Es war der erwartet emotionale Abschied. Jürgen Klopp hat am Sonntag zum letzten Mal als Cheftrainer des Liverpool FC an der Seitenlinie gestanden. Nach fast neun Jahren mit vielen Triumphen und tragischen Niederlagen geht der Schwabe in eine wohlverdiente Pause.

Eine Analyse
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Das Spiel auf dem Rasen wurde fast zur Nebensächlichkeit. Am finalen Spieltag der Premier-League-Saison 2023/24 ging es für Liverpool sportlich um nichts mehr. Die Meisterschaft war seit ein paar Wochen außer Reichweite, die Qualifikation für die Champions League derweil schon gesichert. Hinzu kam ein Gegner an der Anfield Road, der gut in die Nebenrolle passte.

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Die strauchelnden Wolverhampton Wanderers dezimierten sich bereits nach 28 Minuten aufgrund einer Roten Karte gegen Nélson Semedo selbst, kurze Zeit später der Liverpooler Doppelschlag durch Tore von Alexis Mac Allister und Jarell Quansah. Passenderweise von einem teuren Leistungsträger, der im vergangenen Sommer kam, und einem talentierten Nachwuchsspieler, den Klopp in der abgelaufenen Saison dezidiert gefördert hat.

Klopp hinterlässt Liverpool keine Erbschulden, sondern einen wettbewerbsfähigen Kader. Das war bei manch anderem Premier-League-Erfolgstrainer in der Vergangenheit nicht der Fall. Siehe Sir Alex Fergusons Abschied von Manchester United 2013 oder Arsène Wengers von Arsenal 2018. Sportlich steht Liverpool, wenngleich ohne großen Titelgewinn in dieser Saison, mehr als nur solide da.

Ein letztes Mal die Siegerfaust

Klopps letzter Aufgalopp am Sonntag stand jedoch ohnehin nicht im Zeichen kühler sportlicher Analyse, sondern war geprägt von Emotionen. Allerdings weniger tränenreich als beispielsweise sein letzter Tag als Trainer von Mainz 05 am Ende der Saison 2007/08. Auf seine Weise wirkte Klopp fast schon abgeklärt und professionell. Nach dem Spielende ging er durch die Anfield Road, wo Schilder hochgehalten wurden, um Rot auf Weiß den Schriftzug "Jürgen" zu zeigen.

Klopp vor dem Anpfiff: Nochmal ein kurzer Spurt über den Rasen von Anfield. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Jon Super

Klopp ging am Ende zu jeder der vier Seiten der altehrwürdigen Arena und zeigte noch ein letztes Mal seinen berühmten "Fist-Pump", jene zum Markenzeichen gewordene geballte Faust, die er nach fast jedem Tor durch die Luft schleudert. Die Liverpool-Fans waren außer sich vor Freude, auf den Rängen flossen Tränen. "Ich dachte, ich wäre jetzt schon komplett aufgelöst, aber ich bin es nicht", sagte Klopp auf Englisch, nachdem seine Spieler Spalier standen und dem Boss noch einmal Applaus schenkten.

Wahrscheinlich war es hilfreich, dass Klopp seinen Abschied bereits am 26. Januar bekannt gegeben hatte. Die Entscheidung selbst fiel bereits im vergangenen Jahr. So konnte er sich auf diesen letzten Tag emotional vorbereiten und war weniger übermannt.

Vielleicht machten es ihm auch die Rahmenumstände leichter, denn für Liverpool stand sportlich nichts mehr auf dem Spiel. Man stelle sich vor, die "Reds" hätten noch um die Meisterschaft gekämpft. Oder das letzte Spiel wäre ein Europa-League-Finale gegen Bayer Leverkusen am Mittwoch in Dublin gewesen. Es wäre wohl zur kolossalen Achterbahn jeder vorstellbaren Emotionen geworden.

Einschwören auf den Nachfolger

So jedoch konnte Klopp sogar strategisch klug, die Fans und den gesamten Verein darauf einschwören, was nach ihm kommen wird. Arne Slot, der am Sonntag von den Fans von Feyenoord in Rotterdam respektvoll verabschiedet wurde, ist als Nachfolger bereits bekannt. "Ihr werdet den neuen Trainer genauso willkommen heißen, wie ihr mich einst aufgenommen habt", sagte Klopp. Seine Botschaft ging besonders an die Liverpooler Anhängerschaft, die er die "Superpower des Fußballs" nannte. -

Zum Ende seiner Rede am Mikrofon wurde es noch ein wenig philosophisch: "Ihr seid vom ersten Tag voll dabei. Ihr glaubt immer daran und unterstützt das Team. Veränderung ist gut. Niemand befiehlt euch, an etwas nicht mehr zu glauben. Wir entscheiden selbst, ob wir besorgt oder begeistert sind. Wir entscheiden, ob wir an etwas glauben. Wir entscheiden, ob wir vertrauen haben oder nicht. Und seit heute bin ich einer von euch und ich glaube an euch."

Keiner sollte Klopp vorwerfen, dass er auch nach 34 Jahren im Profifußball nicht weiterhin authentisch ist. Aber er ist natürlich auch abgeklärter geworden und weiß sich zu inszenieren, damit die optimale mediale und öffentliche Wirkung entsteht. Dass er es mit viel Charme und Charisma tut, hat ihm jede Menge Fans und Verehrer eingebracht.

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Der Kaderumbruch ist bereits geschehen

Die Ära Klopp in Liverpool war eine alles in allem erfolgreiche. Der Klub hat sich weit von den drögen Tagen zum Ende der Amtszeit von Brendan Rodgers entfernt und ist wieder ein europäisches Schwergewicht. Einzig der Fakt, dass mit der Ära Klopp auch die Ära Guardiola bei Manchester City zusammenfiel, hat den "Reds" ein wenig einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Der spendierfreudige Klub mit dem genialen katalanischen Trainer war Liverpool häufig einen Schritt voraus. Nichtsdestotrotz gab es einen Champions-League-Sieg sowie eine englische Meisterschaft zu bejubeln.

Zudem hat Klopp nicht schon nach der vergangenen Saison seine Koffer gepackt, sondern zuvor noch einen Umbruch im Kader eingeleitet. Hochkarätige Neuzugänge wie Mac Allister und der Ex-Leipziger Dominik Szoboszlai werden fortan das Herzstück bilden, während sich Talente wie Harvey Elliott und Conor Bradley zusehends als Leistungsträger etablieren. Arne Slot muss also nicht bei null anfangen, der Druck könnte jedoch – trotz der Worte Klopps – größer nicht sein.

Und wie geht es für Klopp weiter? Die kommende Saison wird er nicht an der Seitenlinie stehen, das wurde mehrfach von seinem Berater betont. Er kann sich also zurücklehnen, gelegentlich das eine oder andere Angebot eines europäischen Top-Clubs auf sich zukommen lassen und vielleicht einfach mal neue Dinge ausprobieren. Seit ein paar Tagen ist der 56-Jährige sogar auf Instagram aktiv.

Smartphone-Selfies hat er während seines Abschieds am Wochenende auch geschossen. Ein Fußball-Influencer war er ohnehin auf seine Weise schon.

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