Bundesliga in der Sommerpause, "ZDF Magazin Royale" in der Sommerpause, "Rote Rosen" in der Sommerpause, "Tatort" in der Sommerpause und die CDU ist ja ohnehin schon seit Dezember 2021 in einer längeren Auszeit. So sind sie, Deutschlands große Eckpfeiler der Unterhaltung und der Gesellschaft: Kaum brennen mal in Kanada ein paar Wälder und New York versinkt in einer dystopisch-braungelben Staubwolke, da machen sich die wichtigen Säulen der Entertainment-Industrie auf zum Baggersee. Was für ein Glück, dass der Lieblings-Wochenrückblick der Herzen diesem skandalösen Lauschieber-Trend der Schönwetter-Entrepreneurs trotzt und Sie verlässlich auch durch diesen Sommer bringt.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Montag bleibt also Kommentarspalten-Großkampftag für Intelligenz-Abstinenzler, die ihre kognitiven Verständnis-Defizite beim Lesen von satirischen Kolumnen konsequent mit einem Überangebot kontextloser Leerdenker-Wortbeiträge wettmachen. Als Bonus oftmals vorgetragen im feinen Gewand einer Orthographie-Allergie, die unzweifelhaft zeigt: Würden Rechtschreib- und Interpunktionsfehler Co2 binden, hätten AfD-Sympathisanten den Klimawandel bereits in Eigenregie abgewendet. Leider wendet diese besonders illustre Spezies der Selbstdenker so ziemlich gar nichts ab, außer natürlich Fakten.

Stichwort ambivalentes Verhältnis zu Fakten: Friedrich Merz. Der Joopi Heesters der CDU, der sich im Spätherbst seiner politischen Karriere unbedingt noch zum Kanzler hochechauffieren möchte, hat diese Woche mal wieder mit ganz großer Kelle aus dem auf dem Lagerfeuer der Telegram-Inkompetenz vor sich hin köchelnden Topf mit evidenzbefreiter Propaganda-Suppe genascht. Die tägliche Herausforderung, davon abzulenken, dass die Union unter Merz keinerlei substanzielle Ideen zu dringenden Herausforderungen unseres Landes beitragen kann, trägt schon seit Monaten recht zwielichtige Früchte. Im Prinzip besteht die politische Arbeit von Friedrich Merz inzwischen weitestgehend daraus, absurde Anti-Grüne-Kampagnen des Springer Verlags (zurzeit noch Herausgeber von "Bild" und "Welt") zu repetieren und daraus bizarre Vorwürfe an die Ampel-Koalition abzuleiten. Sein neuester Geniestreich lautete diese Woche: "In der Bevölkerung wachsen Frust und Angst. Die Bahn ist nicht mehr pünktlich, es fehlen Kitaplätze, bei der Digitalisierung sind wir auf einem der letzten Plätze."

Merz komm raus, du bist umzingelt!

Nach den rechtspopulistischen Stimmfang-Manövern "Asyltourismus" und "kleine Paschas" sowie seiner freundlichen Erlaubnis, auch eine homosexuelle Person dürfe Kanzler werden, also jedenfalls wenn seine sexuelle Orientierung einige Regeln erfülle, nämlich vor allem: "Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft", erweitert Merz sein Relevanzverlust-Auffangprogramm nunmehr offenbar um die Kategorie "Ach scheiß drauf, ist eh egal". Anders ist nicht zu erklären, dass der Vorsitzende der größten Oppositionspartei aus dem riesigen Bauchladen an Projekten der aktuellen Regierung, die man kritisieren könnte, ausgerechnet drei Langzeit-Problemfälle identifiziert, die vornehmlich durch die Tatenlosigkeit der CDU während der 16 Jahre Merkel-Regierung forciert wurden.

Angela Merkel gehört, auch wenn Merz das schon seit Jahrzehnten zu ignorieren versucht, zu seiner eigenen Partei. Was hat Friedrich Merz also in den vergangenen 20 Jahren gemacht? Ist er mit seinem Privatflieger täglich 18 Stunden um den heißen Brei herumgeflogen? Hat er sich bei Blackrock über die Möglichkeiten von CumEx informiert? Lag er im Koma? Am politischen Diskurs jedenfalls kann er nicht teilgenommen haben, wenn er heute die Ampel für die Unpünktlichkeit der Bahn verantwortlich macht.

Obwohl, jetzt wo ich mal einige Bahn-Beschwerde-Foren durchforstet habe, muss ich feststellen: Vielleicht hat Merz da ja doch recht? Denn was viele nicht wissen: Die Deutsche Bahn war ja bis Ende 2021 stets auf die Minute pünktlich. Die unerklärlichen Verspätungs-Orgien begannen erst, als Robert Habeck Wirtschaftsminister wurde. Gut, das Wirtschaftsministerium ist jetzt nicht direkt für die Deutsche Bahn zuständig. Aber über das Verkehrsministerium zu sprechen, nachdem dort zuletzt jahrelang Minister wie Andi Scheuer oder Alexander Dobrindt von einem milliardenteuren Fiasko ins nächste geschliddert sind, als wollten sie mit dem Verschwenden von Steuergeldern ins Guinnessbuch der Rekorde, ist aktuell wohl selbst Friedrich Merz (noch?) zu peinlich.

