Am Samstag steht der Clasico an, Barca gegen Real Madrid, das vermeintlich größte Spiel der Welt - und keinen interessiert‘s?! Die Primera Division war mal die aufregendste Liga der Welt, jetzt rutscht sie in ein Tief. Warum?
Wie an der Schnur gezogen lief der Ball durch die eigenen Reihen, von einem Spieler zum nächsten. Dem Gegner immer einen Schritt voraus, wie beim Hase-und-Igel-Spiel.
Eine Minute und vier Sekunden dauerte die Sequenz, sie begann ganz hinten in der eigenen Hälfte und mündete 23 Pässe später im Torerfolg auf der anderen Seite des Spielfelds. Der Gegner durfte den Ball dabei noch nicht einmal berühren, so überlegen war der Spielzug ausgeführt.
Es war eine Demonstration von Macht und Stärke, der spielerischen Überlegenheit, das schönste Tor des Abends im Stadion Alfredo di Stefano in Madrid. Es war das 0:1 von Schachtjor Donezk beim Champions-League-Auftakt.
Donezk spielt, wie Real spielen will
Die Ukrainer zerschnitten Real Madrids Pressing dabei, als wäre es Luft, gar nicht da. Das Tor von Tete war ein Mannschaftstor im besten Wortsinn, eine Schönheit, wie man sie eigentlich von Real erwartet.
Für die fußballerischen Glücksmomente sind derzeit aber andere zuständig, Real Madrid ist oft genug nur noch das schmückende Beiwerk - und steht damit stellvertretend für andere Granden des spanischen Fußballs. Oder, in einem größeren Kontext: für den spanischen Fußball als solchen.
Man muss noch lange nicht den Abgesang einstimmen auf die Primera Division und auch auf die spanische Nationalmannschaft. Aber die Anzeichen eines schleichenden Niedergangs der einst stilprägenden Figuren und Marken des Weltfußballs ist kaum mehr zu leugnen. Der spanische Fußball hat ein Problem. Aber wie äußert sich das und vor allem: Wie konnte es so weit kommen?
Es wird eintönig in der Primera Division
Früher war die Primera Division wie eine Explosion der Farben, mittlerweile kommt sie fast eichhörnchenbraun daher. In Spaniens Topliga gab es alles: die besten Trainer und die besten Spieler und damit fast automatisch auch die besten Mannschaften der Welt.
Und auf der anderen Seite gab es die Underdogs, die sich gegen die Übermacht aus Madrid und Barcelona wehrten, ziemlich oft auch mit Guerilla-Fußball, aber immer an einem spielerischen Ansatz orientiert. Und dazwischen die Immer-mal-wieder-Starken, Mannschaften aus Valencia, Sevilla, Bilbao, Villarreal.
Das machte die Liga so aufregend und einzigartig, auch die kleinen Klubs, die Kellerkinder und armen Kirchenmäuse wagten einen technisch sauberen Fußball. Deshalb war jede Partie immer auch wie eine Wundertüte: Wenn schon nicht jedes Mal viele Tore fielen, so konnte man doch auf sehr ordentlichen Fußball hoffen und wurde selten enttäuscht.
Wer sorgt noch für Aufregung?
Derzeit kann man die aufregenden Mannschaften der Liga an fünf Fingern abzählen. Villarreal spielt tollen Mannschaftsfußball, Real Sociedad hat einige sehr spannende Spieler in seinen Reihen und bestätigt seine starke letzte Saison. Ebenso wie Granada, zuletzt noch als Aufsteiger rotzfrech, nun im vermeintlich schwierigeren zweiten Jahr immer noch erfrischend anders.
Und dann hauen Barca, Real, Atleti ab und zu noch einen raus. Das war es dann aber auch. Der Rest ist graues Mittelmaß, im Vergleich zu früheren Jahren eine regelrechte fußballerische Einöde.
Diktat des Nicht-Verlierens hat übernommen
Die Primera Division konnte immer für sich in Anspruch nehmen, den besten Fußball zu produzieren. Weniger "run and gun", diesen zwar spektakulären, aber eben oft auch sehr wilden Umschaltfußball der Premier League. Weniger Pressing und Gegenpressing, wie es in der Bundesliga praktiziert wird. Weniger taktische Korsette und Zwänge als in Italien und entsprechend auch deutlich mehr Tore pro Spiel.
Das alles ändert sich derzeit und es ändert sich für den neutralen Zuschauer und auch die meisten Fans nicht zum Guten. Der einst sehr aktive Spielstil der Liga wird im Moment von zu vielen Mannschaften mit einem eher reaktiven Ansatz aufgeweicht. Wo in den letzten Jahren der Drang, Spiele unbedingt gewinnen zu wollen, vorherrschte, bestimmt nun das Diktat des Nicht-Verlierens.
