Die NFL kommt am Sonntag erneut nach Deutschland, in München stehen sich die Carolina Panthers und New York Giants gegenüber. Wir haben mit Ex-Profi Markus Kuhn darüber gesprochen, was der Fußball vom Football lernen kann.
Am Sonntag wird in der Münchner Allianz Arena das vierte Regular-Season-Spiel der NFL auf deutschem Boden ausgetragen. Die US-Sportart erfreut sich seit Jahren in Deutschland einer steigenden Beliebtheit.
König Fußball wird American Football hierzulande zwar nicht den Rang ablaufen, vor dem Spiel zwischen den Carolina Panthers und den New York Giants haben wir uns mit Ex-Profi Markus Kuhn aber darüber unterhalten, was der Fußball womöglich vom Football lernen kann.
Markus Kuhn, für Jakob Johnson geht es in dieser Saison turbulent zu, er springt bei den New York Giants zwischen Practice Squad und Hauptkader hin und her und wird auch entlassen. Muss man Mitleid mit ihm haben?
Markus Kuhn: Nein, Mitleid muss man nicht haben. Er ist in seinem sechsten Jahr in der NFL, was eine unglaubliche Leistung ist. Das darf man nicht vergessen. Der Durchschnitt liegt bei rund drei Saisons. Und da ist Jakob schon weit drüber.
Wie erklärt man einem Nicht-NFL-Fan das andauernde Hin und Her?
Es gibt einen Unterschied zwischen der Kommunikation des Giants-Teams mit Johnson und der Kommunikation mit den Medien. Jakob kennt seine Rolle und deswegen ist er auch nicht enttäuscht, weil er genau weiß, was mit ihm passiert. Alles ist klar kommuniziert. Ein Beispiel: Er war in dieser Saison schon im 53-Mann-Kader, aber musste dann entlassen werden, um einen neuen Practice-Squad-Vertrag zu erhalten. Ich bin mir sehr sicher, dass wir ihn in Deutschland beim Spiel sehen werden. Als Teil der Giants.
Trotzdem stellt sich bei vielen die Frage: Wo bleibt bei dem Hin- und Hergeschiebe die Menschlichkeit?
Die Menschlichkeit besteht aus der offenen Kommunikation zwischen Giants und Johnson und nicht daraus, was die Öffentlichkeit hineininterpretiert. Die Teams müssen nicht jeden ihrer Schritte öffentlich erklären. Aber es ist ein knallhartes Business und es kann auch sein, dass morgen die Karriere vorbei ist. Das ist bei dem Sport einfach so, es gilt das Leistungsprinzip. Performe oder du bist raus.
Ist die NFL das härteste Sportbusiness auf der Welt?
Das glaube ich auf jeden Fall. Du musst immer performen, und die meisten Spieler haben nicht einmal garantierte Verträge. Es ist die härteste Liga, denn es kommen jedes Jahr College-Spieler nach, es gibt eine hundertprozentige Verletzungsquote, also jeder verletzt sich im Laufe seiner Karriere, mal gravierend, manchmal weniger gravierend. Man kann schnell weg vom Fenster sein. Es ist eigentlich keine Karriere, sondern eher ein kurzer Traum, den man sich erfüllt und vielleicht ein guter Start ins Leben.
Am 10. November ist die NFL zum vierten Mal in Deutschland zu Gast. An Deutschlands liebstes Kind reicht der Football nicht heran. Doch NFL und DFL haben 2022 eine Kooperation beschlossen. Was kann der Fußball vom Football lernen?
Es gibt Aspekte, die der Fußball adaptieren könnte, weil die NFL ein paar Sachen hat, die den Sport sehr interessant machen. Wie zum Beispiel eine Gehalts-Obergrenze. Die Teams haben einen bestimmten finanziellen Rahmen, den sie nicht überschreiten dürfen.
Erste Schritte wurden im europäischen Fußball schon getätigt, allerdings ohne absolute Summen. Was sind die Vorteile eines Salary Cap?
