Pascal "Qualle" Martin ist Influencer und Fußball-Schiedsrichter. Seine Mission ist es, den Unparteiischen mehr Wertschätzung zu verschaffen. Im Interview spricht er über Gewalt auf dem Platz und Hass im Netz.
Pascal "Qualle" Martin, Sie fordern mehr Respekt für Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Warum haben Sie dieses Anliegen zu Ihrer Mission gemacht?
Pascal Martin: Ich bin seit fast zehn Jahren Schiedsrichter und es macht mir sehr, sehr viel Spaß. Vor etwa zwei Jahren, am Ende der Corona-Zeit, ist mir aufgefallen, wie sehr der Respekt auf und neben dem Platz verloren gegangen ist. Und ich konnte mit der Art und Weise, wie ich drauf bin, Kinder und Jugendliche schon immer gut ansprechen. Ich habe dann aus Spaß mit den Videos angefangen und gemerkt, dass das eine gute Message und Herangehensweise ist. Deshalb habe ich das Thema aufgegriffen. Und es kommt ziemlich gut an.
Wie sind Sie dann zum Schiedsrichter-Influencer geworden?
Ich bin eingeteilt worden, ein D-Jugend-Spiel zu pfeifen. Als Schiedsrichter-Kabine wurde mir ein Abstellraum zugeteilt, ohne Fenster, ohne Dusche. Da lagen Ballsäcke drin und ein Grill stand rum. Alles war schmutzig und verstaubt. Ich habe dann ein Video davon gemacht um zu zeigen, wie Schiris heute behandelt werden und was sie für eine Wertschätzung bekommen. Dieses Video hat innerhalb von ein paar Tagen 1,5 Millionen Aufrufe gehabt. Der Verein hat dann wegen der Kabine auch noch eine Geldstrafe bekommen. Da habe ich gemerkt, dass das die Leute da draußen interessiert. So hat es angefangen.
Hätten Sie gedacht, dass Schiedsrichter-Content bei TikTok und Instagram so gut ankommt?
Wenn ich ehrlich sein soll: Nein. Ich habe es als Influencer geschafft, innerhalb kürzester Zeit bekannt zu werden. Es kommt mir manchmal immer noch wie ein Traum vor, dass da Kinder sind, die mich feiern. Es fühlt sich teilweise absolut unvorstellbar an. Aus einem Thema, das nie jemand so wirklich interessiert hat, habe ich etwas Großes gemacht.
Sie haben als Schiedsrichter selbst Gewalt erlebt. Was ist passiert?
Ich könnte mehrere Geschichten erzählen, eine erzähle ich immer wieder. Bei einem B-Jugend-Spiel bin ich mal k.o. geschlagen worden, da war ich kurz "AfK" (Abkürzung aus der Gamer-Sprache für "Away from the Keyboard", Anm. der Red.). Ich habe die Faust des Spielers ins Gesicht bekommen, nachdem er ein schlimmes Wort zu einem Mitspieler gesagt hatte. Das war eine Situation, die mich sehr mitgenommen hat.
Gewalt gegen Schiedsrichter ist ein großes Thema im Amateurfußball. Was macht Ihnen Hoffnung, dass man daran etwas ändern kann?
Man kann alles ändern, was heutzutage in der Welt schlecht läuft. Es ist wichtig, eine vernünftige Herangehensweise und einen Plan zu haben. Ich weiß, dass es Kids da draußen gibt, die wegen meiner Videos anfangen, Spiele zu pfeifen und dann versuchen, dass als Schiri auf dem Platz so umzusetzen, wie ich es mache. Aber egal ob Zuschauer oder Spieler: Allen, die etwas mit Fußball zu tun haben, muss bewusst werden, was für einen heftigen Job Schiedsrichter heutzutage haben. Solange Schiedsrichter keine Wertschätzung bekommen, können wir rufen, so viel wir wollen. Dann wird sich nichts ändern. Wenn es noch ein paar Jahre so weitergeht, dass jedes Wochenende Spiele abgebrochen werden, wegen Gewalt und Angriffen auf Schiedsrichter, dann können wir froh sein, wenn es überhaupt noch Schiris gibt, die Jugend-Spiele pfeifen.
Muss man bei den ganz jungen Spielern ansetzen?