Die Grundhaltung vieler Mannschaften ist auf defensive Stabilität ausgelegt, das raubt den Spielen das Unvorhersehbare und Spektakuläre. Am letzten Spieltag fielen in sieben von zehn Spielen nur zwei Tore oder weniger. Real Madrid, der FC Barcelona und Europa-League-Sieger FC Sevilla verloren jeweils mit 0:1.
Die Großen sind auf Sinnsuche
Die Ansicht, dass die kleineren Mannschaften schlicht aufholen und die große Lücke immer besser schließen können, stimmt nur zum Teil. Und sie ist verbunden mit der Tatsache, dass diese Mannschaften ihre Nachteile nicht auf eine spielerische Art und Weise kompensieren wollen. Sondern dass sie mauern und vorne auf diese eine, vielleicht zwei Aktionen pro Spiel warten. Dazu kommt die latente Krise der großen Klubs.
Barca hat sich in diesem Sommer beinahe selbst zerfleischt und wer weiß, ob es der Klub in den kommenden Monaten nicht doch noch schafft, im kompletten Chaos zu versinken. Barca hat in den vergangenen acht Jahren, seit Pep Guardiola den Klub verlassen hat, sieben verschiedene Trainer angestellt und darüber seine fußballerische DNA aus den Augen verloren.
Real Madrid versucht sich seit zwei Jahren am Umbruch, der trotz der Meisterschaft zuletzt als wenig gelungen durchgehen darf. Am Wochenende kommt es zum Clasico und vielleicht ist das immer noch das größte Spiel des Weltfußballs - es ist aber auch ein Aufeinandertreffen zweier Mannschaften auf der Suche nach sich selbst und Lösungen für die Zukunft.
Atlético als dritte Macht dahinter verliert sich derzeit in seinem Fußball. Auf dem Weg hin zu einem offensiven Stil verheddert sich Diego Simeones Team immer öfter und verliert dabei seinen Markenkern aus den Augen. Ein 0:4 gegen lange Zeit mittelmäßige Bayern in der Königsklasse ist sehr ungewöhnlich für die ehemaligen Defensivkünstler aus der Hauptstadt.
Missmanagement von Klubs und Liga
Einige von Spaniens Topklubs sind dazu teilweise spektakulär hoch verschuldet. Rund 380 Millionen Euro Schulden drücken den FC Barcelona, der FC Valencia hat die 500-Millionen-Euro-Grenze längst überschritten.
Der ehemalige Herausforderer der Größen aus Madrid und Barcelona steht vor dem Kollaps, unter dem neuen Besitzer Peter Lim, einem Geschäftsmann aus Singapur, sollte alles besser werden und wurde am Ende doch nur viel schlimmer. Lim steuert den stolzen Klub mit Karacho gegen die Wand, der Ausverkauf der ehemals starken Mannschaft hat längst begonnen.
Das Missmanagement in den Klubs wurde und wird schon lange geduldet von der Liga, die immer noch an alten Konzepten und Strukturen festhält. Innovativ wird die Liga nur, wenn es um die größtmögliche Vermarktung geht: Der Clasico am Samstag wird zum zweiten Mal in Folge nicht wie seit Jahrzehnten am Abend, also zur spanischen Primetime, ausgetragen. Sondern am Nachmittag.
Nach der Anstoßzeit um 13:00 Uhr in der letzten Saison, mit der man auf dem asiatischen Markt fischen wollte, geht die Partie nun um 16:00 Uhr los - offenbar ein Kompromiss, um auch die Fans in Nord- und Südamerika besser partizipieren zu lassen. Der spanische oder europäische Kernmarkt rückt dabei in den Hintergrund, der Clasico, der sich auch in seiner Terminierung immer eine Sonderstellung geleistet hat, konkurriert nun mit zeitgleich stattfindenden Spielen in Deutschland, England oder Italien.
Immer weniger Weltstars
Kaum zufällig kehren immer mehr Weltstars der Primera Division den Rücken. Zwar gibt es noch immer Leo Messi oder Sergio Ramos und Spieler aus der 1B-Kategorie wie Antoine Griezmann, Luis Suarez oder Spitzentalente wie Ansu Fati von Barca oder Atléticos Joao Felix.
Die aktuellen Topspieler sind aber nur noch bedingt in Spanien zu finden. Cristiano Ronaldo, Neymar, Zlatan Ibrahimovic, Virgil van Dijk, Robert Lewandowski: Sie verdienen ihr Geld woanders.
Spanien hat die Zehner-Jahre im Weltfußball dominiert, war mit seinem Klub- und seinem Verbandsfußball absolut stilbildend. Zwölf Champions- und Europa-League-Triumphe seiner Klubs, ein EM- und ein WM-Titel der Furja Roja sind der Beweis.
So prägend Spaniens Fußball speziell in den ersten fünf, sechs Jahren dieser Dekade aber auch war - so sukzessive nimmt er auf dem höchsten Niveau immer weiter ab. Der Umbruch ist unverkennbar, der Ausgang dieser Transformation derzeit aber völlig offen.
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