"Er ist homosexuell - na und!" - so unaufgeregt kommentiert Arjen Robben vom FC Bayern München das Coming-out von Thomas Hitzlsperger. Es ist die wünschenswerte Reaktion auf einen Vorgang, der längst Normalität sein sollte und es doch nicht ist.

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Zum Zeitpunkt von Thomas Hitzlspergers Coming-out bildet der Fußball noch immer eine Parallelwelt, in der Männlichkeit über alles geht. Dass Schätzungen zufolge jeder zehnte Deutsche homosexuell ist, wird seit Jahrzehnten vom Gros der Fußballenthusiasten ignoriert. "Schwul" ist auf dem Platz und auf den Rängen noch immer ein Schimpfwort. Die meisten Fans würden sich vermutlich nicht einmal als homophob bezeichnen. Sie denken einfach nicht darüber nach.

Homosexualität im Fußball ist Realität

Thomas Hitzlsperger konfrontiert Fußballdeutschland mit der Wirklichkeit: Es gibt schwule Profifußballer und es gibt demzufolge auch schwule Fans. Fußball ist eben ein "Querschnitt der Gesellschaft", wie es der ehemalige Bundeligatorhüter Darius Kampa beschreibt. Es ist also völlig normal, dass es Homosexualität auch dort gibt. Eigentlich nicht erwähnenswert. Und doch müssen die Medien darüber berichten. Denn noch immer sind viele Menschen von dieser Normalität überrascht. Mehr noch: Manchen macht sie Angst. Wie sonst soll man Kommentare auf dem sozialen Netzwerk Facebook deuten, die von Homosexualität als "Krankheit" sprechen.

Auch wenn Thomas Hitzlsperger im Interview mit der "Zeit" meint, moderner Fußball sei kein Lebensraum für Gestrige, wird die Meinung dieser Facebook-Nutzer prominent angeheizt. Alex, Mannschaftskollege von Zlatan Ibrahimovic bei Paris St. Germain, tut, was schon viele Menschen vor ihm bei Erreichen des eigenen begrenzten Horizonts getan haben: Der ehemalige brasilianische Nationalspieler flüchtet sich am Tag von Hitzlspergers Outing im französischen Fernsehen in die Religion - eine weitere Bastion, die mit Homosexualität gewisse Probleme hat: "Gott hat Adam und Eva erschaffen, nicht Adam und Yves."

Ist der Höhepunkt erreicht?

Normalität klingt anders, deshalb muss Hitzlsperger auch mehr Aufmerksamkeit zuteil werden, als denen, die nach ihm kommen. Er ist der erste, der mit den gängigen Klischees bricht. Sein Coming-out ist ein "wichtiges Mosaiksteinchen in Richtung Akzeptanz von Homosexualität im Fußball", bringt es Sportsoziologe Gunter A. Pilz auf den Punkt. Und es liegt auch an den Medien, "gegen die Gröler, die jetzt wieder aus ihren Büschen kommen und versuchen Stimmung zu machen, zu feuern", findet Dirk Leibfried, der Autor des Buches "Das Schweigen der Männer: Homosexualität im deutschen Fußball".

Wie in einem Theaterstück muss der Höhepunkt einmal erreicht werden, damit die Spannung abfallen kann. Es ist zu hoffen, dass Hitzlsperger diesen Höhepunkt herbeigeführt hat. Dass jedes weitere Coming-out nur mehr zur Kenntnis genommen und nicht mehr ausgeschlachtet wird. "Dass die Sexualität, egal ob Hetero- oder Homosexualität, eines Menschen im Fußball etwas ganz Normales, nicht Erwähnenswertes wird", wie es Hitzlspergers Weggefährte Arne Friedrich in der "Zeit" formuliert. Der Ex-Profi ist sich sicher: "Diese Zeit wird kommen."

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