Wobei man aber dennoch schon jetzt feststellen muss: Wenn Friedrich Merz ernsthaft davon überzeugt ist, mit der Vorwurfsagenda "unpünktliche Züge" neue Sympathien für die CDU gewinnen zu können, wie steht es dann um die intellektuelle Zukunftsfähigkeit der Union? Und vor allem: Für wie blöd hält Friedrich Merz seine eigenen potenziellen Wähler?

Pech(stein) beim Denken

Um seinem Ruf als Vorreiter eines Kulturkampfes um Kernthemen wie Gendern zu untermauern, statt sich um ernsthafte Probleme zu kümmern, wertet Chefanalyst Merz eine vielbeachtete Rede von Claudia Pechstein auf dem jüngsten CDU-Konvent am Wochenende als "brillant". Andererseits, nach seiner hysterischen Beleidigte-Leberwurst-Reaktion auf eine Büttenrede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann im vergangenen Karneval hat Merz natürlich eine besondere Beziehung zu Wortbeiträgen vor einem Rednerpult. Wie brillant die Rede der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein tatsächlich war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Merz jubelt, der Rest der Nation – mal abgesehen von einem unübersehbar angebräunten Troll-Klientel, das auch jubelte, als Alexander Gauland ankündigte, man werde die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz "in Anatolien entsorgen" – eher nicht. Nicht mal seine Parteikollegen.

Pechstein, die augenscheinlich sehr gut im Eislaufen, nicht jedoch in den Fähigkeiten zu sein scheint, über die man für eine nicht latent in AfD-Terminologie abdriftende Rede verfügen sollte, hatte in ihrem Vortrag unter anderem eine Kausalität zwischen Asylbewerbern, deren Anträge auf Asyl abgelehnt wurden, und der Sicherheit im ÖPNV hergestellt und in diesem Kontext auch einen Begriff benutzt, der vom Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma als diskriminierend eingestuft wird.

Claudia Pechstein sorgt für Eklat bei CDU-Konvent - nun drohen Konsequenzen

Normalerweise sorgt Eisschnellläuferin Claudia Pechstein auf der Eisbahn für Schlagzeilen. Nun gibt es wegen eines Auftritts der 51-Jährigen auf einem CDU-Konvent am 17. Juni Aufregung. © ProSiebenSat.1

Das kann man "brillant" finden. Es ist eine Meinung. Wir leben in einem freien Land. Nicht so brillant war allerdings Pechsteins Entscheidung, besagte Rede auf einer CDU-Veranstaltung in einer offiziellen Polizei-Uniform zu halten. Mal ganz unabhängig vom fragwürdigen Inhalt ihrer Rede unterliegen Beamte nach dem Beamtenrecht der Neutralitätspflicht. Im Bundesbeamtengesetz ist dazu festgelegt: "Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben."

Wie gemäßigt und zurückhaltend Pechsteins Auftritt in Uniform auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung letztendlich war, damit beschäftigt sich bereits die Bundespolizei. Unmittelbar nach Pechsteins Auftritt und einigen hübschen Selfies mit Merz leitete diese unverzüglich eine dienstrechtliche Prüfung ein. Pechstein hat aber Glück im Unglück: Ein Gesetz, das es verbietet, in einer Rede mehr als 30 Versprecher pro Satz einzubauen, gibt es nicht. Die neue Lieblings-Schlittschuhläuferin von Friedrich Merz wird also weiter "brillante" Reden bei der CDU halten dürfen. Eventuell nicht mehr in Uniform, aber das dürfte verschmerzbar sein. Auch, wenn der holprig vorgetragene Ruf nach schnellerer Abschiebung bei der augenscheinlich von der CDU verstärkt ins Visier genommenen #Stolzmonat-Fraktion deutlich imposanter ankommt, wenn er in Uniform vorgetragen wird. Das macht das Ganze so schön behördlich-offiziell.

Für Pechstein insgesamt eine erfolgreiche Woche. Dienstrechtlich drohen vielleicht ein paar Konsequenzen, aber neue berufliche Perspektiven wiegen das locker auf. Als nächstes, darauf würde ich wetten, steht ein Interview mit dem "Bild TV"-Nachfolger "Achtung, Reichelt" ins Haus. Da kann sie dann ihre Expertinnen-Meinung zum neuen Comedy-Programm der intellektueller Haute Volée unseres Landes verschulern. Die Reichelt-Stammgäste Dieter Nuhr und Gloria von Thurn und Taxis sollen ja, so hört man aus gut unterrichteten Humorkreisen, eine gemeinsame Tour planen. Arbeitstitel: "Afrikaner schnackseln Nuhr". Darin echauffieren sie sich dann gemeinsam über den BMI von Ricarda Lang und dass Deutschland mittlerweile eine Diktatur ist. Das wird grandios. Sogar ohne Uniform.

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