Herzlich willkommen zur traditionell montäglichen Wochenanalyse aus dem Kompetenzzentrum von den Benken. Die vergangenen sieben Tage hatten mal wieder alles, was das Herz begehrt: Einen verzweifelten Markus Lanz, der sich bei seinen False-Balance-Festspielen erfolglos die Zähne an Sahra Wagenknecht ausbeißt. Eine Komplettblamage der rechtskonservativen Elon-Musk-Jünger unter den Journalisten. Einen Trainerwechsel beim BVB und natürlich Kevin Kühnert mit dem Mic Drop des Jahres.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Und dann war noch die OMR in Hamburg, eine Art Messe für stromlinienförmige Influencer und Marketing-Strategen von Firmen, die auch mal gerne gutes Digitalmarketing machen würden. In Berlin interessierte das niemanden, aber ich habe irgendwo auf Instagram gesehen, dass eigentlich Fynn Kliemann sprechen sollte.

Willkommen im Kompetenzzentrum Online-Marketing. Quasi die re:publica für Leute, bei denen Nachhaltigkeit bedeutet, einen Plug-in-Hybrid-SUV zu fahren, damit man die Sonderprämie abkassieren und in den Innenstädten einfacher Parkplätze finden kann.

Welzer Gondeln Trauer tragen

Aber mal chronologisch. Harald Welzer hatte sich in der Vorwoche bei "Anne Will" für den Goldenen Putin-Orden am Band ins Gespräch gebracht. Zunächst schilderte er dort in wortreicher Sendezeitoptimierung seine Sichtweise auf den Krieg in der Ukraine: Im Prinzip die Fehlinterpretation des Begriffes "Pazifismus" als Haltung, mit der man sich aus allen bewaffneten Konflikten rauszuhalten hat, selbst wenn Kriegsverbrechen begangen werden und die Welt vor einer historischen Gefahrenlage steht.

Als Bonus zu diesem bemerkenswerten Friedenskonzept des Wegguckens hatte er zusätzlich noch schnell dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk empfohlen, er solle ihm mal besser zuhören. Dieser Auftritt brachte ihm Pluspunkte bei den Hauptstadt-Journalisten aus der Schwurbelliga, die froh waren, nicht den 200. Text der Woche darüber schreiben zu müssen, wie sensationell freiheitsliebend Elon Musk ist. Und natürlich den Beifall der Putin-Trolle, die pünktlicher als jeder Maurer jeden ukrainefeindlichen Beitrag feiern wie katholische Würdenträger den juristischen Zustand der Verjährung.

Mit dieser Mischung aus deplatzierter Arroganz und einem Konfliktlösungsansatz auf Poesiealben-Niveau hatte er sich landesweit als zumindest vollkommen indiskutabler Gesprächspartner beim Thema Ukraine präsentiert und war schnell in die Schublade "hört sich gerne selbst reden, leider vor allem, wenn andere zuhören müssen" kategorisiert worden. Welzer hatte in seinem heute schon für die Geschichtsbücher relevanten Auftritt dem Botschafter eines Landes, das seit dem 24. Februar von täglichen Kriegsverbrechen russischer Streitkräfte heimgesucht wird, tatsächlich erklärt, er müsse mal bedenken, dass seine (also Welzers) Familie, aber auch Deutschland insgesamt, schon genug von schlimmen Kriegen traumatisiert sei.

Wenn man in der achten Klasse im Geschichtsunterricht nicht öfter mal geschwänzt hat, etwa weil man seinen Teint im Sonnenstudio auffrischen wollte, wüsste man um die geschichtsverlogene Brisanz, die in einer solchen Aussage steckt. Die Ukraine verlor im deutschen Vernichtungskrieg ab 1939 ein Viertel ihrer Bevölkerung. Von etwa 40 Millionen Kriegstoten im zweiten Weltkrieg in Europa stammte jedes fünfte Opfer aus der Ukraine. Das eigentliche Opfer allerdings scheint die Familie von Harald Welzer gewesen zu sein. Das müsste dann nur noch in den meisten gängigen Geschichtsbüchern korrigiert werden.

Da muss ich mal einen Lanz für Sahra Wagenknecht brechen

Als Belohnung durfte Welzer dann diese Woche direkt wieder ran. Bei Markus Lanz. Der Mann, der gerne "verschiedene Meinungen" hört und darum stets sehr viel redaktionellen Aufwand betreibt, halbwegs bekannte Menschen mit vollkommen desaströsen Nischenmeinungen zu wichtigen Themen zu finden und diese dann im Zeichen der Meinungspluralität prominent zu Wort kommen zu lassen.

Herr Lanz macht das im Auftrag der Faktenabwägung und selbstredend nicht zur Optimierung des Echauffierungs-Volumens zu seinen TV-Shows, um die Quoten zu frisieren. Drama verkauft sich gut, da gibt es keinen Unterschied zwischen "Markus Lanz" und "Promis unter Palmen".