Vielleicht nicht bei den Mini-Kickern. Aber so ab der E-Jugend, wo die Kinder neun oder zehn Jahre alt sind, sollte man anfangen, den Kindern zu erklären, was es bedeutet, Respekt auf dem Fußballplatz zu haben. Ich merke immer wieder, dass es etwas ganz anderes ist, wenn ich in meinen Workshops Zwölfjährige sitzen habe, als wenn es 16- oder 17-Jährige sind. Die haben oft nicht so viel Lust, sich das anzuhören und etwas lernen zu wollen. Die Kinder sind unsere Zukunft, sie werden in zehn, 15 Jahren immer noch Fußball spielen. Schwieriger ist es für mich als Zwanzigjähriger, Herrenmannschaften etwas über Respekt zu erklären. Das habe ich auch schon versucht. Kurz zusammengefasst: Ja, es sind die Kinder, bei denen wir ansetzen sollten.
Wie oft stehen Sie als Schiedsrichter auf dem Platz?
In einer Woche sind es oft vier Spiele. Im Jahr sind es mit Sicherheit um die 170 Spiele. Das ist die zwei- bis dreifache Anzahl, auf die die meisten Schiedsrichter kommen. Ich pfeife vor allem Jugendspiele, da diese Spielerinnen und Spieler unsere Zukunft sind. Ich bin auch als Event-Schiri unterwegs. Ich habe kürzlich bei Delay Sports gepfiffen, bald pfeife ich bei der Traditionsmannschaft des VfL Bochum. Ich kann nicht nur Kinder-, sondern auch Herrenmannschaften pfeifen.
Was ist anstrengender: der Job als Influencer oder der als Schiedsrichter?
Ich würde sagen, dass der Influencer-Job anstrengender ist. Viele Menschen denke, dass das einfach ist, mal kurz das Handy in die Hand nehmen, ein paar Videos drehen, hochladen und dann wirst du bekannt. Wenn das so einfach wäre, wäre ich nicht so oft müde oder hätte Augenringe. Mir fällt es schwer, am Abend das Handy auch mal wegzulegen. Das ist schon sehr anstrengend. Mir ist es wichtig, dass ich auch private Zeit habe, die ich mit meiner Familie genießen kann. Das ist das Wertvollste, das habe ich leider nicht immer.
Sie posten Erklärvideos, Spielszenen und Einschätzungen zu Schiedsrichter-Entscheidungen im Profi-Bereich. Wie entscheiden Sie, was Sie mit Ihren Followern teilen?
Außer den Spielen von Arminia Bielefeld, von denen ich Fan bin, schaffe ich es kaum, Fußball zu gucken, weil ich einfach keine Zeit dafür habe. Trotzdem versuche ich immer, alle wichtigen Themen aus der Bundesliga mitzunehmen. Ich finde es einfach cool, auf Spiele zu reagieren. Aber mein Hauptcontent sind Videos, in denen man mich auf dem Platz hört und sieht und in denen man meine Entscheidungen sieht.
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Influencer sind wie Schiedsrichter immer wieder mit Hass konfrontiert. Wo ist es schlimmer, auf dem Fußballplatz oder im Internet?
Ganz klar im Netz. Das Internet ist ein gefährlicher Ort, Kinder müssten eigentlich viel besser darauf vorbereitet werden. Es ist mir unklar, warum es in der Schule immer noch kein Fach gibt, wo das Thema Internet aufgegriffen wird. Alles, was im Netz landet, bleibt dort für immer.
Woher kommt eigentlich Ihr Spitzname "Qualle"?
Mein Vorname ist Pascal. Im Französischunterricht hat mich die Lehrerin "Pasquale" genannt, die französische Form meines Namens. Und so kam es zu "Qualle". Ich finde, das ist ein sehr kreativer Name. Ich heiße nicht einfach "Gamer20084" oder "Schiedsrichter.irgendwas", sondern einfach "Qualle". Den Namen höre ich nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern schon morgens nach dem Aufstehen höre ich manchmal "Qualle, Qualle, Qualle" (lacht).
Über den Gesprächspartner
- Pascal "Qualle" Martin ist Schiedsrichter und Influencer. Er hat auf TikTok fast eine Million Follower, auf Instagram verfolgen mehr als 220.000 Menschen Martins Mission, Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter mehr Respekt auf dem Fußballplatz zu verschaffen.
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