James McClean ist Profifußballer – und Autist. Er hat seine Diagnose kürzlich öffentlich gemacht. Doch schließen sich die Behinderung und Profisport nicht gegenseitig aus? Experte Fabian Diekmann vom Bundesverband "Autismus Deutschland e.V." betont im Gespräch mit unserer Redaktion: auf keinen Fall. Denn Autismus ist komplex und facettenreich.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Klischees halten sich hartnäckig, immer noch, selbst nach all den Jahren der Aufklärung und Berichterstattung. Ebenso die Vorurteile, die Stereotypen. So ist Autismus zum Beispiel keine Krankheit, sondern eine Behinderung, weil es nicht heilbar ist. Und Autisten verhalten sich auch nicht alle wie Dustin Hoffman in dem Film "Rain Man".

Mehr News zum Thema Fußball

Denn Autismus ist ein Spektrum, weshalb die Lebensrealität von Autismus so aussieht, dass man eben nicht alle kennt, wenn man einen Menschen mit der Diagnose Autismus kennt. Sondern tatsächlich nur einen. Man steckt Menschen gerne unbewusst in Schubladen, ist dabei oft naiv und unbedarft, was der komplexen und vielgestaltigen neurologischen Entwicklungsstörung aber nicht im Ansatz gerecht wird.

Da im Sport gerne Klischees bedient und Schubladen genutzt werden, ist die Geschichte von James McClean eine sehr spezielle. Denn der 33-Jährige hat jüngst seine Autismus-Diagnose öffentlich gemacht. Was speziell ist, insofern der Ire Profifußballer ist. Nationalspieler sogar, der Mittelfeldmann lief bislang 98 Mal für sein Heimatland auf und spielt in der zweiten englischen Liga für Wigan Athletic.

Seine Karriere führte ihn zuvor von Derry City zum AFC Sunderland, erstmals nach Wigan, dann zu West Bromwich über Stoke City zurück nach Wigan, wo er seit 2021 erneut spielt. Eine vorzeigenswerte Profi-Karriere – mit Autismus. Dass er das hat, weiß er erst seit Kurzem.

James McClean: "Es war ein langer Weg"

"Es war ein langer Weg und jetzt, da ich die Diagnose habe, ist es an der Zeit, sie mitzuteilen", schrieb der 33-Jährige am 28. März im Rahmen der "World Autism Acceptance Week" zu einem Instagram-Foto, das ihn mit seiner Tochter zeigt, die ebenfalls Autismus hat.

"Die letzten vier Jahre haben ihr Leben auf wunderbare Art und Weise verändert, aber auch sehr schwierig für mich als ihr Vater gemacht, da ich ihr dabei zusehen musste, wie sie so viele Hindernisse in ihrem Leben überwindet und lernt, mit den Herausforderungen umzugehen, denen sie täglich gegenübersteht", schrieb er.

Je mehr seine Frau Erin und er über Autismus gelernt hätten, "desto mehr erkannten wir, dass ich Willow in vielerlei Hinsicht ähnlicher bin, als wir dachten. Ich sehe so viele kleine Züge bei ihr, die ich auch bei mir selbst sehe", schrieb McClean, der sich deshalb testen ließ. Mit dem entsprechenden Ergebnis. Fußballprofi und Autist? Schließt sich das nicht gegenseitig aus?

Überhaupt nicht, betont Fabian Diekmann, Fachreferent beim Bundesverband "Autismus Deutschland e.V.". "Die Behinderung muss sich auf seinen Job als Fußballer wenig bis gar nicht auswirken, Autismus steht dem in keinster Weise entgegen, denn der ganze Werdegang erfolgt unabhängig von Autismus", betont Diekmann, denn "Autismus an sich ist keine körperliche Einschränkung".

Spezialinteressen als Vorteil?

Autismus beziehungsweise Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind "Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken", beschreibt der Verband das Bild der Behinderung auf seiner Website. Erhebungen in Europa, Kanada und den USA zufolge sind sechs bis sieben von 1.000 Menschen von ASS betroffen. Zu den Besonderheiten gehören zum Beispiel eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten.

Ein extremer Fokus kann bei einem Sportler ein "Vorteil" sein. "Wenn man verbissener herangeht, weil man als Autist ein Spezialinteresse entwickelt, kann das sehr ausfüllend werden", erklärt Diekmann. Manche Fähigkeiten seien extrem gut ausgeprägt, "andere hängen um Jahre hinterher, weil der Fokus nur in eine Richtung geht. Das kann, wobei es von Mensch zu Mensch im Spektrum Autismus unterschiedlich ist, einen positiven Einfluss haben", sagt Diekmann.

