Für die einen ein klarer Elfmeter, für die anderen eine krasse Fehlentscheidung: Der Elfmeter für Frankreich im WM-Finale von Moskau spaltet die Fußballgemeinde. War das ein absichtliches Handspiel von Ivan Perisic oder nicht? Trotz Videobeweis gehen die Meinungen auseinander. Und selbst erfahrene Schiedsrichter tun sich mit einem klaren Urteil schwer.

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Hat jemand "gute Gründe" für sein Handeln, unterstellt man ihm gemeinhin, dass seinem Tun wohlüberlegte Erwägungen zugrunde liegen. Oder zumindest eine ausreichende Überprüfung des Sachverhaltes.

Insbesondere von Schiedsrichtern wird solch ein Vorgehen erwartet. Entscheidet der Referee auf dies oder jenes, sollte er in jedem Fall das Regelwerk hinter sich wissen.

Da aber dieses manchmal nicht so eindeutig ist, wie es wünschenswert wäre, sollte der Unparteiische mindestens "gute Gründe" haben, wieso er hier pfeift und dort nicht. Wieso er in dieser Szene bestraft und in jener nicht.

Markus Merk fehlen "gute Gründe" für den Elfmeter

Und genau diese "Gründe" fehlen Markus Merk. Der deutsche WM-Rekordschiedsrichter hat sich die Szene in der 34. Minute im Finale zwischen Frankreich und Kroatien oft angesehen, die zum Elfmeter für die Franzosen und wenig später zum 2:1 führte.

Klar, die Hand von Ivan Persic war am Ball, kein Kunststück, das zu sehen. Aber handelte es sich um ein "strafbares" Handspiel, wie es Schiedsrichter Nestor Pitana nach mehrminütigem Studium des Videomaterials interpretiert?

"Es war ein in Unsicherheit entschiedener Elfmeter", sagte Merk der Deutschen Presse-Agentur. Und fügte hinzu: Für einen Elfmeter solle man "keine guten Gründe" suchen müssen.

Tatsächlich hatte Pitana nach dem Eckball zunächst auf Abstoß für die Kroaten entschieden. Erst auf Hinweis von Video-Schiedsrichter Massimiliano Irrati aus Italien - so weit Videobeweis-gemäß - schaute sich der 43-Jährige die Situation selbst am Spielfeldrand an.

Auffällig dabei: Zunächst verließ Pitana die Überprüfungszone, kehrte zum Monitor zurück - und gab dann den Elfmeter.

Urs Meier unterstützt Entscheidung des Schiris

Der ehemalige Weltklasse-Schiedsrichter Urs Meier sieht die Sachlage etwas differenzierter als Merk.

"Man kann den Elfmeter geben", sagt der Schweizer mit der Erfahrung aus zahlreichen WM- und Champions-League-Spielen im ZDF. Meier weiß aber auch: "Ohne Videobeweis hätte es ihn nicht gegeben."

Der Referee und Schiedsrichter-Experte Alex Feuerherdt kann die Entscheidung Pitanas nachvollziehen. Er sieht für den Elfmeter "mehr Gründe, die für ein strafbares Handspiel sprechen, als Gründe dagegen":

Für ihn war die Aktion Perisics "nicht mehr Teil einer fußballtypischen Armbewegung, der Ball war erwartbar, der Arm wurde in die Flugbahn gebracht."

In der Fußball-Kolumne "Collinas Erben" auf n-tv präzisiert Feuerherdt sein Argument: Perisic nimmt mit seiner ausufernden Armbewegung bewusst in Kauf, dass der Ball seine Hand berührt.

"Perisic hatte seinen Arm unter Spannung und in die Flugbahn des Balles gebracht. Hierin keine natürliche, reguläre Bewegung zu sehen, sondern eine ahndungswürdige Vergrößerung der Körperfläche, entspricht der gängigen Regelauslegung, der Strafstoß war damit vertretbar", schreibt Feuerherdt.

Weder neue Freunde noch Feinde für Videobeweis

Ob nun "gute Gründe" oder nicht: Mit der Entscheidung im WM-Finale dürfte sich der Videobeweis weder neue Freunde noch Feinde gemacht haben.

Wer ihn bislang ablehnte, wird es im Zweifel auch in Zukunft tun. Wer ihn als Hilfsmittel für mehr Gerechtigkeit im Fußball begrüßt, wird dies auch nicht durch die Vorkommnisse in der 34. Minute infrage stellen.

Meier, der seine Schiri-Laufbahn längst beendet hat und sich nicht mehr mit dem Videobeweis herumschlagen muss, sieht es mit Zynismus: "Infantino (FIFA-Präsident Gianni, Anm. d. Red.) hatte gesagt, dass er mehr Gerechtigkeit wollte", sagte Meier im ZDF. "Jetzt haben wir mehr Gerechtigkeit." (szu/dpa)

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