Die Bundesliga ist in Aufruhr: Borussia Dortmund verpasst beim 1:1 in Bochum zwei Punkte im Titelkampf, auch weil der Schiedsrichter ein klares Foul im Strafraum nicht pfeift und der VAR nicht eingreift. Nicht nur der BVB ist wütend. Der Fehler von Sascha Stegemann wirft grundsätzliche Fragen auf.

Eine Kolumne
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Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Schiedsrichter Sascha Stegemann den Strafstoß nicht pfeift, als der Bochumer Danilo Soares dem Dortmunder Karim Adeyemi von hinten die Beine weghaut. Auf dem Spielfeld muss er mit eigenen Augen sehen können, dass Soares fast einen Meter vom Ball entfernt den Gegenspieler im Strafraum flachlegt. Wenn er das nicht sieht, hat er nicht die notwendige Qualität, um in der Bundesliga ein Spitzenspiel zu leiten.

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Und es gibt auch keine Entschuldigung dafür, dass der Video-Assistent Robert Hartmann aus dem Kölner Keller nicht eingreift und seinem Kollegen auf dem Rasen nicht mit einem gezielten Hinweis aus dem Moment der Schwäche hilft. Die Sachlage ist so eindeutig, dass jedem Fan die Spucke wegbleibt. Sogar jenen, die’s mit Bayern München halten und von dem Schiedsrichter-Fehler am Freitagabend profitieren. Die deutschen Schiedsrichter stellen ein Problem dar.

Die Vorwürfe, die eine Spielmanipulation unterstellen, sind natürlich Quatsch. Kein Schiedsrichter beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) schießt absichtlich einen solchen Bock. Vermutlich schämen sich Stegemann und Hartmann heute dafür, dass sie Mist gebaut und ungewollt das Titelrennen zwischen Dortmund und Bayern vielleicht maßgeblich beeinflusst haben. Nur nutzt Borussia Dortmund das wenig: Die zwei Punkte sind futsch und vermutlich die Tabellenführung auch.

Qualität der DFB-Schiedsrichter muss auf den Prüfstand

Nein, es ist anders. Erstens: Zu wenige DFB-Schiedsrichter sind offenbar der Drucksituation wie im kleinen Revierderby mit seiner aufgepeitschten Stadionstimmung gewachsen. Es mangelt an der Übersicht, notfalls den Gang zur Außenlinie anzutreten und sich strittige Spielsituation in Zeitlupe anzusehen, um sich dem Vorwurf der Parteilichkeit zu entziehen. Zweitens: Der VAR im Kölner Keller stoppt viel Belangloses, aber leider nicht immer das, was wirklich wichtig ist.

Das ist eine Frage der Qualität im Schiedsrichterwesen, eine Frage der Ausbildung, der Persönlichkeit auf dem Spielfeld, des Fingerspitzengefühls beim Umgang mit Profisportlern. Allein an der heftigen Reaktion der Dortmunder hätte Stegemann mit ein bisschen Empathie spüren müssen, dass etwas Gravierendes falschgelaufen sein muss: Die Härte des Protests war jenseits des üblichen Lamentierens. Aber in keiner Sekunde hat er sich selbst infrage gestellt.

Den DFB-Schiedsrichtern, die Woche für Woche Entscheidungen rechtfertigen müssen und meistens richtig liegen, erweist Stegemann damit einen Bärendienst. Denn die Pauschalisierung, die aus der Fülle von Einzelfällen ein grundsätzliches Problem ableiten, ist in vollem Gange. Damit tut man Koryphäen wie Felix Brych und Deniz Aytekin unrecht. Aber die Führung der Bundesliga-Schiedsrichter ist an der misslichen Situation nicht unschuldig.

Handspielregel ist den meisten unklar

Noch immer ist dem breiten Publikum nicht ersichtlich, wann ein Handspiel tatsächlich bestraft wird, wann ein Foulspiel einen Pfiff verdient und wann nicht, wann der Schiedsrichter seine Entscheidung am Monitor selbst kontrolliert oder so krass falsch liegt, dass der Video-Assistent per Funk eingreift. Die Auslegung der 17 Fußballregeln verkommt — wenn nicht faktisch, dann doch gefühlt — zu einem Lotterie-Spiel. Das ist kein Spaß mehr. Es stehen Titel und Millionen auf dem Spiel.

Und nicht zuletzt: der Ruf der Schiedsrichter. Es wird Zeit, dass zumindest der Einsatz des Videoschiedsrichters einer grundlegenden Verbesserung unterworfen wird. Hätten die Dortmunder per Reklamation eine Überprüfung verlangen können („Challenge“), wie es in anderen Sportarten (Tennis und Hockey) üblich ist, wäre viel gewonnen gewesen, nämlich: mehr Gerechtigkeit. Ändert nur nichts daran: Stegemann hätte das Foul, so oder so, sofort sehen und pfeifen müssen.

Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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