Gegen Bosnien-Herzegowina zeigt die deutsche Nationalmannschaft phasenweise traumhaften Fußball und noch einmal auf eindrucksvolle Art alle Facetten ihrer Wandlung. Selbst der Bundestrainer gerät darüber ins Schwärmen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Natürlich mag der 74. der FIFA-Weltrangliste – noch knapp vor Bahrain und Honduras platziert, aber eben auch hinter den Kapverden – nicht unbedingt ein echter Gradmesser für die deutsche Nationalmannschaft sein. Aber die Dominanz, Spielfreude und Leichtigkeit des deutschen Auftritts im letzten Heimspiel des Jahres gegen Bosnien-Herzegowina war eine Offenbarung.

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Es ist sehr lange her, dass die deutschen Fans an ihrer Mannschaft so viel Spaß hatten wie das in den letzten Monaten der Fall war. Das furiose 7:0 jedenfalls war der vorläufige Höhepunkt einer Metamorphose, die in fast schon rasanter Geschwindigkeit vollzogen wird.

Rund ein Jahr ist Julian Nagelsmann nun im Amt und als er den zweitwichtigsten Job des Landes damals übernommen hat, lag die Nationalmannschaft und damit der deutsche Fußball gefühlt komplett am Boden. "No future" wäre ein treffender Slogan gewesen, um diesen Zustand zu beschreiben. Ganz so schlimm mag es zwar nicht gewesen sein, die Optionen dieser Mannschaft schienen aber streng limitiert und eine Spielidee nur noch schwer erkennbar.

Nagelsmann nach Kantersieg: "Haben die Leute unterhalten"

Die nahezu fehlerlose Leistung gegen Bosnien-Herzegowina sorgte bei Julian Nagelsmann für große Zufriedenheit und auf den Rängen für Begeisterung. Dort befand sich auch ein besonderer Zuschauer, den der Bundestrainer am Vortag noch getroffen hatte.

Kollektiv und starke Trainerarbeit

Nun bleiben auch in der aktuellen Mannschaft einige Planstellen nicht optimal besetzt, die Frage nach der Nummer eins ist weiter offen und die Auswahl ohne Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen womöglich nicht mehr von allererster Güte. Bei den Außenverteidigern und im Angriffszentrum gibt es (noch) keine Spieler von gehobenem internationalem Format.

Diese kleinen und großen Fragezeichen fallen derzeit aber wenig ins Gewicht, weil das Kollektiv auf dem Platz und das handwerkliche Geschick des Trainers daneben eine derart breite Basis bilden, wie wohl zuletzt vor zehn Jahren, als Deutschland Weltmeister wurde.

Nagelsmann hat von Beginn an einen neuen Geist innerhalb der Mannschaft gefordert und gefördert und ist mittlerweile – im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger – so weit, dass er die entsprechende Einstellung und Lust auf die Nationalmannschaft bei seinen Kickern nicht mehr einfordern muss.

Das Spiel gegen bemitleidenswerte Bosnier lieferte dafür nur einen (vor)letzten Beweis in diesem Kalenderjahr. 16 zu vier Torschüsse, 72 Prozent Ballbesitz oder ein xGoal-Wert von 4,77 dokumentierten nicht im Ansatz die Überlegenheit der Mannschaft in einem handelsüblichen Nations-League-Spiel. Einem Wettbewerb also, der früher eher mit etwas Widerwillen absolviert wurde und jetzt nicht nur als Chance auf einen Titel definiert wird, sondern als Showbühne für etablierte und neue Spieler.

Überragendes Gegenpressing

Bereits vor der Partie stand der Einzug in die K.o.-Runde fest und früher einmal wäre das ein Signal an einige Spieler gewesen, einen oder zwei Gänge zurückzuschalten und die Reise zur Nationalmannschaft als willkommene kleine Auszeit vom stressigen Klub-Alltag zu nutzen. Auch das hat sich seit Nagelsmanns Übernahme mittlerweile grundlegend geändert.

Vor ziemlich genau einem Jahr verabschiedete sich eine belanglose deutsche Mannschaft mit zwei Niederlagen gegen die Türkei und Österreich und voller Tristesse in die Winterpause. Nun macht die Nationalmannschaft auf fast allen Ebenen wieder Freude.

"Es hat Spaß gemacht", sagte Jamal Musiala, der schon nach 79 Sekunden zum ersten deutschen Tor getroffen hatte, bei RTL. "Was wir machen wollten, haben wir richtig gemacht. Wir konnten frei spielen, haben aber defensiv trotzdem hart gearbeitet."

Und auch das ist eine erfreuliche Erkenntnis: Nicht nur mit dem Ball am Fuß oder in den eigenen Reihen entwickelt die Mannschaft Spielfreude und Gier. Auch in der Balljagd zeigen sich signifikante Verbesserungen. Den Bosniern gestattet die deutsche Mannschaft im Schnitt keine fünf Zuspiele vor einer eigenen zielgerichteten und sauber orchestrierten Defensivaktion, das Gegenpressing war der eigentliche Schlüssel der deutschen Dominanz.

Nagelsmann: "Es war nahezu perfekt"

"Es war nahezu perfekt, wir haben ein unglaublich gieriges Spiel abgeliefert, sowohl offensiv wie defensiv. Das Gegenpressing war das beeindruckendste heute. Das ist schon außergewöhnlich gut gewesen", lobte Nagelsmann seine Mannschaft am RTL-Mikrofon in den höchsten Tönen. "Auch nach den Wechseln war kein Bruch drin. Das war ein sehr gutes Spiel!" Tatsächlich kann der Bundestrainer nicht nur – aber eben besonders – in der Offensive mehrere Optionen ins Gefecht werfen, ohne Qualität einzubüßen.

Von der Bank kamen unter anderem die erfahrenen Leroy Sané oder Serge Gnabry, die sich einen Dienst nach Vorschrift angesichts der beinahe übermächtigen Konkurrenz um Musiala und Florian Wirtz kaum noch erlauben können. Im Angriff nutzte Tim Kleindienst nicht nur mit seinem Doppelpack, sondern auch vielen kleinen, schlauen Bewegungen im Zusammenspiel mit Musiala, Wirtz und Kai Havertz die Abwesenheit von Niclas Füllkrug.

"Dieser Offensivfußball ist gefühlt zu 95 Prozent aufgegangen", sagte der zweifache Torschütze. "Wir hatten sauviele Chancen. Es ist auch schön, auch für alle Fans, die da waren, dass man heute so ein Spektakel erlebt hat."

Schon vor dem abschließenden Länderspiel gegen Ungarn am kommenden Dienstag lässt sich deshalb konstatieren, dass die deutsche Nationalmannschaft in allen Kategorien besser geworden ist. Zum Teil sogar signifikante Fortschritte gemacht hat.

Und dass die Fans jetzt wieder Lust am Spiel ihrer Mannschaft haben. Und das ist wohl die wichtigste Erkenntnis überhaupt.

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