Die Kader der Mannschaften werden so gut es geht ausgeglichen, damit der Sport spannend bleibt und nicht ein Team dominiert. Was in der NFL sehr gut funktioniert. Weitere Vorteile sind, dass auch Manager-Gehälter gedeckelt sind, dass man zum Beispiel dem Berater nicht unendlich viele Prozente gibt und der Onkel nicht nochmal einen netten Vertrag bekommt, um ihm zu "helfen". Da ist ganz klar reguliert, wer Agent werden darf. Gerade um die Spieler zu schützen, finde ich das wichtig.
Bräuchte die Bundesliga Playoffs und einen "Super Bowl"? Ein Endspiel um den Titel?
K.o.-Runden gibt es im Fußball, und sie sind der Grund, warum ich zum Beispiel gerne eine EM oder WM schaue. Ob die Bundesliga es einführen sollte, ist ganz schwer zu sagen. Das NFL-System gefällt mir persönlich sehr gut, macht die Liga aus und auch so speziell und spannend. Ich bin wirklich froh, dass die NFL es so macht, sie wird das zum Glück auch nie ändern.
Tools, die die NFL auch nutzt, sind der Draft, die Talenteziehung, oder das Ligensystem ohne Auf- und Abstieg. Da müsste man hier tief in die Sport-Strukturen eingreifen. Inwieweit ist das denkbar?
Das ganze Sportsystem in den USA ist komplett anders aufgebaut als der europäische Ligensport mit der Relegation. Das macht es enorm schwer, sich manche Sachen herauszuziehen und diese zu vergleichen. Beispielsweise beim Draft-System. Wann müsste man im Fußball dann draften? Mit 16? Mit zwölf? Auch das Scouting ist ein komplett anderes, in den USA bereitet das College-System die Spieler auf den Profisport vor.
Was sind die Vorteile des College-Systems?
Sport allgemein hat in Amerika einen viel höheren Stellenwert als in Deutschland. Und es gibt so viele Sportarten, in denen jeder Mensch seinen Platz finden kann. Deswegen sind Olympische Spiele so wichtig. Es hat einen positiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung eines Menschen und auch auf die Gesellschaft, wenn man Sport betreibt und deswegen auch einen Bezug dazu bekommt, was es braucht, um zu performen. Im College-System ist es schön, dass man sich im jungen Alter nicht entscheiden muss, ob man Football, Fußball oder Basketball-Profi wird und dafür die schulische Laufbahn möglicherweise auf der Strecke bleibt.
Wie war das bei Ihnen? Sie waren auf der North Carolina State University.
Mir hat es sehr gut gefallen, dass ich mit Anfang 20 - ich wollte unbedingt auf die Uni - meine Football-Karriere dafür nicht an den Nagel hängen musste. Ganz im Gegenteil: Ich konnte auf professionellem Level American Football spielen, aber gleichzeitig auch meinen Abschluss in Betriebswirtschaft machen. Das hätte mir umgehend geholfen, wenn die NFL-Karriere nicht funktioniert hätte. Auch in der Hinsicht, dass ich sportlich auf einem hohen Level Wettkämpfe bestreiten konnte, war das College perfekt.
Nach Olympischen Spielen wird in Deutschland immer diskutiert, dass man eine Reform braucht. Ist das College-System ein denkbares Modell oder vielleicht sogar der richtige Weg in Deutschland?
In Deutschland studierst du im Vergleich mit den USA gefühlt umsonst. Dort muss man die Leute rekrutieren, damit sie diese sehr hohen Gebühren für das Studium ausgeben. In den USA ist oft ein sehr erfolgreiches Football- oder Basketball-Team ein Entscheidungsgrund. In Deutschland geht es eher um die reine akademische Laufbahn. Da geht keiner auf die Uni Mannheim oder auf die Uni Heidelberg, weil dort besser Basketball gespielt wird als anderswo. Das ganze System, nicht nur sportlich, sondern auch schulisch, ist so komplett unterschiedlich, dass es schwierig ist, sich einzelne Aspekte aus dem jeweiligen System herauszusuchen. Aber fest steht ohne Frage: Allgemein sollte für die Sportförderung in Deutschland mehr getan werden.
Im Fußball drohen inzwischen Streiks aufgrund der vielen Spiele und hohen Belastungen. Sollte sich der Fußball ein Beispiel an der NFL nehmen, die nur ein halbes Jahr spielt?
