Amedspor ist ein türkischer Drittligist aus der ostanatolischen Stadt Diyarbakır, der seit geraumer Zeit im Visier des türkischen Staates steht. In Deutschland geriet der Klub erstmals in die Schlagzeilen, als Spieler Deniz Naki für politische Äußerungen zwölf Spiele lang gesperrt wurde. Das war 2016. Seitdem hat sich die Situation für Amedspor stetig verschlechtert.
Im Februar 2016 hatte Amedspor allen Grund zum Feiern. Dem krassen Außenseiter gelang im Pokalspiel gegen den türkischen Fußballgiganten Fenerbahçe ein 3:3. Doch das Ergebnis war für viele nur eine Randnotiz. Beim Anpfiff blieben die Spieler von Amedspor aus Protest gegen den nationalen Fußballverband stehen und nahmen zunächst nicht am Geschehen teil. Nur ein Beispiel von vielen.
Die Odyssee des Klubs begann im Jahr 2015, als der Name von Diyarbakırspor zu Amedspor geändert wurde. Diyarbakır ist der türkische Name, Amed hingegen der kurdische Name der ostanatolischen Stadt, in welcher der Verein beheimatet ist.
Eigentlich reicht der Name Amed viele Jahrhunderte zurück, trägt aber auch eine starke politische Relevanz, da er oftmals von Anhängern und Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei PKK benutzt wird.
Seit 1979 operiert die PKK militärisch im Südosten der Türkei, der hauptsächlich von Kurden bewohnt wird. Von Ankara, aber auch von der EU, Deutschland und den USA wird die PKK als Terrorgruppe eingestuft.
Da Amedspor seit der Umbenennung Unterstützung von kurdischen Verantwortungsträgern in Diyarbakır erhielt, entstand der Eindruck, der Fußballklub und die Miliz würden womöglich gemeinsame Sache machen.
Militärische Auseinandersetzungen in der Region
Die politische Großwetterlage tat ihr Übriges, denn zur Zeit der Umbenennung des Klubs endete der Friedensprozess zwischen den Kurden und der türkischen Regierung.
Eine Phase, in der die kurdische Minderheit vergleichsweise viele Freiheiten genoss, war vorüber. Stattdessen bekämpften sich nun türkische Sicherheitskräfte und PKK-Milizen wieder unablässig. Und Amedspor? Das ist seitdem vielen Schikanen durch den Verband wie auch gegnerischen Teams ausgesetzt.
Im Februar 2016 zeigten die Spieler vor einer Partie ein Banner mit dem Aufdruck: "Lasst Kinder nicht sterben, lasst sie zu den Spielen kommen." Von außen betrachtet eine Botschaft gegen die militärischen Konflikte im Land. Für den Fußballverband eine unerlaubte politische Meinungsäußerung, die eine Geldstrafe nach sich zog.
Naki lebenslang gesperrt
So ähnlich verhielt es sich auch im Fall Deniz Naki. Der in Deutschland geborene, kurdischstämmige Offensivspieler ging nach Jahren beim FC St. Pauli und SC Paderborn 2014 in die Türkei.
Zunächst heuerte er bei Gençlerbirliği in der Hauptstadt Ankara an, bevor er zu Amedspor in die dritte Liga wechselte. Naki trägt auf seinem Arm ein großes Tattoo mit dem kurdischen Wort für "Freiheit" und war von Beginn an unter Beobachtung durch den Verband.
Nach einem Spiel im Januar 2016 schrieb er auf Facebook in kurdischer Sprache, dass er den Sieg seiner Mannschaft allen widmen würde, die starben und verwundet wurden in den "Gräueltaten, die sich in unserem Land abspielen". Er beendete den Eintrag mit den Worten: "Lange lebe die Freiheit".
Im südostanatolischen Cizre hatte Naki die Leichen getöteter Kurden gesehen und wollte nicht mehr Schweigen. Seine Beiträge auf Social Media wurden zunehmend politischer. Der Fußballverband wertete jenen Eintrag vom Januar 2016 als "ideologische Propaganda" und sperrte Naki zunächst für zwölf Spiele.
Später stand Naki sogar vor einem ordentlichen Gericht und wurde wegen Propaganda für die PKK zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. 2018 sperrte ihn der Fußballverband lebenslänglich. Naki kann nicht mehr für Amedspor spielen, der Klub muss aber weiterhin um seine Existenz kämpfen.
Was Naki neben den juristischen Auseinandersetzungen erlebte, waren auch gewalttätige Angriffe gegen seine Person. So schlug ihn etwa ein gegnerischer Fan am Rande einer Partie im August 2017, außerdem wurde 2018 aus einem fahrenden Auto heraus auf ihn geschossen.
Andere Angehörige von Amedspor erlebten ähnliche Übergriffe. Im April 2016 wurden beispielsweise fünf Personen des eigenen Trainerstabs von Trainern und Spielern des Hauptstadtklubs Ankaragücü geschlagen und getreten.
Ermittlungen des Innenministeriums laufen
Bei Auswärtsspielen würden gegnerische Fans die Mannschaft von Amedspor oftmals mit nationalistischen Gesängen begrüßen, als würde die türkische Nationalmannschaft gegen ein anderes Land antreten, berichtet Amedspor-Präsident Metin Kilavuz dem Portal Al-Monitor. "Stell' dir vor, ein Team reist in eine andere Stadt und kein Hotel nimmt es auf. Das hat nichts mit Sport zu tun. Das richtet sich gegen die Identität der Stadt, die das Team repräsentiert."
Obwohl die Kämpfe zwischen PKK und der türkischen Armee 2017 endeten, werde der Klub bis heute schikaniert. "Die Türkei wird irgendwann den Weltrekord knacken, wenn es weiter Strafen gegen Amedspor verhängt. Unsere Fans sind aus Sicherheitsgründen von Auswärtsspielen verbannt. Aber nationalistische Slogans, Hymnen und militärische Grüße – alles, was nichts mit Sport zu tun hat – wird uns bei Auswärtspartien entgegengebracht", sagt Kilavuz.
Mittlerweile hat sich sogar das türkische Innenministerium eingeschaltet. Minister Suleyman Soylu behauptet, dass die PKK ihre Kader angewiesen hat, Amedspor finanziell zu unterstützen. Seit Dezember 2019 läuft eine Ermittlung, die eventuell zur Absetzung der Vereinsführung und Einberufung von regierungstreuen Funktionären führen soll. Ähnliches geschah bereits mit einigen gewählten kurdischen Bürgermeistern.
Kein Ende in Sicht
"Nach den Behauptungen des Ministers wurde ein Ermittler zu uns geschickt. Detaillierte Untersuchungen wurden durchgeführt, aber wir haben den endgültigen Bericht noch nicht erhalten", erzählt Amedspors Präsident. "Das Ende des Friedensprozesses und die darauffolgenden Konfrontationen in Diyarbakır haben den Druck auf Amedspor erhöht."
Ein Ende ist laut Kilavuz noch nicht in Sicht. Weder möchte der Klub nachgeben, noch wird es sich die türkische Regierung nehmen lassen, Amedspor frei gewähren zu lassen. In Diyarbakır glauben mittlerweile viele Kurden, dass der Umgang mit ihrem Fußballverein ein Abziehbild vom allgemeinen Umgang Ankaras mit der Minderheit ist.
Wer glaubt, Fußball sei unpolitisch, braucht aktuell nur nach Ostanatolien zu schauen.
Verwendete Quellen:
- Bericht von Al-Monitor
- Twitter-Account von Deniz Naki
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