Das 2:3 gegen die Türkei wirft unangenehme Fragen auf. Zum Beispiel die hier: Was will der Bundestrainer mit Kimmich?

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Bundestrainer Julian Nagelsmann schenkte dem Sprachschatz des deutschen Fußballs am Samstagabend einen neuen Begriff: Emotionsniveau. In seiner Analyse zur 2:3-Pleite gegen die Türkei fasste der Bundestrainer in 14 Buchstaben umständlich zusammen, was wir früher in einfachen Worten ausdrückten. In Worten wie: Einstellung, Siegeswillen, Mentalität. Gerne auch: deutsche Tugenden.

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Nagelsmann lobte das "Emotionsniveau" seiner Mannschaft, weil sie tat, was man von einer Nationalmannschaft, die in wenigen Monaten eine Heim-EM bestreitet, erwarten darf: Sie wollte das Testspiel im Berliner Olympiastadion gewinnen. Nun liegt es nicht an Nagelsmann, dass dieselbe Mannschaft nach einer frühen Führung in alte Muster verfiel und dem Gegner freien Zutritt in den Strafraum erlaubte.

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Havertz als Linksverteidiger

Was man aber von ihm einfordern darf, ist: dass er sich an die eigenen Vorgaben hält. Er wollte den Fußball, den die Nationalmannschaft spielt, einfacher gestalten. Dass er den gelernten Angreifer Kai Havertz über Nacht zum Linksverteidiger verwandelte, klingt schon kompliziert und kann (trotz Tor) keine zielführende Maßnahme sein.

Nagelsmann sollte die einfachen Wahrheiten akzeptieren.

Wahrheit 1: Verriegelt den eigenen Strafraum, bis keine Fliege mehr rein kann. Antonio Rüdiger ist ein Sicherheitsrisiko in der Abwehrkette. Wenn er sein Formtief nicht überwindet: raus mit ihm! Die bisherige Willkommenspolitik führt dazu, dass Deutschland in sieben Länderspielen, die 2023 zu Hause stattfanden, 16 Gegentore kassierte - der schlechteste Wert seit 2005.

Wahrheit 2: Joshua Kimmich ist keine Hilfe im zentralen Mittelfeld. Eine geniale Torvorbereitung kann nicht kompensieren, was er sich an Stockfehlern am Ball und an müden Spielerverlagerungen leistet. Kapitän Ilkay Gündogan braucht einen an der Seite, der arbeitet und nicht stolziert. Die Offensive mit Florian Wirtz und Jamal Musiala verlangt Zuverlässigkeit im Rückraum.

Wahrheit 3: Die Zeit der Experimente und des guten Willens ist vorbei. In diesem Jahr hat Deutschland der Rekord der Heimspielniederlagen (vier!) aus dem Jahr 1956 eingestellt. Die Mannschaft braucht jetzt eine Achse, die jedes Kind auswendig nennen kann. Identifikation ist ein hohes Gut, wenn man auf die Unterstützung des Publikums angewiesen ist. Noch liebt niemand dieses Team.

Beim Gastspiel in Österreich am Dienstagabend wird man auf einen Gegner treffen, der Tempo und Passschärfe noch präziser einsetzt als die Türken. Man wird nicht nur einen guten Eindruck bekommen, was die deutsche Mannschaft nächstes Jahr beim Turnier zu erwarten hat. Man wird auch sehen, wie schnell der Bundestrainer aus Fehlern in einem vergeigten Länderspiel lernen kann.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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Verwendete Quellen

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