Schwere Vorwürfe der früheren ugandischen Mittelstreckenläuferin Annet Negesa: Man habe sie nach Feststellung zu hoher Testosteronwerte operiert, ohne ihr die Auswirkungen des Eingriffs grundlegend zu erläutern. Die gesundheitlichen und seelischen Probleme im Anschluss an die OP hätten ihre Karriere beendet.

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Die frühere ugandische Mittelstreckenläuferin Annet Negesa hat wegen eines operativen Eingriffs zur Senkung ihres Testosteronwertes Vorwürfe gegen den französischen Mediziner Stephane Bermon, mittlerweile leitender Arzt des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, erhoben.

ARD-Dokumentation greift Fall von Negesa auf

In der ARD-Dokumentation "Kampf ums Geschlecht - Die verstoßenen Frauen des Sports", die am Freitag (16:10 Uhr) im Rahmen des Auftakts zur WM in Doha ausgestrahlt wurde, berichtet Negesa, dass man sie über die weitreichenden Folgen des Eingriffs im Unklaren gelassen habe.

Bei der heute 27 Jahre alten ehemaligen 800-m-Läuferin Negesa waren im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 in London hohe natürliche Testosteronwerte festgestellt worden, die IAAF hatte sie aufgrund der damals gültigen Regelung gesperrt. Wie Negesa der ARD schilderte, seien ihr, um wieder die Starterlaubnis zu erhalten, in Absprache mit dem Arzt Bermon im Rahmen einer sogenannten Gonadektomie die innenliegenden Hoden entfernt worden, die die erhöhte Testosteronproduktion bewirkt hatten.

Arzt soll Schwere und Bedeutung der OP verheimlicht haben

Die Uganderin wirft den Ärzten um Bermon nun vor, ihr die Schwere und Bedeutung der Operation verheimlicht zu haben. "Sie haben mir gesagt, es sei eine Art Injektion, sie würden mein Testosteron herausziehen. Aber das ist nicht das, was sie gemacht haben. Als ich am Morgen aufwachte, hatte ich Schnitte", sagte Negesa.

Wegen angeblich vollkommen unzureichender medizinischer Nachsorge sowie körperlicher und seelischer Schäden infolge der Eingriffe habe Negesa nach eigener Darstellung nie wieder Leistungssport treiben können. Dabei sei der Eingriff von den Ärzten vorher als harmlos beschrieben worden.

IAAF-Präsident Sebastian Coe bestritt auf Anfrage der ARD, dass Operationen ohne eine medizinische Indikation Bestandteil der Regelumsetzung seien. Gleichwohl verwies der Brite auf die Notwendigkeit von Medikationen zur Senkung des Testosteronspiegels, um Chancengleichheit zu gewährleisten.

Negesa, 2011 Leichtathletin des Jahres ihres Heimatlandes und nationale Rekordhalterin über 800, versuchte 2017 noch einmal eine Rückkehr in den Leistungssport. Über 1.500 m belegte sie Platz zehn bei den ugandischen Meisterschaften und blieb fast eine Minute über ihrer Bestleistung.

Brisanz vor Hintergrund des Falles Caster Semenya

Die Schilderungen Negesas erlangen vor allem vor dem Hintergrund des Falles Caster Semenya Brisanz. Die Südafrikanerin war ein Jahr nach dem Gewinn des WM-Titels über 800 Meter 2009 in Berlin als Folge eines umstrittenen "Geschlechtertests" gesperrt worden, 2011 wurde daraufhin die neue Regelung der IAAF wirksam, die das Internationale Olympische Komitee vor den Sommerspielen in London übernahm.

Die Regelung wurde 2015 vom Internationalen Sportgerichtshof CAS gekippt, 2019 trat aber eine neue Regel der IAAF in Kraft, nach der hyperandrogene Läuferinnen wie Semenya ihren Testosteronwert medikamentös senken müssen, um auf bestimmten Strecken (400 Meter bis Meile) starten zu dürfen. Semenya, mittlerweile zweimalige Olympiasiegerin, weigert sich, dem nachzukommen, deshalb darf sie bei der WM in Doha nicht starten. (mgb/afp)

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