund um die Nationalmannschaft", wird er vom "Express" zitiert. Ein Lied wie "Major Tom" könne helfen, findet er: "Ein bisschen mehr Bierkönig während der EM in die Stadien lassen, das könnte funktionieren". Damit dann nicht nur "Major Tom", sondern bei dem Turnier auch das DFB-Team abhebt.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Lange hat über 3000 wissenschaftliche Arbeiten publiziert – davon mehr als 50 Bücher und Sammelwerke.

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