Man kann Häme über Politiker lustig oder nicht lustig finden. Man kann sie angebracht oder nicht angebracht finden, berechtigt oder unberechtigt. In der Diskussion um Irina Gaydukova ging es aber von Beginn an weniger um eine Qualitäts- oder Faktenprüfung der Beiträge. Vielmehr ging es um Meinungshoheiten und Kritikverbote.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Erinnern Sie sich noch, als ich vor genau einer Woche an dieser Stelle das vielleicht beste Spiel einer deutschen Nationalmannschaft seit vielen Jahren (wie sagt man so schön neudeutsch) abgefeiert habe? Okay, vielleicht ist die Lobeshymne damals ein wenig untergegangen, weil ich mich gleichzeitig auch darüber echauffierte, wie fragil der aufrechte Deutsche Superpatriot auf eine Regenbogen-Binde bei Manuel Neuer reagiert.

Gut, für jemanden, der sich von Homosexualität gefährdet fühlt und reflexartig homophobe Bonmots seiner Illiberalität in die Hassuntiefen des Internets tippt, gibt es inzwischen in den Kommentarspalten der Social Media Auskotz-Subkultur einen ordentlichen Markt. Schnell trollen sich Gleichgesinnte Ewiggestrige dazu und liken sich in eine Art "endlich sagt es mal jemand"-Rausch. Da strahlt man hinter den Bildschirmen der neuen deutschen Unmenschlichkeit. Virtueller Beifall ist nun mal die neue Währung. Wer früher noch einsam im Keller seiner Eltern Ballerspiele zocken und heimlich Pornoheftchen lesen musste, dem wurde mit dem Internet das lang ersehnte Forum gegeben.

Einen Ausweg aus der Isolation der Bedeutungslosigkeit. Auch mal beim Spiel der großen Meinungsmacher dabei sein. Sein Leben nicht mehr als Hinterbänkler fristen. Endlich mal für irgendwas von irgendwem gelobt werden. So ganz anders als während der Schulzeit. Heutzutage reicht es für ein paar veritable Like-Tsunamis ja bereits, einfach mal gegen die Merkel-Diktatur zu wettern, Corona als mittelschwere Grippe und Karl Lauterbach als Scharlatan zu bezeichnen oder Flüchtlinge pauschal als größte Gefahr für unsere Gesellschaft und unsere Frauen und Kinder im Besonderen zu bezeichnen.

Jauchegrube der Kommentarspalten

Ein warmer Regen von Zustimmung ergießt sich dann über diese zumeist (aber durchaus nicht immer) noch haarscharf von der Meinungsfreiheit geeckten, naja, Meinungen. Da spielt es ja keine Rolle, wenn diese zumeist von Accounts kommt, deren eigene Timelines einen schweren Hang zu Aluhut-Allianzen, dubiosen Telegram-Gruppen und Fake News Superspreadern aufweisen.

Und so regt man sich eben darüber auf, wie Regenbögen plötzlich unsere Jugend "schwul machen" können, als wäre Homosexualität eine ansteckende Krankheit. Ist Ihnen übrigens mal aufgefallen, dass diese Pseudo-Wächter der Tugend immer dann ihren unerschütterlichen Schutzinstinkt für Kinder entdecken, wenn es gegen Schwule, Grüne, Fridays For Future, Gendersterne oder vegane Ernährung geht?

Bei Themen wie sexuellem Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche zum Beispiel bleibt es dagegen erstaunlich still im Lager der Top-Virologen mit so vielen Masterabschlüssen von der YouTube-Uni, dass sich selbst Annalena Baerbock keinen beeindruckenderen Lebenslauf zusammenirren könnte. Vielleicht, weil es sehr wenige Bischöfe muslimischen Glaubens gibt.

Empörung ist wichtig – aber selektiv!

Diese schwer selektive Empörungskultur kenne ich seit Jahren. Diese Woche habe ich meinem persönlichen Mosaik der grotesken Ideologie-Verwirrungen ein weiteres Highlight hinzufügen müssen, das sich überraschend aus ungewöhnlicher Richtung annäherte. So entspannte sich diese Woche ein interessantes Lehrstück über unterschiedliche Bemessungsgrundlagen bei Kritik, Satire, Sarkasmus, Humor – oder wie auch immer man zur Unterhaltung dienende öffentliche Wortmeldungen nennen möchte.

Aber mal konkret: Statistisch betrachtet, das muss ich wohl zugeben, richtet sich mein Hang zu altklugen Spaßkommentaren überwiegend gegen Schwurbel- und Hetz-Extremsportler wie Alice Weidel, Alexander Gauland, Xavier Naidoo, Attila Hildmann, Bernd Höcke, Hans-Georg Maaßen und ähnliche Kandidaten und Kandidatinnen, die man vornehmlich im äußerst rechten Meinungsspektrum verorten würde.

Diese Woche ginge es dann auch mal gegen die ideologisch betrachtet andere Seite. Der spektakulär ahnungslose Auftritt einer grünen Kandidatin für den Bundestag ist wohl um die Welt gegangen. Wohlgemerkt handelt es sich bei Irina Gaydukova nicht um eine vollkommen unbedeutende Lokalpolitikerin, wie es der schnell zusammengetrümmerte Verteidigungs-Narrativ der Grünen zu suggerieren versuchte. Eine recht klägliche und unbeholfene Spontankampagne zur Schadensbegrenzung der sich insgesamt zuletzt höchst unprofessionell zeigenden ehemaligen grünen Kanzler-Favoriten-Partei.