Ebenfalls Dauergast bei Lanz in diesen Zeiten: Putin-Biografin, Kriegsexpertin und Hellseher-Ikone Sahra Wagenknecht. Die ob ihrer Aussagen und Ratschläge zum Krieg in der Ukraine oftmals mit der russischen Botschafterin verwechselte Noch-Linke Wagenknecht erklärte dem staunenden Publikum diese Woche exklusiv, wie man den Frieden in der Ukraine herstellen könnte: Diplomatie ist das Zauberwort. Verhandlungen.

Allerdings, und da sieht sie, weil das bislang ausblieb, die bösen Kriegstreiber Lindner, Scholz, Baerbock und Strack-Zimmermann in einer eklatanten Mitschuld mindestens am dritten Weltkrieg: Man müsste Putin dafür natürlich etwas wirklich Gutes anbieten, damit er zu Verhandlungen bereit wäre.

Genau. Mit anderen Worten: Ich kann einen Angriffskrieg anzetteln, täglich Kriegsverbrechen begehen, Zivilisten auf der Straße exekutieren und dann davon ausgehen, dass ein von Sahra Wagenknecht gelenktes Land mir erstmal etwas Stattliches anbietet, so als Verhandlungsspielraum, damit ich in Erwägung ziehe, mit dem Morden und Massakrieren aufzuhören. Ganz interessantes Konzept: 0 Prozent eines Landes haben, es angreifen, und dann in Verhandlungen 25 Prozent des Landes bekommen – freundschaftlich mit Schleifchen von Sahra Wagenknecht dekoriert.

Pazifismus ist cool, aber natürlich nur so lange, wie man noch angstfrei Hummercocktails in Berliner Szene-Restaurants degustieren kann. Ich frage mich, ob sich Wagenknecht ähnlich verhandlungsbereit zeigen würde, wenn man dasselbe Vorgehen bei ihrer eigenen Villa anwendet, wenn irgendwann mal jemand Lust auf 25 Prozent von Sahra Wagenknechts Besitztümern bekommt.

Höcke ist ein Rechtsradikaler

Aber es gab auch Erfreuliches. Der neue Chef des Verfassungsschutzes etwa heißt Thomas Haldenwang und gab dieser Tage auf die Frage, ob nach der Zerschlagung des rechten Flügels der AfD die Partei immer noch als rechtsextremistisch zu sehen sei, in etwa zu Protokoll: "Björn Höcke ist der Rechtsextremist." Schon beachtlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Vorgänger von Haldenwang Hans-Georg Maaßen war, der Höcke, so schien es oft, eher als gemäßigt konservativen Gesprächspartner schätzte, als als Rechtsradikalen.

Ebenfalls recht intensiv, aber aus einer ziemlich einseitigen Perspektive wurde ein anderes Thema im Zusammenhang mit der Ukraine diskutiert. Durch den Krieg fehlen Deutschland Getreide-Importe aus der Ukraine. Etwa 20 Prozent unseres Bedarfs wird dadurch normalerweise gedeckt. Und jetzt wird das Mehl in den Supermärkten knapp. Müssen wir bald alle auf Brot verzichten, weil uns ein Fünftel der Getreidelieferungen fehlt?

Naja, ein etwas in Vergessenheit geratener Aspekt an dieser Hafermilchmädchenrechnung ist: Mehr als 50 Prozent unseres Getreidebedarfs geht in die Futterproduktion für die Massentierhaltung. Wir brauchen also den Großteil des Getreides nicht für leckere Backwaren, sondern um bei Zulieferern von Schlachttempeln wie den arbeitsrechtlich als Vorzeigebetriebe geltenden Wurst-Krematorien von Tönnies Fleisch an bestialisch leidende Tiere zu verfüttern. Oder mit anderen Worten: Wenn wir nur auf ein klein wenig antibiotikadurchseuchtes Billigfleisch verzichten würden, hätten wir Getreide und Mehl bis zur Körnerbrot-Overdose.

Stichwort Gammelfleisch. Intellektuell ging es diese Woche bei Twitter erneut eher auf dem Niveau "Gefälschte Scheidungspapiere" zu. Julian Reichelt, Ex-Chef der "Bild", nannte Kevin Kühnert einen "kleingeistigen zickigen Putschisten". Kühnert konterte: "Aber immerhin bin ich nicht Julian Reichelt" und erntete mehr als 55.000 Likes. Das kann man wohl mit Fug und Recht als Mic Drop der Woche bezeichnen. Wer diese Auszeichnung kommende Woche heimholen kann, das verrate ich hier am nächsten Montag. Bis dann!

"Neue Flüchtlingsströme" nach Europa: Experte sieht Hunger als Kriegsform von Putin

Der frühere deutsche Botschafter in Moskau wirft Putin vor, die durch den Ukraine-Krieg verursachte globale Versorgungskrise und die dadurch drohenden Fluchtbewegungen als Mittel der Kriegsführung zu nutzen. (Fotocredit: imago/ZUMA Wire/Mikhail Klimentyev/Kremlin Pool)
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