Mit dem Weggang von Alan ist die Offensivpower bei Red Bull Salzburg verpufft. Von den fantastischen Vier ist nur noch Jonatan Soriano übrig. Nach Jahren des Aufstiegs droht ein Durchhänger - andererseits eröffnen sich der Mannschaft gerade dadurch wieder neue Perspektiven.
Den Lockungen von Fabio Cannavaro und Marcello Lippi kann man leicht erliegen. Die Weltmeister von 2006 haben das Ruder bei Guanzhou Evergrade fest in der Hand: der eine als Cheftrainer, der andere als eine Art Technischer Direktor. Der Klub aus der Zwölf-Millionen-Einwohner-Metropole im Südosten Chinas hat zuletzt viermal in Folge den nationalen Titel geholt. Die sportlichen Referenzen sind gut - und trotzdem verwundert Alans Wechsel nach Fernost.
Der Brasilianer war eine Institution beim österreichischen Meister Red Bull Salzburg, in gewisser Weise das Alpen-Pendant zu Guanzhou. In 129 Pflichtspielen hat Alan 93 Tore für Red Bull erzielt. Er war ein Viertel des magischen Quartetts, dem auch Sadio Mane, Kevin Kampl und Jonatan Soriano angehörten.
Bis zum vergangenen Sommer lehrten die Fantastischen Offensiv-Vier den Gegnern das Fürchten. In der abgelaufenen Saison erzielte das Quartett unglaubliche 79 der insgesamt 110 Ligatore der "Bullen". Dann verkauften die Salzburger Mittelstürmer Mane an den Premier-League-Klub FC Southampton. Und in der Winterpause innerhalb von vier Wochen zunächst Kevin Kampl an Borussia Dortmund und nun eben Alan nach China. Im Sommer wird zudem Abwehrjuwel Andre Ramalho zu Bayer Leverkusen wechseln.
Allem Geld zum Trotz
Selbst die finanziell hervorragend aufgestellten Salzburger müssen sich bei entsprechenden Angeboten den Gesetzmäßigkeiten des Marktes beugen. Rund 40 Millionen Euro Einnahmen für das verkaufte Trio lindern den Schmerz ein wenig.
Trotzdem bleiben Fragen. Der Standort Salzburg war für die Europa-Strategie von Mäzen Dietrich Mateschitz nie mehr als ein Steigbügelhalter - das ist deutlich wie nie. Die "Bullen" haben im internen Ranking der Konzernfamilie deutlich an Wichtigkeit eingebüßt und sind hinter die Kollegen aus Leipzig zurückgefallen.
Den Anfang machte Sportdirektor Ralf Rangnick, der bei einem möglichen Aufstieg Leipzigs in die Bundesliga den Job in Salzburg an den Nagel hängt: "Dann werde ich in Salzburg kein Sportdirektor mehr sein können." So weit ist es noch nicht - und trotzdem bekommt man derzeit das Gefühl, dass sich das Projekt Salzburg eine größere Verschnaufpause gönnt.
Die Offensive schwächelt
Acht Punkte beträgt der Vorsprung in der heimischen Liga auf die Verfolger Wolfsberg und Altach. Mit Hilfe der Winter-Zugänge Marco Djuricin und Takumi Minamino woll man das komfortable Polster in der Rückrunde ins Ziel retten. Auf den ersten Blick ein machbares Unterfangen.
Allerdings hat Red Bull bei aller individueller Qualität in der Offensive vom Zusammenspiel seiner vier Strategen gelebt. Und bis sich Djuricin und der junge Japaner eingelebt haben, könnte es ein Weilchen dauern. Bis auf Weiteres konzentriert sich deshalb alles auf den letzten Musketier, Jonatan Soriano.
Der Spanier war in den vergangenen beiden Spielzeiten Top-Torjäger der Salzburger, ist als Kapitän und Identifikationsfigur unverzichtbar geworden in seinem mittlerweile vierten Jahr in Österreich. Jetzt geht die Angst um, dass sich auch Soriano in naher Zukunft verabschieden könnte.
Wie lange bleibt Jonatan Soriano?
Der Vertrag des 29-Jährigen läuft zwar noch bis Juni 2017, bei einem geschätzten Marktwert von "nur" rund acht Millionen Euro dürften die Interessenten nach dem Weggang von Kampl und Alan aber Schlange stehen. Die "Bullen" fangen spätestens seit vergangenen Freitag mit dem Wiederaufbau ihrer Mannschaft an. In gewisser Weise entspricht die Rochade ja auch dem ursprünglichen Salzburger Plan: Einer permanenten Erneuerung der Mannschaft von innen heraus.
Die Abgänge der Stars sind von nun an Auftrag und Ansporn zugleich für die jüngere Generation dahinter. Ein dominantes Ziel der Salzburger ist schon immer, talentierte Spieler zu gestandenen Profis weiterzuentwickeln. Die Chancen dafür sind bei Red Bull nun so groß wie schon lange nicht mehr.
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