Wer ist Irina Gaydukova?

Wenngleich der Öffentlichkeit bislang eine Irina Gaydukova nicht flächendeckend geläufig war, rangierte die zur Slapstick-Ikone des Bundestagswahlkampfes aufgestiegene Gaydukova immerhin auf Platz zwei der saarländischen Landesliste und hätte dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem nächsten Bundestag angehört.

Sie ist also keineswegs eine Provinz-Erscheinung, die in einem unbedeutenden Mini-Wahlkreis mal ein bisschen Politikerin spielt, weil gerade niemand anders Zeit hat und auch keiner hinguckt, weil die Chancen auf Einzug in den Bundestag ohnehin gegen Null tendieren.

Nach ihrem inhaltlichen Offenbarungseid gab es – so will es das Gesetz – einen Aufschrei. Gefolgt von einer breiten Verteidigungsoffensive. Beides ist normal und erwartbar. Selbst die nicht gerade als Grünen-Verehrerin verschriene Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zeigte sich solidarisch. Ihrem Verteidigungs-Tweet, in dem sie davon sprach, es würde gerade "ein Mensch kaputt gemacht", fügte sie sicherheitshalber genau das Video bei, das den Aussetzer Gaydukovas schonungslos dokumentierte. Fast so, als wolle sie sicherstellen, dass am Ende wirklich jeder das Video gesehen hat. Im Fachjargon nennt man eine solch vergiftete Solidaritätsbekundung übrigens Schrödingers Ritterlichkeit.

Doppelmoral Deluxe

Nun kann man Häme über Politiker lustig oder nicht lustig finden. Man kann sie angebracht oder nicht angebracht finden, berechtigt oder unberechtigt. In der Diskussion um Irina Gaydukova ging es aber von Beginn an weniger um eine Qualitäts- oder Faktenprüfung der Beiträge. Vielmehr ging es um Meinungshoheiten und Kritkverbote. Genau dieselben Diskursteilnehmer, die stets alles begeistert beklatschen, sobald es gegen AfD-Politiker, junge FDP-Mitglieder, Corona-Leugner, Querdenker oder Fehltritte junger Linker oder Jusos geht, arbeiteten sich plötzlich an Verfassern von kritischen oder hämischen Kommentaren zu Irina Gaydukova ab.

Dort hieß es plötzlich, wer sich polemisch zu Gaydukova äußert, wäre "unmenschlich" oder hätte "keinen Anstand". Hier "nachzutreten" wäre "diffamierend", "niveaulos" und "beschämend". Auf einmal galt humorvolle Auseinandersetzung mit Gaydukova genau in dem Milieu als "Hass", das sich im Normalbetrieb maximal an jeder Person abarbeitet, die nicht in ihre Agenda passt. Ohne jegliche Rücksicht auf Alter oder politische Bedeutung.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es geht nicht darum, ob man satirisch oder humorvoll gemeinte Kritik lustig findet. Die einen lachen, die anderen nicht. So ist es eben, wenn es um Bewertung von Komik geht. Die einen stecken ihr Geld in Tickets für Mario Barth. Die anderen halten Barth für den unlustigsten Menschen auf dem Planeten. Beides sind Meinungen, die jeder zu akzeptieren hat.

Aktuell entwickelt sich unsere Gesellschaft allerdings zu einer Ansammlung von politischen Lagern, denen es nicht mehr um Diskurs oder Meinungsaustausch geht. Sondern nur noch darum, dem Gegner so brutal wie möglich zu schaden und die Werteskala für Erlaubtes je nach Bedarf anhand der eigenen Agenda zu verschieben. Wer Häme gegen ein blutjunges FDP-Mitglied als angemessene Kritik feiert, dem steht es mit Sicherheit nicht zu, Häme an einer 52-jährigen Bundestagskandidatin als charakterlos zu bezeichnen.

Ein solches Ausscheren aus den Tugenden des politischen Diskurses ist aus meiner Sicht in höchstem Maße unredlich. Es zeigt eine Doppelmoral, die für alle Außenstehenden so greifbar und eindeutig ist, dass sie letztendlich den Grünen nachhaltig schaden wird. Selbstdemontage durch Scheinheiligkeit. Niemand mag Diskursteilnehmer, die gnadenlos im Austeilen sind, aber gleichzeitig unfähig einzustecken. Mit zweierlei Maß zu messen, ist nie der richtige Weg. Und dazu noch für jeden sofort durchschaubar.

Was für eine Diskussionskultur wollen wir unseren Kindern vorleben, wenn Häme gegen den vermeintlich Richtigen als feinsinnige Satire gewertet wird, Häme gegen die eigenen Reihen aber als Mobbing? Ein Lehrstück über Doppelmoral und das Opfern sämtlicher Umgangswerte ausgerechnet in diesem Zusammenhang erleben zu müssen, hat mich diese Woche wirklich verwundert. Ich hoffe, nächste Woche gibt es wieder etwas Schöneres zu berichten. Ja, richtig! Das ging in erster Linie an Euch, liebe Goretzkas, Hummels, Gosens, Neuers, Gündogans und Löws!

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