Als Co-Pilot hat Timo Gottschalk den Titel bei der Rallye Dakar 2025 zumindest teilweise nach Deutschland geholt. Im Interview erklärt er, was seinen Beruf ausmacht, wie wichtig das Zusammenspiel von Fahrer und Beifahrer ist und warum die diesjährige Ausgabe der Rallye für ihn die bislang härteste war.

Ein Interview

"Professioneller Rallye-Beifahrer" nennt sich Timo Gottschalk auf seiner Website. Und in diesem Job gehört er zweifellos zu den besten der Welt. Vor wenigen Tagen kürte er sich und seinen Fahrer Yazeed Al-Rajhi zum Sieger der für ihre Schwierigkeit berüchtigte Rallye Dakar, er selbst gewann sie damit schon zum zweiten Mal. Doch viel Zeit zum Feiern gab es nicht: Denn Gottschalk und sein Teamkollege sind bald schon wieder beim nächsten Wettbewerb in Saudi-Arabien gefragt.

Mehr News zum Thema Sport

Herr Gottschalk, mehr als eine Woche ist es jetzt her, dass Sie zum zweiten Mal in Ihrer Karriere die Rallye Dakar gewonnen haben. Konnten Sie die intensive Zeit schon verarbeiten?

Timo Gottschalk: Dafür braucht es ein bisschen Zeit. Schon wenn man über die Zielrampe fährt, spürt man eine große Erleichterung. Bis ich richtig realisiere, dass ich nochmal die "Dakar" gewonnen habe, dauert es ein, zwei Tage.

Was haben Sie im ersten Moment nach dem Sieg gemacht?

Wir sind uns in die Arme gefallen und haben uns bedankt, bei unseren Mechanikern und dem ganzen Team. So ein Sieg ist nicht möglich ohne die entsprechenden Leute im Hintergrund. Alle haben einen tollen Job gemacht, das Auto lief perfekt, die ganze Logistik lief perfekt. Da ist man erstmal beschäftigt, sich bei allen zu bedanken, die da mitgewirkt haben.

"Ich bin sozusagen Sekretär und Seelsorger in einem."

Timo Gottschalk über seine Aufgaben als Rallye-Beifahrer

Sie nennen sich auf Ihrer Website professioneller Rallye-Beifahrer – das klingt für einen Laien erstmal nach einem entspannten Job. Wie ist es wirklich?

Es ist schon etwas stressiger. Während des Fahrens muss ich navigieren – wir haben das "Roadbook", eine Art Wegbeschreibung des Veranstalters, in der zum Beispiel steht: Bei Kilometer Soundso biegt ihr links ab. Bei offenen Dünen haben wir teilweise auch nur eine Kompassrichtung, es gibt auch Gefahrenstellen mit einer Senke, mit mehreren Richtungen oder einer Kuppe. Dadurch habe ich im Schnitt wahrscheinlich alle 100 Meter etwas zu sagen. Allgemein bin ich ein bisschen das "Mädchen für alles" – ich passe auf, dass der Fahrer alle Sachen dabeihat, die er braucht, von den Handschuhen und der Baklava bis zur Banane und dem Müsliriegel im Handschuhfach, erledige organisatorische Aufgaben. Ich bin sozusagen Sekretär und Seelsorger in einem.

Gottschalk: "Es geht nicht immer nur um Vollgas"

Die Rallye Dakar ist der wohl bekannteste Wettbewerb im Rallye-Kalender. Was macht den Reiz des Wettbewerbs aus?

Der Reiz ist das Ungewisse. Bei der Rallye fahren wir quer durch ganz Saudi-Arabien, das sind zigtausende Kilometer, zwölf Tage und zwölf Etappen, bei denen wir nicht so richtig wissen, was passiert und die Strecke vorher nicht kennen. Wir müssen uns oft selbst helfen, man kann sich aber auch durch clevere Entscheidungen Vorteile erarbeiten. Es geht nicht immer nur um Vollgas, sondern auch darum, seine Kräfte einzuteilen und sich mit technischem Verständnis aus bestimmten Situationen heraus zu manövrieren. Und wenn man es geschafft hat, ist man darauf umso stolzer.

Die Rallye Dakar

  • Die Rallye Dakar ist der wohl bekannteste Rallye-Raid-Wettbewerb der Welt - über tausende Kilometer geht es über offenes Wüstengelände und unbefestigte Wege, die Strecken sind nur grob vorgegeben. Seit die Rallye 2008 wegen Terrordrohungen abgesagt werden musste, führt der Kurs nicht mehr dem Namen entsprechend in die senegalesische Hauptstadt Dakar. Stattdessen fand die Rallye von 2009 bis 2019 in Südamerika statt, seitdem fahren die Teilnehmer durch Saudi-Arabien. Mit Jutta Kleinschmidt gewann 2001 erstmals eine Fahrerin die "Dakar".

