Der "Eurovision Song Contest" fällt in diesem Jahr aus, die ARD und ProSieben fahren am Samstagabend aber jeweils knapp vier Stunden Ersatzprogramm auf. Während die ProSieben-Show "Free European Song Contest" das unterhaltsamere Format ist, kommt das authentischere ESC-Gefühl in der ARD auf. Durch das ständige Hin- und Herschalten kann man aber keine der Sendungen so richtig genießen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Stüwe dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Samstagabend, kurz nach 20.15 Uhr. In der ARD singt Barbara Schöneberger "The Winner Takes It All" von ABBA. Auch auf ProSieben wird dem legendären schwedischen Pop-Quartett gehuldigt, Conchita Wurst trällert "Waterloo". Der Eurovision Song Contest fällt in diesem Jahr zwar wegen der Corona-Pandemie aus, tatsächlich gibt es am Samstagabend aber so viel ESC wie noch nie.

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In der ARD läuft zunächst die deutsche Ersatzshow "ESC 2020 – das deutsche Finale" aus der Hamburger Elbphilharmonie mit zehn Songs aus zehn Ländern, die für den ursprünglich in Rotterdam geplanten ESC produziert wurden. Direkt im Anschluss folgt der europäische Ersatz-Song-Contest "Europe Shine a Light", teilweise mit den gleichen Songs. ProSieben strahlt parallel dazu den "Free European Song Contest" mit Conchita Wurst und Steven Gätjen aus.

Mein Ziel ist es, alle Sendungen zu verfolgen. Und möglichst wenig zu verpassen. Zunächst probiere ich es mit dem Second Screen, doch schon beim Vorspann wird klar, dass das bei einer Musiksendung nicht funktioniert. Also fahre ich den Rechner runter und schalte ständig hin und her. ARD. ProSieben. ARD. ProSieben. Schöneberger. Wurst. Schöneberger. Wurst. In der allgemeinen Hektik drücke ich versehentlich zweimal auf die Taste mit der "1" und lande auf ZDF Info HD, wo Adolf Hitler gerade eine seiner Reden ins Mikrofon bellt. Mitten zwischen zwei kunterbunten Pop-Schlager-Wettbewerben ist das ein echter Stimmungskiller.

Die ARD bedient die ESC-Puristen

Das Gefühl, etwas zu verpassen zieht sich durch den ganzen Abend. Auch wenn die Zeiträume zwischen den Umschaltimpulsen größer werden. Denn relativ schnell zeigt sich, was von den beiden Shows zu erwarten ist. "ESC 2020 – das deutsche Finale" ist die Show für ESC-Puristen, bei der eher unbekannte Künstler aus ganz Europa in der leeren Elbphilharmonie auftreten oder per Video eingespielt werden.

Die ESC-Kommentatoren-Legende Peter Urban und Ex-Teilnehmer Michael Schulte analysieren die Songs fachkundig. Wirklich Eindruck hinterlässt aber keines der Lieder bei mir, auch nicht der deutsche Beitrag "Violent Thing" von Ben Dolic, der außer Konkurrenz antritt. Bei ProSieben hingegen sind die Künstler deutlich bekannter. Eko Fresh etwa rappt für die Türkei, Vanessa Mai singt für Kroatien, die Heimat ihres Vaters.

Produziert wird die Show von ProSieben-Veteran Stefan Raab, seine Handschrift ist der Sendung jederzeit anzumerken. Man fühlt sich an die Zeiten des "TV total Turmspringens" oder der "Wok WM" erinnert. Und wie damals ist die Show auch eine Dauerwerbesendung. Neben den Werbeblocks promoten die teilweise aus ProSieben-Formaten stammenden Künstler ihre Songs, zur Punktevergabe wird Heidi Klum aus Los Angeles zugeschaltet, die natürlich nochmal kräftig die Werbetrommel für das anstehende Finale von "Germanys Next Topmodel" rühren darf.

Ab 22 Uhr wird hektisch gezappt

Unterhaltsam ist das trotzdem, ich schaue hauptsächlich ProSieben. Hektisch wird es aber nochmal gegen 22 Uhr. Beim "Free European Song Contest" tritt ein im Stil von "The Masked Singer" verkleideter Astronaut auf und liefert einen der besten Auftritte des Abends ab. Parallel dazu küren eine Fachjury und die Zuschauer in der ARD "The Roop" aus Litauen mit dem Song "On Fire" zum ESC-Sieger der Herzen.

Nach der Entscheidung zappe ich schnell wieder zurück, auf ProSieben singt mittlerweile Helge Schneider seinen Song "Forever at Home".

Der Comedian ist also der deutsche Kandidat, im Vorfeld wurde daraus ein Geheimnis gemacht. Einerseits ist Helge Schneiders Song ein Highlight des Abends, andererseits ist das schon eine Enttäuschung. Denn nicht wenige Fans hatten gehofft, dass Raab selbst sein Comeback als Sänger geben könnte.

So gibt es von dem Entertainer im Ruhestand nicht mehr als einen kurzen Einspieler zu Beginn der Sendung zu sehen, indem er verkleidet als ESC-Siegerin Nicole zu sehen ist.

Nico Santos siegt auf ProSieben

Und Raab wird auch nicht mehr auftreten, denn auch auf ProSieben beginnt nun die Abstimmungsrunde, in der ARD startet etwa zeitgleich die europäische Ersatzshow "Europe Shine a Light", die nicht live, sondern zeitversetzt ausgestrahlt wird.

Irgendwie packt mich die zweite ARD-Show des Abends aber überhaupt nicht mehr, zumal sich die Songs teilweise doppeln. Dann doch lieber Antoine Burtz/Teddy Teclebrhan mit "Deutschland isch stabil" als Pausenfüller beim "Free European Song Contest".

Kurz nach 0 Uhr wird Nico Santos, der für Spanien antritt, zum Sieger gekürt. Die Identität des Astronauten bleibt offen, treue ProSieben-Schauer wissen aber, dass Max Mutzke in diesem Kostüm die erste Staffel von "The Masked Singer" gewann. Wenig später endet auch "Europe Shine a Light" damit, dass alle Teilnehmer in einem wie eine Videokonferenz zusammengeschnittenen Clip gemeinsam ein Lied singen.

Lenas Triumph in der Nacht ist nur etwas für die ganz harten Fans

Unter dem Strich gelingt ProSieben am Samstagabend die unterhaltsamere Show, die an alte Stefan-Raab-Zeiten erinnert. Das authentischere ESC-Gefühl kommt aber in der ARD auf, trotz Coronakrise und fehlenden Zuschauern. Auch wenn in der zweiten Show dann deutlich die Luft raus ist.

Generell lässt einen der Abend mit drei großen Shows auf zwei Sendern aber ziemlich übersättigt zurück. Irgendwie hat mal alles gesehen, aber nichts so richtig. Die Wiederholung des ESC von 2010 mit dem Triumph von Lena Meyer-Landrut, die ab 0.30 Uhr in der ARD läuft, ist dann wohl wirklich nur noch etwas für die ganz harten Fans. Ich jedenfalls verzichte gerne und gehe stattdessen ins Bett.

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