Einer der jüngsten Großmeister, jüngster Kandidatenturniersieger und bald vielleicht jüngster Weltmeister? Einiges spricht dafür, dass der 17-jährige Inder D. Kukesh nach seiner überraschenden Qualifikation für den WM-Kampf gegen Titelverteidiger Ding Liren in die Fußstapfen von Magnus Carlsen treten könnte.
Es ist nicht so, dass das Kandidatenturnier für die Weltmeisterschaft 2024 einen Mangel an Favoriten gehabt hätte. An allererster Stelle natürlich Ian Nepomnjaschtschi, der bei den letzten beiden WM-Kämpfen jeweils knapp am Titel gescheitert war, aber auch der US-Amerikaner Fabiano Caruana, der 2018 in einer rekordverdächtigen Remis-Serie an
Doch plötzlich mischte da auch der 17-jährige Dommaraju Gukesh im Konzert der Großen mit. Es war - für sein Alter wenig verwunderlich - sein erstes Kandidatenturnier. Als einer von drei Spielern vertrat er Indien, das den Weltmeistertitel mit einer Vielzahl an Top-Talenten ins Land zurückzuholen will. Gukesh galt zu Beginn nicht mal wirklich als Favorit unter seinen Landsleuten, der auch erst 18-jährige R. Praggnanandhaa war in der Weltrangliste besser platziert.
Doch der Senkrechtstarter aus dem südindischen Chennai startete souverän ins Turnier, musste nur gegen Alireza Firouzja am 7. Spieltag eine Niederlage einstecken. Gegen ebenjenen Firouzja fuhr Gukesh am vorletzten Spieltag den wohl wichtigsten Sieg ein: Eine Partie vor Ende des Turniers lag er nun in Führung, aber nur mit einem halben Punkt Vorsprung. Sowohl Nepomnjaschtschi, Caruana als auch Nakamura lagen nur knapp dahinter und hatten die Chance, an Gukesh vorbeizuziehen. Und sie alle trafen am letzten Spieltag aufeinander. Im wohl spannendsten Turnierfinale der letzten Jahre konnte Gukesh gegen Nakamura ein Remis halten, musste aber darauf hoffen, dass sich in der Partie zwischen Nepomnjaschtschi und Caruana ebenfalls kein Sieger fand. Es fand sich tatsächlich keiner, die Sensation war geschafft: In einem Wettbewerb mit zwei Ex-WM-Kandidaten lag am Ende der 17-Jährige vorne.
Gukesh erreichte Meilensteine in jungen Jahren
Damit wird Gukesh der jüngste Spieler jemals sein, der an einer Weltmeisterschaft teilnimmt. Solche Fakten sind für ihn nichts Neues. Schach-Großmeister war der Inder bereits mit 12, als drittjüngster Spieler weltweit und früher als alle späteren Weltmeister. Den späteren Superstar Magnus Carlsen löste er auch als jüngster Spieler ab, der die Elo-Marke von 2750 durchbrach. Bei seinem ersten WM-Kampf war Carlsen übrigens schon 22, sogar der große Garri Kasparov schaffte es erst im Alter von 20 Jahren, beim wichtigsten Turnier der Schachwelt zu debütieren. Was Gukesh selbst davon hält, erklärte er in der Pressekonferenz nach dem letzten Spiel. "Ich kümmere mich nicht wirklich um all diese Rekorde, aber es ist eine nette Sache, das sagen zu können. Im Moment freue ich mich vor allem darüber, dass ich das Turnier gewonnen habe."
Nicht nur seine Abgeklärtheit, vieles, was Gukesh in jungen Jahren vollbringt, erinnert an den Norweger, der das klassische Schach jahrelang so mühelos dominierte, dass er 2022 selbst sagte, seinen WM-Titel nicht mehr verteidigen zu wollen und sich seitdem mehr auf Schnellschach sowie andere Schachvarianten konzentriert. Doch ist der Inder nach seinem Überraschungserfolg nun wirklich der designierte Erbe des fast unschlagbaren Carlsen?
Seit Carlsens WM-Rückzug ist der Kampf um die Krone so ausgeglichen und spannend wie lange nicht mehr. Das Kandidatenturnier war ein erneuter Beweis dafür. Aber, argumentieren manche, sie ist eben auch nicht mehr so gut. Auch nach Carlsens Rücktritt von den WM-Kämpfen gilt es weiterhin fast als selbstverständlich, dass der beste Schachspieler der Welt aus Norwegen kommt. Bei der Weltmeisterschaft geht es aktuell de-facto nur noch um Platz zwei.
Gukesh besiegte Carlsen
Damit das WM-Turnier langfristig nicht an Wert verliert, sollte sich also bald jemand finden, der den Anspruch, die Nummer eins zu sein, auch realistischerweise stellen kann. Gukesh könnte das zumindest langfristig ändern. Dafür spricht, dass er Carlsen sogar schon besiegt hat. Über eine kürzere Bedenkzeit bei einem Schnellschachturnier im Oktober 2022 konnte er den Norweger überraschend bezwingen. Er war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt - natürlich der jüngste Spieler, dem ein Sieg gegen den damaligen Weltmeister gelang.
Und auch im WM-Kampf gegen den Chinesen Ding Liren, der bislang noch nicht terminiert ist, werden Gukesh gute Chancen gegeben, Weltmeister zu werden und erneut Geschichte zu schreiben. Das liegt gar nicht unbedingt an seiner eigenen Stärke, sondern am Titelverteidiger selbst: Liren tauchte nach seinem WM-Sieg lange Zeit ab und spielte in den letzten Monaten kaum auf hohen Niveau. Gegenüber der "Taz" erklärte er, er hatte mit mentalen Problemen zu kämpfen.
Trotzdem, noch ist es nicht so weit. Seine Qualifikation verdankt der junge Inder natürlich auch der Tatsache, dass sich viele gute Spieler auf ähnlichem Niveau gegenseitig die Punkte wegnahmen. Die Frage ist zudem, wie Gukesh mit dem Druck umgehen wird, jetzt im Rampenlicht zu stehen und die Schach-Hoffnungen des bevölkerungsreichsten Landes der Erde erfüllen zu müssen. Für Indien ist das Duell bei der Schach-WM schließlich auch ein wichtiges Prestigeduell gegen China, zum ersten Mal kommt es auf dieser Bühne zu einem WM-Kampf zwischen Spielern dieser beiden Länder.
Sollte es nicht klappen, stehen hinter Gukesh bereits viele Jungstars bereit, die ebenfalls in die Weltspitze streben. Die meisten davon sind ebenfalls noch unter 20 und haben den Großteil der Karriere noch vor sich - darunter mit Vincent Keymer übrigens auch ein deutscher Spieler. Will Gukesh also wirklich der neue Star der Schachwelt werden, muss er wahrscheinlich noch weitere Rekorde brechen.
Verwendete Quellen
- mit Material des SID
- taz.de: Schach-Weltmeister Ding Liren: „Ich möchte ein netter Mensch sein“
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