Skirennläuferin Mikaela Shiffrin hat sich dazu entschieden, vorerst nicht mehr in der Abfahrt an den Start zu gehen. Für kurze Zeit hat sie sogar über ein Karriereende nachgedacht. Doch die 29-Jährige schielt nach dem Gesamtweltcup – und hat eine andere Bestmarke vor Augen. Was die US-Amerikanerin antreibt und warum es für sie klug ist, auf die Abfahrt zu verzichten.

Eine Analyse
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Es gab Momente im Januar dieses Jahr, da hatte Mikaela Shiffrin den Gedanken, keine Rennen mehr zu bestreiten. Ihre Karriere zu beenden. In Cortina d'Ampezzo war sie aus dem Gleichgewicht gekommen und im Fangnetz gelandet. Nach minutenlanger Behandlung an der Piste wurde sie mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Wenig später gab sie Entwarnung, Shiffrin hatte sich keine schlimmere Verletzung zugezogen. Dennoch musste sie sechs Wochen pausieren.

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Diesen Winter verzichtet die beste Skirennläuferin der Geschichte auf die Abfahrt, die spektakulärste aller Disziplinen. Doch nicht nur ihr Sturz Anfang des Jahres sorgte für diese Entscheidung.

Shiffrin und ihr Freund sind schwer gestürzt

Shiffrins Lebensgefährte Aleksander Aamodt Kilde stürzte bei der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen so schwer, dass er eine halbe Stunde lang vor Ort behandelt werden musste. Er zog sich Schnittwunden am Unterschenkel zu und kugelte sich die Schulter aus.

Mikaela Shiffrin
Mikaela Shiffrin mit ihrem Partner Aleksander Aamodt Kilde, der ebenfalls Skirennläufer ist. © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Alexander Neis

Ihr eigener und Kildes Sturz haben Shiffrin zum Nachdenken gebracht, sagt Marco Büchel, ehemaliger Skirennläufer und Wintersport-Experte im ZDF. "Ich finde, sie trifft eine reife Entscheidung." Wann Kilde in den Weltcup zurückkehrt, steht noch immer nicht fest. In dieser Saison fehlt er komplett, wie er kürzlich bekannt gab.

Beide hätten kurzzeitig an einen Rücktritt gedacht, den Gedanken aber schnell wieder verworfen. "Dann wachst du am nächsten Morgen auf und gehst auf die Piste und denkst: 'Ich bin motiviert, ich will hier sein'", sagte sie beim Medientag ihres Ausrüsters Atomic.

Shiffrin braucht die Abfahrt nicht für den Gesamtweltcup-Sieg

Dass Shiffrin in der Abfahrt vorerst nicht mehr starten wird, erscheint Büchel auch aus rein sportlicher Sicht logisch. "Sie ist eine Technikerin, die Abfahrt ist nicht ihre ureigenste Disziplin", sagt Büchel. "Der Aufwand, den sie für die Abfahrt betreiben muss, ist aber riesig. Diese Energie kann sie auch anders verwenden."

Dazu sagte sie im Interview mit Eurosport: "Die Abfahrt ist eine echte Herausforderung, dafür braucht man drei bis vier Tage mit den Trainingsläufen und allem. Im Super-G bin ich dagegen eher in der Lage, schneller in die Disziplin reinzufinden."

Bislang war Shiffrin eine der wenigen Rennläuferinnen, die in allen Disziplinen – Slalom, Riesenlalom, Super-G und Abfahrt – an den Start gingen. Die Abfahrt erfordert viel Kraft und beansprucht Muskeln, Gelenke und Bänder extrem.

Für den Sieg im Gesamtweltcup muss Shiffrin nicht in allen Disziplinen antreten: "Den Gesamtweltcup kann sie auch gewinnen, wenn sie im Slalom, Riesenslalom und Super G fährt", sagt Büchel. "Sie ist clever und haushaltet gut mit ihrer Energiereserve." Die Energie kann sie also besser auf die übrigen Disziplinen verteilen.

Wer Shiffrin gefährlich werden könnte

Im vergangenen Winter gelang es der 29-Jährigen nicht, den Gesamtweltcup zu verteidigen. Ihn hatte sie zuvor fünf Mal gewonnen: 2022/23 und 2021/22, zuvor siegte sie schon 2016/17, 2017/18, 2018/19. Vergangene Saison sicherte sich die Schweizerin Lara Gut-Behrami die Kristallkugel.

"Um den Gesamtweltcup wird es wahrscheinlich einen Zweikampf zwischen Lara Gut-Behrami und Mikaela Shiffrin geben", schätzt Büchel die Favoritinnen ein. Auch Federica Brignone, die 2019/20 den Gesamtweltcup gewann und vergangene Saison Zweite wurde, könne noch ein Wörtchen mitreden. Shiffrin sei aber die Top-Favoritin. Büchel: "Ihr traue ich es auf jeden Fall zu."

Shiffrins Ziele: 100. Weltcup-Sieg und Olympische Spiele

Den vorigen Rekord von Ingemar Stenmark von 86 Weltcup-Siegen hat Mikaela Shiffrin schon im März 2023 gebrochen. Nun strebt sie die 100 an. Nur noch drei Weltcup-Siege fehlen der 29-Jährigen, das könnte sie noch 2024 schaffen.

Mit 29 Jahren hat die US-Amerikanerin alles erreicht, was es im alpinen Skisport zu erreichen gibt: sieben Weltmeistertitel, drei olympische Medaillen, davon zwei gold, fünf Gesamtweltcupsiege. Für Wintersportexperte Büchel ist klar, dass sie noch an Olympia 2026 teilnimmt und dann aufhört – vielleicht sogar mit Aleksander Kilde zusammen.

Sie selbst sagte im Interview mit Eurosport kürzlich: "Meine Hauptmotivation ist, dass ich das Gefühl habe, dem Sport noch mehr geben zu können. In meinem Körper steckt noch mehr. Ich glaube, ich kann noch schneller fahren oder meine Technik hier und da verbessern." Die Abfahrt benötigt die beste Skirennläuferin der Welt dafür aber nicht.

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