Worauf kommt es dabei am meisten an?

Ohne mich jetzt als Beifahrer in den Himmel loben zu wollen, aber bei der Rallye Dakar ist der Anteil von Fahrer und Beifahrer wirklich bei 50-50. Klar brauchst du einen guten Fahrer, der schnell fahren kann und muss – aber ohne einen Beifahrer, der sagt, wo es lang geht, ist ein guter Fahrer trotzdem nicht vorne mit dabei. Die Etappen sind bewusst auch so gemacht, dass es navigatorisch teilweise wirklich knifflig wird und bewusste Fallen eingebaut sind, die man erkennen muss.

In den vergangenen Ausgaben der Rallye sind schon viele Motorradfahrer durch Unfälle verstorben, auch bei den Autos sieht man oft spektakuläre Crashs. Wie gehen Sie mit dieser Gefahr um?

Gefährdet sind vor allem Motorradfahrer, weil sie mit recht hohem Tempo blind ins Ungewisse fahren und wenig Schutz um sich haben. Mittlerweile müssen sie zur verbesserten Sicherheit auch Airbag-Westen tragen. Wir in den Autos sind dagegen schon recht gut geschützt mit dem Überrollkäfig, darüber hinaus gibt es eben kaum Hindernisse. Deshalb habe ich es im Hinterkopf, weiß aber gleichzeitig auch, wie sicher das Auto ist. Ein gewisses Risiko gibt es in jedem Sport, das muss man einfach akzeptieren.

Gottschalk: Die diesjährige Rallye Dakar war die Härteste

Sie sagten, es war Ihre "mit Sicherheit härteste Rallye Dakar bisher". Dabei sind Sie schon einige Ausgaben mitgefahren. Was war dieses Mal so hart?

Es war meine 17. Rallye Dakar, ich bin sie auf drei verschiedenen Kontinenten gefahren. Aber diese Ausgabe hatte nochmal 1000 Kilometer mehr als im letzten Jahr, das war schon extrem. Und die Wertungsprüfungen selbst waren nicht einfach, wir sind auf schwierigem Gelände gefahren. Die haben sich nicht so leicht wegfahren lassen wie manch andere Etappen. Schon die erste Woche war zäh wie ein Gummiband und die Kilometer wollten nicht weniger werden. Ich habe mich gefühlt, als wären schon zwei Wochen rum.

Yazeed Al-Rajhi und Timo Gottschalk
Zusammen mit seinem Fahrer Yazeed Al-Rajhi aus Saudi-Arabien (l.) hat Timo Gottschalk (r.) die Rallye Dakar 2025 gewonnen. © IMAGO/PsnewZ/ANTONIN VINCENT

Eine klare Sache war der Sieg nicht: Der Südafrikaner Henk Lategan lag noch kurz vor Schluss vor ihnen.

Der Abstand war einer der geringsten seit Jahren und Henk war ein richtig harter Gegner. Aber wir sind ab der zweiten Woche auch taktisch gefahren. Wir haben bewusst an manchen Tagen Zeit verschenkt, um nicht am nächsten Tag als erster starten zu müssen – denn das kann auch ein Nachteil sein. Es war ein bisschen ein Wechselspiel.

Gab es Momente, in denen Sie dachten: Das könnte jetzt schwierig werden?

Die hatten wir öfter! Das ist auch mein Problem bei der "Dakar": Ich möchte als Beifahrer immer 100 Prozent perfekt sein, aber das funktioniert hier nicht. Den Fahrer ohne Fehler zu navigieren ist unmöglich. Es gibt immer Ecken, wo du ein bisschen vom Weg abkommst oder den Weg nicht gleich findest und ein bisschen suchen musst. Aber in solchen Momenten ist es wichtig, einen klaren Kopf zu behalten und mit deinem Fahrer auch auf einer Wellenlänge zu sein.

Warum ist der Job des Beifahrers trotzdem Ihre Leidenschaft?

Ich bin einfach ein sehr akribischer Mensch, was auch ein Problem ist, weil nicht alles perfekt laufen kann. Aber im Endeffekt geht es mir um die Bestätigung, dass man mit viel Fleiß und Akribie etwas erreichen kann. Andersrum kann es an Tagen, an denen man einen Fehler macht und dadurch Zeit verliert, auch frustrierend sein. Aber im Großen und Ganzen macht es mir einfach Spaß. Das abenteuerliche Fahren ins Nirgendwo, sich herauszubuddeln, wenn man sich in der Wüste festgefahren hat, das Auto irgendwo im Nichts abends zu reparieren, um am nächsten Tag weiterzufahren – das ist schon ein bisschen mein Ding.

Gottschalk wollte nie Fahrer sein

Haben Sie sich bewusst für diese Rolle entschieden?