Die Fußballer tun mir leid, weil es inzwischen einfach zu viel ist. Es heißt, sie müssen so viel spielen, weil sie so viel Geld verdienen. Das ist ein alberner Vergleich, weil die Spieler sich nicht für das Gehalt rechtfertigen müssen. Die Vereine machen die Gehälter, nicht die Spieler. Aber man sieht hochklassigere Spiele, wenn die Spieler ausgeruhter sind. Man sollte daher nicht versuchen, immer mehr Spiele zu machen, weil es eine Übersättigung geben kann.
Kann die NFL umgekehrt mehr Spiele vertragen?
Man darf nicht vergessen: Unser Sport ist so hart und brutal, dass wir gar nicht mehr spielen könnten. Wir sind fast am Limit, weil unsere Körper diese Brutalität und Härte bereits das halbe Jahr über fast nicht durchstehen. Wir sind eher wie Boxer und Kämpfer, die zwei- bis dreimal im Jahr kämpfen. Und nicht wie Fußballer, Basketballer oder Eishockeyspieler, die 50 bis 100 Spiele im Jahr haben.
Die NFL ist trotzdem weltweit ein riesiger Erfolg, weil sie in Sachen Vermarktung vieles richtig macht, auch angesichts der internationalen Spiele. Was machen die so gut, wo andere sich eine Scheibe abschneiden können?
Dadurch, dass wir als Athleten Helme tragen, geht es zunächst nicht so sehr um das Individuum, sondern eher darum, was der Sport hergibt. Also Entertainment, den American Lifestyle, den Sport, dieses Teamgefühl, dass man sich dafür begeistert und im nächsten Schritt dann auch für bestimmte Athleten, und dann auch ein Team findet, mit dem man sich identifizieren kann. Die NFL geht es auf verschiedenen Ebenen schlau an, dass sie den Teams die Möglichkeit gibt, sich individuell zu vermarkten, weil Teams besser wissen, was der Fan will. Auf der anderen Seite hat die Liga gewisse Möglichkeiten, den Sport auszubreiten, zum Beispiel mit dem richtigen Medienpartner.
RTL zeigt in Deutschland seit der vergangenen Saison die NFL…
Das war ein großer Aufschrei. Jeder hat gesagt: "Oh Gott, die NFL gibt die Rechte RTL und nicht mehr an ProSiebenSat.1." Aber das ist strategisch ein schlauer Weg, weil man manchmal ins kalte Wasser springen und ein Risiko eingehen muss, um das nächste Level zu erreichen. Da macht die NFL einen guten Job. Vermarktung und Entertainment können die Amis einfach verdammt gut.
Dazu gehört rund um die Spiele viel Show, dazu die Hymnen. Warum funktioniert das in den USA, wird aber beim Fußball hierzulande nicht so gut angenommen? Und was macht diese Show aus?
Es funktioniert hierzulande auch sehr gut im American Football. Die Leute singen und es ist immer ein extrem schöner Moment, weil es ein Fest ist, und das wird auch am Sonntag so sein. Dabei geht es darum, dass man die Gemeinschaft zelebriert, dass alle Leute im Stadion zusammen sind, um ein tolles Sporterlebnis zu feiern und zu erleben. Das schweißt zusammen und drückt sich in einer Nationalhymne eindrucksvoll aus. Ansonsten tun sich die Deutschen manchmal ein bisschen schwerer als die sehr patriotischen Amerikaner. Aber beim Football passt das sehr gut, da kennt man das auch. Und manchmal ist es schön, dass es beim American Football Sachen gibt, die es beim Fußball nicht gibt. Man muss hin und wieder die Unterschiede feiern und nicht versuchen, immer alles gleich zu machen.
Über den Gesprächspartner
- Markus Kuhn wurde im NFL Draft 2012 von den New York Giants ausgewählt. Am 7. Dezember 2014 gelang dem Defensive Tackle gegen die Tennessee Titans als erster deutscher NFL-Profi ein Touchdown. Kuhn wechselte nach der Saison 2015/16 zu den New England Patriots, wo er 2016 seine aktive Profikarriere beendete.
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