Steht Deutschland vor dem Burnout in Sachen Flüchtlinge? So sehen es zumindest einige Politiker, darunter Bundespräsident Joachim Gauck. "Wo liegen unsere Grenzen?", fragt deswegen Günther Jauch am Sonntagabend seine Gäste. Ein zorniger Herbert Grönemeyer und ein enthusiastischer Ranga Yogeshwar stellen klar: Die Gesellschaft ist jetzt gefragt.

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Die Flüchtlingsdiskussion scheint derzeit Deutschland zu spalten. In die "Gutmenschen" auf der einen, die "Ewig Gestrigen" auf der anderen Seite, überspitzt es Günther Jauch zu Beginn seiner Sendung. "Zu welcher Gruppe gehören Sie?"

Jauchs Talkshow ist Auftakt zur ARD-Themenwoche "Heimat", deren Pate Musiker Herbert Grönemeyer ist. Wie viele andere Künstler engagierte er sich zuletzt für Solidarität mit Flüchtlingen und gegen Fremdenfeindlichkeit.

Grönemeyer wirft Seehofer "verbale Brandstiftung" vor

In der Sendung zeigt sich Grönemeyer von seiner zornigen Seite. Gereizt reagiert er auf die Äußerungen von Horst Seehofer in der Flüchtlingsdebatte. Der CSU-Chef hatte den Asyl-Kurs von Angela Merkel zuletzt scharf kritisiert und vor einem "Kollaps mit Ansage" gewarnt.


"Das ist verbale Brandstiftung, um im rechten Lager zu fischen", schimpft Grönemeyer bei Jauch. Als Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) ihm widerspricht, poltert er weiter: "Der Herr sollte sich mal überlegen, was er sagt."

Auch Grönemeyers Zweitheimat England bekommt seine Wut zu spüren. Es sei "zynisch", dass der Inselstaat so wenige Flüchtlinge aufnehme. Schließlich hätten Amerikaner und Briten eine Mitschuld an der Krise. "Bush und Blair gehören vor das Den-Haag-Kriegsgericht", findet der Musiker.

Dauernotstand in den Gemeinden

Was die große Zahl der Flüchtlinge bedeutet, spürt Michaela Vogelreuther jeden Tag. Die Leiterin des Sozialamts Fürth muss sich um deren Unterbringung kümmern. "Wir stoßen auf unsere Kapazitätsgrenzen", stellt sie klar.

Ein Satz, den sie schon bei einer Sendung von Günther Jauch vor einem Jahr geäußert hat. Nur kommen jetzt doppelt so viele Asylsuchende bei ihr an. Es fehlen Unterkünfte, Betten, Duschcontainer. Manche Flüchtlinge müssen in Zelten leben – sogar eine frisch entbundene Frau mit ihrem Säugling, erzählt Vogelreuther.

"Ich muss nehmen, was ich kriegen kann", seufzt die Sozialamtsleiterin bezüglich der Unterkünfte. So gebe es oft nur noch Notlösungen. Es ist ihr anzumerken, dass die ständige Alarmbereitschaft an den Kräften zerrt.

Vielleicht ist der größte Unterschied zwischen den beide Seiten in der Flüchtlingsdiskussion, ob sie deren Bewältigung als Aufgabe des Staates oder der Gesellschaft begreifen.


Die Gesellschaft habe sich mit dem Willkommen an die Flüchtlinge erwachsen verhalten, meint Herbert Grönemeyer. "Sie hat 25 Jahre nach der Wende der Politik endlich wieder ihren Willen aufgedrückt." Als eine Lösung des Problems schlägt er Patenschaften vor, die nicht nur die Behörden entlasten, sondern den Bürgern auch einen anderen Blick auf die Flüchtlinge bieten würden: "Dann steht man Menschen gegenüber, nicht Zahlen."

"Wir müssen neu denken"

Den Vorwurf, er predige als Prominenter aus einer privilegierten Position heraus, lässt der Sänger an sich abprallen: "Die unterstellen, wir wissen nicht, was ein normales Leben ist." Mit seiner Idee für eine Steuer für Wohlhabende, die die finanziellen Belastungen auffängt, erntet er bei Jauchs Publikum natürlich Beifall.

"Die Aufnahmefähigkeit in der Zivilgesellschaft wird völlig unterschätzt", findet Ranga Yogeshwar. Der Moderator von Wissenssendungen sieht die Krise als Chance und fordert das Aufbrechen von überholten Strukturen: "Wir müssen neu denken."

Yogeshwar zeigt sich als Visionär, der von mehr Miteinander in der Gesellschaft träumt. So erlebe er es gerade in seinem Wohnort Hennef. Helfer aus allen Gesellschaftsteilen packten mit an.

Das Internet könne viele Probleme lösen, wie die Vermittlung zwischen Arbeitgebern und Flüchtlingen. In Hennef werde gerade ein solches Programm getestet. "Eine Art Facebook für Helfer und Flüchtlinge", erklärt Yogeshwar.

Enthusiasmus bei den Einen – Skepsis bei den Anderen

Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, lobt die Herzlichkeit, die in der "Ellenbogengesellschaft" schlummere. Doch er bezweifelt, dass sie anhält, wenn im nächsten Jahr noch einmal so viele Asylsuchende kommen. Und er sieht Konflikte voraus, wenn die Bedingungen in den Unterkünften schlecht bleiben.

Kanzleramtschef Peter Altmaier wünscht sich eine "positive Grundhaltung" für die Bewältigung des Problems, zeigt jedoch auch Verständnis, "wenn sich Menschen Sorgen machen". Nach seiner Erfahrung aus vielen Gesprächen hätten aber gerade die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten "die Schnauze voll von Islamismus, Terrorismus und Krieg". Ansonsten bemüht er sich zu versichern, dass die Bundesregierung sich um das Problem kümmere und stellt klar: "Das Asylrecht steht nicht zur Disposition."

Für die Sendung und das Thema ist es ein Glück, dass mit Altmaier nur ein Politiker zu Gast ist. So kommt mehr eine gesellschaftliche als eine politische Debatte zustande. Am Ende entdeckt Moderator Jauch sogar eine Gemeinsamkeit zwischen Altmaier und Grönemeyer: Sie haben die "schärfsten Sockenpaare": Der CDU-Politiker in lila, der Musiker in orange.


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