Eine theoretische Möglichkeit bei einem Fußballer: "Dass er mit einem sehr analytischen Verständnis, das vielen autistischen Menschen nachgesagt wird, an die Sache herangeht, um sich Taktiken, Verläufe oder Muster auf eine technische Art und Weise anzuschauen", sagt Diekmann. Da Menschen mit Autismus soziale und emotionale Signale nur schwer einschätzen können, stellt sich auf der anderen Seite die Frage, "ob man auf die Schnelle erkennen kann, was der Gegenspieler vorhat", so Diekmann.

Das Antizipieren könnte also ein Problem sein, da "man den Gegner auf die Schnelle nicht lesen kann". Gleichzeitig wäre aber das Thema Starallüren bei einem Autisten "sehr stark zurückgesetzt", führt der Experte aus. Außerdem ist der "Alltag eines Profisportlers hoch strukturiert, insbesondere durch Trainingseinheiten, Physiotherapie, Spielanalysen, Mannschaftsbesprechungen. Dies kann dem Strukturierungsbedarf von Autisten und Autistinnen sehr entgegenkommen", sagt Diekmann.

Breites Autismus-Spektrum

Doch wie schon erwähnt, lässt sich Autismus nicht verallgemeinern, eine Diagnose kann nicht als Blaupause für andere herhalten, denn es gibt zahlreiche Nuancen. Theoretisch reicht das Spektrum bei der Intelligenzentwicklung von einer schweren geistigen Behinderung bis hin zur Hochintelligenz. Auch bei der Sprachentwicklung gibt es ein breites Spektrum.

Und nur weil man ein Symptom zeigt, bedeutet das noch nicht, dass man ein Autist ist. "Erst das Zusammenspiel von einer ganzen Gruppe von verschiedenen Symptomen plus eine überdauernde Situation macht eine klinische Diagnose aus", erklärt Diekmann. Fakt ist: Je nach Ausprägung erkennt man als Gegenüber gar nicht, dass der andere Autismus hat.

Viele Betroffene wissen es nicht einmal selbst, erhalten erst im Erwachsenenalter die Diagnose. McClean ist einer von nur wenigen Profisportlern, von denen bekannt ist, dass sie Autismus haben. Weltstar Lionel Messi zum Beispiel wurde dies über die Jahre immer wieder nachgesagt.

Messi angeblich ein Autist

2013 meinte der Ex-Fußballer Romario, Messi leide am Asperger-Syndrom, einer Form des Autismus. Das solle dem Argentinier helfen, sich zu konzentrieren. Romario entschuldigte sich später für die Aussage, in der Welt ist das Gerücht seitdem trotzdem.

"Da habe ich erhebliche Zweifel. Das ist schnell gesagt, weil der Begriff schnell durch die Medien geistert und auch inflationär gebraucht wurde, auch oft negativ belastet. Deswegen bin ich bei solchen Formulierungen sehr zurückhaltend", sagt Diekmann. Auch sei eine Einschätzung aus der Ferne bei McClean nicht einfach. Denn konkrete Details zu seiner Diagnose teilte er in seinem Post nicht mit. McClean lerne immer noch dazu, gibt er im "Derry Journal" zu.

"Es gibt Menschen, denen es viel schlechter geht, viel schwerere Fälle als meinen und viel mehr Menschen, die viel höher im Spektrum stehen als ich", sagte er. Er habe sein ganzes Leben lang das erreichen und tun können, wovon er geträumt habe, so McClean: "Es hat mich nicht daran gehindert, meine Träume zu verwirklichen. Es hat mich nicht aufgehalten. Ich denke, das ist die Botschaft."

Er habe es öffentlich gemacht, auch um seine Tochter, die schwerer betroffen ist als er, "wissen zu lassen, dass ich sie verstehe und dass Autismus sie nicht davon abhalten wird und sollte, ihre Ziele und Träume zu erreichen".

Man muss sich dafür nicht schämen

Sein "Outing" wird sich auf ihn als Person nicht auswirken, "weil ich schon immer so gewesen bin. Es wird mein Leben in keiner Weise verändern. Ich bin bisher ganz gut damit zurechtgekommen, und jetzt, wo ich die Diagnose erhalten habe, wird das auch so bleiben", sagte McClean, der für seinen Post sehr viel positives Feedback erhielt.

"Wenn dies dazu beiträgt, das Bewusstsein zu schärfen und den Menschen zu helfen, sich zu outen, dann ist die wichtigste Botschaft, dass man immer noch ein ganz normales Leben führen kann und dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss."

Viele Klischees implizieren aber genau das, weil sie sich immer noch hartnäckig halten. Oder anders gesagt: "Rain Man" ist zwar ein toller Film, ein Meilenstein in Hollywood, erfolgreich und berührend. Allerdings eben auch nur eine Facette von Autismus.

Über den Experten: Fabian Diekmann ist Fachreferent beim Bundesverband "Autismus Deutschland e.V.".

Verwendete Quellen:

  • derryjournal.com: James McClean 'proud' of Autism diagnosis and says condition is 'nothing to be ashamed of'
  • Website des autismus Deutschland e.V.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.