Angefangen habe ich damals mit einem Kumpel bei Rallies in Deutschland, das Auto hat ihm gehört und ich war der Beifahrer. Schon da war es aber nie so, dass ich gesagt habe: Ich will aber lieber fahren. Ich habe mich immer wohlgefühlt auf der Beifahrerseite und habe das auch nie in Frage gestellt. Ich fahre gerne Auto und Motorrad, fahre gerne auch ein bisschen schneller, aber ich glaube, dass ich auf der rechten Seite des Autos besser aufgehoben bin als auf der linken.

Auch bei der Rallye dachten Sie nie: Jetzt würde ich auch mal gerne fahren?

Eigentlich nicht – es gibt schon ein paar schöne Landschaften, bei denen man sich denkt: Hier müsste ich mal privat hinfahren und mir das in Ruhe angucken, ganz ohne Zeitdruck – was am Ende natürlich nur selten klappt. Aber fahren muss ich nicht.

Seit Jahren bilden Sie mit Yazeed Al-Rajhi aus Saudi-Arabien ein Team. Wie wichtig ist die Connection zwischen Fahrer und Beifahrer?

Es ist ein kleines bisschen wie eine Ehe. Yazeed und ich sind beispielsweise nicht die großen Redner, im Auto sind wir recht ruhig, wenn es gerade nicht ums Navigieren geht. Aber wir sind eigentlich gute Kumpel, haben uns im Laufe der Jahre kennengelernt und verstehen uns inzwischen fast schon blind. Jeder weiß, wie der andere tickt und jeder weiß, wann der andere ein gutes Wort oder einen Hinweis braucht.

Wie kam die Verbindung zustande?

Yazeed hat mich vor einigen Jahren kontaktiert und meinte, er würde gerne Cross-Country-Rallies fahren. Er hat gefragt, ob ich Interesse hätte, sein Beifahrer zu sein. Damals konnte ich nicht, weil ich schon einen anderen Fahrer hatte. Ein Jahr später war ich dann aber verfügbar und er hat sich nochmal gemeldet. Danach sind wir fünf Jahre zusammengefahren, zwei Jahre getrennt und jetzt wieder seit 3 Jahren als Team.

Warum es um Deutschlands Rallye-Sport schlecht steht

Deutsche Piloten waren bei der Rallye kaum mit dabei. Woran liegt das?

Seitdem Walter Röhrl nicht mehr fährt, ist der Rallye-Sport in Deutschland ein bisschen eingeschlafen. Es gab immer wieder ein paar, die auch international erfolgreich waren, aber nie so, wie Walter das war. Das ist schade, es steht und fällt eben mit einem großen deutschen Fahrer, der bei der WM vorne mitfährt. Das haben wir gerade leider nicht.

Warum kommen keine neuen Fahrer nach?

Das ist ein Geld- und Sponsorenproblem. In anderen Ländern, wo der Sport populärer ist, ist es eben einfacher, Sponsoren zu finden. Rallye ist ein teurer Sport und hier in Deutschland findest du eher einen Sponsor, wenn du drei Runden auf dem Nürburgring fährst, als wenn du Rallye-Fahrer bist.

Wie ging es nach dem Sieg bei der Rallye Dakar für Sie weiter?

Wir haben vor Ort noch eine kleine Feier mit den Mechanikern gemacht und dann ging es nach Hause. Dort haben Familie und Freunde eine Feier mit 30 Leuten organisiert, wir haben gegessen, getrunken und ein paar Bilder und Videos von der Rallye angeguckt. Das war schon schön und hat Spaß gemacht.

Sie haben die Rallye Dakar jetzt zweimal gewonnen. Was kommt jetzt noch für Sie?

Ein drittes Mal die Rallye zu gewinnen, wäre natürlich die Krönung – alle guten Dingen sind drei, sagt man ja. Aber das große Ziel für dieses Jahr ist die Rallye-Raid-Weltmeisterschaft, wo wir in den letzten zwei Jahren jeweils Zweiter geworden sind. Und mit der guten Punkteausbeute bei der "Dakar" haben wir auch Chancen, den Titel zu holen. Es kommen noch vier große Rallys und darauf liegt jetzt unser großes Hauptaugenmerk. Danach schauen wir, was die "Dakar" im nächsten Jahr bringt. Ich glaube aber nicht, dass ich sie noch zehnmal fahren werde.

Zur Person:

  • Timo Gottschalk wurde 1974 im brandenburgischen Neuruppin geboren und kann mittlerweile auf langjährige Erfahrungen im Rallye-Sport zurückblicken. 2007 nahm er als Co-Pilot an seiner ersten Rallye-Dakar teil, die er 2011 mit Nasser Al-Attiyah aus Katar erstmals gewann. Zwischendurch fuhr er auch an der Seite der Rallye-Legende Carlos Sainz. Gottschalk lebt aktuell in Rheinsberg.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.