Drei Testspiele absolvierte die deutsche A-Nationalmannschaft in dieser Länderspielphase. Die Gegner lauteten Ukraine, Polen und Kolumbien.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Manuel Behlert sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es waren keine schlechten Gegner, aber auch nicht die absoluten Topnationen. Und dennoch gelang es der von Hansi Flick trainierten Auswahl nicht, überhaupt nur eines der Spiele zu gewinnen. Auf ein 3:3 gegen die Ukraine, das phasenweise sehr wild war, folgten zwei Niederlagen: mit 0:1 gegen Polen und mit 0:2 gegen Kolumbien. Gut ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land reift die Erkenntnis, dass der eingeschlagene Weg ein falscher ist.

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DFB-Team: Baustellen an allen Ecken und Enden

Ja, drei Länderspiele nach einer langen und kräftezehrenden Saison, in deren Mitte noch eine Weltmeisterschaft stattfand, sind natürlich eine hohe Belastung. Aber eben nicht nur für die DFB-Auswahl, sondern auch für die Gegner. Das kann keine Erklärung für die enttäuschenden Leistungen und Resultate sein. Die größte Erkenntnis dieser Testspiele muss sein, dass endlich konsequent ein klarer Weg eingeschlagen werden muss.

Flick testete und testete in den letzten Spielen. In der Defensive fehlt es an Stringenz, über 20 verschiedene Abwehrformationen wählte der Bundestrainer. Und fast keine davon funktionierte wirklich gut. Die Dreierkette sollte für Stabilität sorgen, angesichts der fehlenden Eingespieltheit verunsicherte sie die Mannschaft teilweise nur noch mehr. Auch in den drei jüngsten Tests zogen sich individuelle Fehler durch wie ein roter Faden.

Außerdem fehlt der von Bundestrainer Flick immer wieder zitierte Mut im Spielaufbau. Sicherheitspässe statt Raffinesse, Ungenauigkeiten statt Präzision. Das DFB-Team ist schon bei der Initiierung der eigenen Angriffe viel zu leicht auszurechnen. Im letzten Drittel einmal angekommen, zeigt sich ebenfalls eine Unsicherheit. Spieler werden auf den Positionen hin- und hergeschoben, niemand weiß so richtig, für welchen Fußball das Team überhaupt stehen soll. Die Baustellen sind groß und sollten in dieser Form einige Monate nach einem erneuten Vorrundenaus bei einer WM nicht mehr derart prägnant sein.

Nur wenige Lichtblicke in den DFB-Tests

Es gab aber auch vereinzelte Lichtblicke in einem Team, das aktuell noch mehr mit sich selbst zu kämpfen hat als mit den Gegnern. Da wäre zum Beispiel Malick Thiaw, Verteidiger von Milan, der sich vor allem gegen Polen in das Rampenlicht spielen konnte. Er könnte eine echte Alternative in der oftmals wackeligen Abwehr sein, dann müsste aber konsequent auf eine bestimmte Abwehrformation und -besetzung vertraut werden. Auch zeigten Jamal Musiala und Kai Havertz zumindest in Ansätzen ihre enorme Klasse in der Offensive.

Dass der Bundestrainer die phasenweise ordentliche Konterabsicherung im Spiel gegen Polen als Erfolg und Fortschritt verkaufte, spricht für sich. Und gegen die deutsche Nationalmannschaft. Denn eigentlich sollte das Team deutlich weiter sein, sich eine Grundstrategie und eine Grundformation mit 15, 16, vielleicht 17 Spielern gefunden haben. Die Alarmglocken sollten in den höchsten Tönen läuten.

Zumal es auch an den Basics fehlte. Varianten bei ruhenden Bällen, eine gewisse Klarheit in den Mechanismen, wie und wann gepresst wird oder wann in einem eigenen Angriff das Tempo erhöht wird: All das war nicht oder nur spärlich vorhanden. Auf taktischer Ebene lässt sich kaum ein Fortschritt erkennen, was zu Frust und in der Folge gleich auch wieder zu individuellen Fehlern führt. Die Mannschaft ist verunsichert und es gelingt nicht, das Selbstvertrauen zu stärken.

DFB-Team: Muss sogar eine Flick-Diskussion geführt werden?

Hansi Flick kündigte schon vor dem 0:2 gegen Kolumbien an, dass die DFB-Elf, die bei den nächsten Spielen im September auf dem Platz steht, eine ganz andere sein werde. Auf Nachfrage nach dem Spiel teilte er mit, dass er dahingehend zuversichtlich und sicher sei. Die Antwort klang fast bockig und genervt, Flick schwamm nach dem Spiel in seiner gesamten Rhetorik und ist damit auch Teil eines kommunikativen Problems, das sich schon länger abzeichnete, aber rund um diese drei Spiele besonders zum Vorschein kam.

Rudi Völler teilte bei RTL mit, dass der Bundestrainer "alles versucht" habe und es am Ende auch "eine Qualitätsfrage" sei, was aus einem Team herausgeholt werden kann. Und das, obwohl er die DFB-Elf nur wenige Monate zuvor nicht weit vom Niveau des Weltmeisters Argentinien entfernt sah. Völler selbst verneinte, dass es eine Diskussion um die Zukunft des Bundestrainers geben wird und man ihm vollends vertraue. Doch genau das könnte das falsche Signal sein.

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Intern muss der DFB zumindest darüber nachdenken, wie es weitergeht. Wie sieht der Plan von Flick genau aus? Er selbst konnte das zumindest im Interview nicht genauer definieren. Und die Mannschaft wackelt von Verlegenheit zu Verlegenheit. Vielleicht täuschte sich der DFB auch in Flick und dessen sehr erfolgreiche Phase beim FC Bayern hing doch mehr mit der guten Basis im Kader, der Euphorie nach den ersten Erfolgen und dem herausragenden Fitnesszustand nach der Corona-Pause zusammen?

Wenn die Testspiele gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien eines gezeigt haben, dann, dass alles auf den Prüfstand gehört. Und jeder. Der DFB muss die aktuelle Situation jetzt genauestens analysieren, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein Jahr ist nicht viel, um die Dinge noch in die richtigen Bahnen zu lenken. Die letzte Chance, einen Schnitt zu machen und zumindest noch ein wenig Aufbruchstimmung zu kreieren, ist auf jeden Fall jetzt.

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