Diabetes Typ 1 ist eine unheilbare Krankheit, die lebensgefährlich sein kann. Trotzdem gibt es Sportler, die zeigen, dass man auch mit dieser Krankheit Spitzenleistungen vollbringen kann. Wir haben zum Weltdiabetestag mit einem Experten darüber gesprochen, wie das möglich ist und wie wichtig die Vorbildfunktion dieser Sportler ist.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Alexander Zverev fühlte sich lange sehr unwohl. Denn Kinder und Jugendliche können fies sein. Oft reichen bereits Kleinigkeiten, um gehänselt und zur Zielscheibe von Sticheleien zu werden. Zverev hat diese Erfahrung gemacht, als er ab der fünften Klasse auf einer Sportschule war, als einziger Tennisspieler zusammen mit 29 Fußballern. Teilweise sei er gehänselt worden, sagte er in der NDR Talk Show. Doch es blieb nicht dabei, auch Mobbing gehörte dazu.

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"Teilweise wurden meine Geräte kaputtgemacht, das Insulin wurde weggeworfen, sodass ich den ganzen Tag nichts essen konnte. Das war keine so schöne Zeit für mich", sagte Zverev. Er habe deshalb versucht, die Krankheit zu verstecken: "Ich wollte nie, dass man sagt, ich habe jetzt eine Ausrede, wenn ich verliere oder wenn etwas schiefläuft. Das wollte ich alles nicht."

Im vergangenen Jahr dann der Schritt, vor dem er sich immer gefürchtet hat, der aber enorm wichtig ist – für ihn, aber auch für andere: Er machte öffentlich, dass er Diabetes Typ 1 hat. Was bedeutet, dass der Körper kein Insulin produzieren kann, wodurch aufgenommene Kohlenhydrate bei Insulinmangel nicht richtig verwertet werden. Die Zuckerkonzentration im Blut kann stark schwanken und es kann zu lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen kommen. Diabetes Typ 1 gehört zu den Autoimmunerkrankungen. Die Krankheit kann jede und jeden unabhängig vom eigenen Lebensstil treffen.

Typ-2-Diabetes hingegen entsteht durch eine erbliche Veranlagung sowie Bewegungsmangel und Übergewicht. Während es beim Typ 2 durch einen gesunden Lebensstil zu einer Besserung der Erkrankung kommen kann, müssen Typ-1-Betroffene wie Zverev ihr Leben lang täglich Insulin spritzen, um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten.

Zahlreiche Herausforderungen für Profisportler

Und das ist nur eine der Herausforderungen für Spitzensportler wie Zverev, Profifußballerin Sandra Starke und Hockey-Nationalspieler Timur Oruz. "SportlerInnen mit Typ 1 Diabetes mellitus haben oft Sorge vor Stoffwechselentgleisungen. Durch die Erkrankung bestehen besondere Herausforderungen, vor allem in der Anpassung der Insulintherapie", sagt Prof. Dr. Christian Brinkmann von der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Dabei müssen viele Faktoren berücksichtigt werden, die beim und nach dem Sporttreiben die Glukoseregulation beeinflussen. Dazu zählen unter anderem die Dauer und Intensität der Aktivität, Stress, Timing der Nahrungszufuhr, aufgenommene Lebensmittel, Tageszeit, etc.", erklärt Brinkmann.

Allerdings sind die Sportler nicht auf sich alleine gestellt, neue wissenschaftliche Erkenntnisse sowie technologische und pharmakologische Innovationen der letzten Jahre helfen, Sport sicher auszuüben.

Zverev hörte als Kind allerdings oft von Ärzten, dass er es mit dieser unheilbaren Krankheit niemals als Tennisprofi schaffen werde. Auch deshalb hat er erstmals offen über seine Erkrankung gesprochen, dazu hat er eine Stiftung unter seinem Namen mit dem Zusatz "Aufschlag gegen Diabetes" gegründet, die unter anderem Jugendliche mit Diabetes in der Persönlichkeitsentwicklung und in der sportlichen Karriere unterstützt.

Denn möglich ist trotz der Erkrankung ganz grundsätzlich alles, "das Niveau nach oben ist genauso offen wie bei Profis ohne die Erkrankung. Wir finden sowohl in kraft- als auch in ausdauerorientierten Sportarten SpitzenathletInnen mit Diabetes Typ 1", sagt Brinkmann. Wichtig sei aber ein Finetuning im Diabetesmanagement, das könne entscheidend sein: "Kompetente Diabetes-Teams in den Schwerpunktpraxen können AthletInnen hier unterstützen."

Zverev und Co. können Vorbilder sein

Und Spitzensportler mit der Erkrankung können ihrerseits Vorbilder sein für junge Menschen und ihnen vermitteln, dass auch mit der Erkrankung Spitzenleistungen möglich sind. "Deshalb finde ich es gut, die Erkrankung öffentlich zu machen und MutmacherIn zu sein", sagt Brinkmann, der aber auch weiß, dass es wohl eine hohe Dunkelziffer gibt von Sportlern, die an Diabetes erkrankt sind, sich aber nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, "zum Beispiel, weil sie Sorge haben, dass die Erkrankung zu sehr im Mittelpunkt stehen könnte. Auch das sollte man respektieren", sagt der Experte.

