Die Einschränkungen in der Olympiastadt sorgen für Beschwerden von Anwohnern und Geschäftsleuten. Schließen die Einwohner noch Frieden mit ihren Spielen?
Tony Estanguet war bemüht, die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger der Olympiastadt herunterzuspielen. "Störungen" und "Einschränkungen" im Alltag der Millionenmetropole Paris seien gar nicht zu vermeiden, antwortete der Chef des Organisationskomitees auf Beschwerden von Anwohnern und Geschäftsleuten. "Aber wir wissen doch alle, wie wichtig die Eröffnungsfeier für das ganze Land, für alle Franzosen ist", sagte Estanguet.
Wenige Tage vor der Sause auf der Seine sind davon zumindest in Paris nicht alle überzeugt. Die meisten sind sogar genervt von den olympischen Invasoren. Plötzlich brauchen sie einen QR-Code, um zu ihrer Wohnung zu gelangen - oder bangen um wichtige Einnahmen.
"Die Sicherheitsmaßen" für die Sommerspiele hätten "katastrophale Folgen" für viele Betriebe, warnten die Wirtschaftsverbände Le Sneg & Co und Culture Nuit. Sie kritisieren die "mangelnde Aufklärung" durch die Behörden und fordern "schnelle Entschädigungen für die Verluste, die durch die Organisation der Olympischen Spiele entstanden sind".
OK-Chef spricht von Kollateralschäden
Für Estanguet, einst Goldmedaillengewinner im Kanuslalom, sind das Kollateralschäden. Frankreich soll "strahlen", und das bedeutet, dass Paris mit all seinen Wahrzeichen ins rechte Licht gerückt werden muss. Auch gegen Widerstände.
"Restaurants und Brasserien leiden unter Zugangsbeschränkungen", kritisieren die Wirtschaftsverbände, die Besucherzahlen seien "um 70 Prozent zurückgegangen". Zudem wird während der Spiele wie bei der Fußball-EM in Deutschland ein Verdrängungswettbewerb erwartet. Die Paris-Touristen bleiben fern, wenn die Sportfans kommen.
Viele Pariser haben das Zentrum schon verlassen. "Unsere gesamte lokale Kundschaft ist weg", sagt Behi Samadian, Boutique-Inhaber in Saint-Germain-des-Pres. Von Vorfreude auf die spektakuläre Eröffnung ist wenig zu spüren.
Vorwurf der "sozialen Säubrung"
Zu den Leidtragenden der Spiele gehören auch die Pariser, die laut der Organisation Le Revers de la Medaille (Die andere Seite der Medaille) "unsichtbar" gemacht werden sollen: Die Obdachlosen, die in Zelten die Weltstadt bewohnen, die Drogensüchtigen und die Sexarbeiterinnen. "Soziale Säuberung", lautet der Vorwurf.
Eine "sterile" Stadt des Lichts, ohne sichtbares Elend, mit "sauberen Vierteln ohne Bettler, Drogen und Prostitution", hieß es schon im Juni-Bericht des Zusammenschlusses von mehr als 100 Wohltätigkeitsorganisationen. Eine perfekte Kulisse für die Illusion des olympischen Traums. Weit entfernt von der Realität.
Werden die Pariser dennoch irgendwann ihren Frieden schließen mit ihren Spielen? Vielleicht, wenn alle Absperrungen abgebaut sind und der IOC-Tross in Richtung Los Angeles abgezogen ist? Wenn Paris wieder Paris ist und nicht mehr nur eine spektakuläre Bühne für die gigantische TV-Produktion von Sportwettkämpfen?
Die Seine als Vorzeigeprojekt für die Stadtentwicklung
Bürgermeisterin Anne Hidalgo nannte die Sommerspiele einst "eine außergewöhnliche Chance für Paris". Als Beweis für das olympische Erbe schwamm sie bereits in der jahrzehntelang verdreckten Seine, Milliarden Euro wurden investiert. Es ist das Vorzeigeprojekt für die Stadtentwicklung, es soll das olympische Erbe sein.
Und sonst? Saint-Denis hat eine neue Schwimmhalle bekommen. 1,6 Millionen Menschen leben hier, ein Drittel von ihnen unterhalb der Armutsgrenze, viele können nicht schwimmen. Hidalgo wollte den Norden voranbringen, wie es London mit Stratford bei den Spielen 2012 gelungen ist. Dafür mussten die Bewohner einiges erdulden.
Baulärm bestimmte die vergangenen Jahre, auch der vom olympischen Dorf. Die 2.800 Wohnungen sollen ab 2025 der Bevölkerung zugutekommen, allerdings nur ein Drittel als Sozialwohnungen. Die Mieten steigen schon jetzt. Die Spiele verändern das Viertel. Ungeteilte Begeisterung lösen sie nicht aus. (SID/lh)
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