Hockey-Nationalspieler Oruz hat dafür zum Beispiel kein Verständnis. Für ihn sei es "völlig inakzeptabel, da gibt es für mich kein einziges Argument dafür, warum man das nicht macht", sagte Oruz beim "Deutschlandfunk". Er glaube, dass Zverev falsch beraten worden sei, denn "ich glaube, es nicht zu zeigen, ist ein Zeichen von Schwäche! Ich bin der Meinung, dass man mit dieser Rolle, egal in welcher Sportart man sie einnimmt, auch immer ein Verantwortungsgefühl, ein Pflichtbewusstsein gegenüber den Kindern und Jugendlichen eingeht. Und wenn man der Rolle nicht gerecht wird, dann hat man auch als Vorbild einiges falsch gemacht."

Aufklärung und Strukturen: Es ist noch Luft nach oben

Der Fall Zverev zeigt aber auch, dass sich in Sachen Aufklärung und Strukturen noch viel verbessern muss. Insulin steht auf der Dopingliste, in der Regel ist eine Ausnahmeregelung kein Problem. Bei den French Open in diesem Jahr wurde Zverev das Spritzen auf dem Platz verboten, sein Gang in die Kabine galt als Toilettenpause. Zverev war stinksauer, das Thema machte die mediale Runde. Was Brinkmann gar nicht schlecht findet. "Das hat viel Wind gemacht. Es war deshalb gut, da es viele Leute auf das Thema aufmerksam gemacht hat. Ich denke, es ist vor allem Unwissen, das zu dem unsicheren Umgang geführt hat", sagt Brinkmann.

Oruz kritisiert allerdings, dass die Strukturen für Typ-1-Diabetiker nicht optimal seien. Man brauche ein gut unterstützendes Umfeld, "sonst wird es noch schwerer", sagt der 29-Jährige. Auch Zverev betont, dass ihm gute Freunde und die Familie geholfen hätten, auch auf der psychologischen Seite, also vor allem in der Zeit, als er gemobbt wurde. Daneben gab ihm der Sport selbst Halt, der Fokus auf das Tennis, denn positive Emotionen können dafür sorgen, dass man gut durch schwierige Zeiten kommt. Essenziell war auch die Tatsache, dass er selbst zum Diabetes-Experten wurde.

"Die Krankheit selbst in die Hand zu nehmen und der eigene Experte zu werden, ist der beste Ratschlag, den ich geben kann", sagte Zverev dem "Diabetes Ratgeber". Dazu sei es notwendig, sich klare Ziele zu stecken und konsequent an ihnen zu arbeiten. "Aber im Laufe der Jahre lernt man auch, wie der eigene Körper reagiert. Man braucht einfach genug Disziplin, um jeden Tag dazuzulernen und sich besser zu verstehen."

Flüche und Hass gehören dazu

Das Zucker-Management ist allerdings kein Selbstläufer, die Krankheit selbst schon gar nicht. Man kann damit gut leben, allerdings gibt Oruz offen zu, dass er Diabetes an manchen Tagen verflucht und hasst. Doch er konnte so auch früh lernen, was Disziplin bedeutet. Er versucht daher, positive Energie aus der täglichen Herausforderung zu ziehen. Denn diese Challenge biete enormes Potenzial für Zufriedenheit und Glücksgefühle, sagte Oruz: "Sobald man eine Challenge meistert, macht sich ein Gefühl von Stolz breit. Und das gleiche kann und muss man auch beim Diabetes-Management eigentlich so zelebrieren."

Und was rät der Experte? "Aufklärung über das Thema bei TrainerInnen und AthletInnen ist gut", sagt Brinkmann. "Junge Menschen mit der kürzlich gestellten Diagnose sollten keine Angst haben, dass ihr Traum von einer Profikarriere platzen muss. Alle sollten wissen, dass es Anlaufstellen wie die AG Diabetes, Sport und Bewegung der Deutschen Diabetes Gesellschaft gibt, wo ExpertInnen zu finden sind, welche sich mit dem Thema beschäftigen."

Zudem solle es niemals ein Tabu sein, wenn Menschen mit Diabetes in der Öffentlichkeit ihre Erkrankung managen, also Glukosemessungen durchführen oder sich Insulin spritzen, fordert Brinkmann.

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Wie Zverev, der mit Sensoren und digitaler Unterstützung gut zurechtkommt. Das Empfangsgerät befindet sich in seiner Tasche, und beim Seitenwechsel kann er seine Werte kontrollieren. Parallel ist er dank einer auf ihn abgestimmten Diät gut vorbereitet. Während er darauf achtet, dass sein Kohlenhydrat-Speicher gefüllt bleibt, muss er bei Bedarf Insulin nachspritzen.

Falls der Zucker etwas zu niedrig ist, helfen Getränke mit Kohlenhydraten oder Energy-Gels. Dass es funktioniert, zeigt seine Karriere: Er hat 21 Turniere gewonnen, war schon mal die Nummer zwei der Welt, aktuell ist er Siebter. "Ich möchte wirklich, dass jeder mit dieser Krankheit ein vollständiges Leben haben kann", sagte Zverev. Und dass man sich damit auf keinen Fall unwohl fühlen muss.

Über den Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Christian Brinkmann lehrt an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Verwendete Quellen:

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