Im Interview mit unserer Redaktion spricht der ehemalige Bundesliga-Star Andrij Woronin über die vermeintlich beste Taktik gegen das DFB-Team, die Stärken der Ukraine und erklärt, warum die Aufgabe gegen Nordirland seiner Meinung nach viel schwieriger wird.

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Der Zopf war einst sein Markenzeichen, seine Tore ein Qualitätsmerkmal. Andrij Woronin stürmte in der Bundesliga für fünf verschiedene Klubs und insgesamt 76 Mal für sein Heimatland. Vor dem Auftakt der Ukraine gegen Deutschland bei der EM 2016 in Frankreich spricht der einstige Top-Stürmer über Hoffnungsträger Andrij Jarmolenko, die vermeintlich beste Taktik gegen das DFB-Team und eine besondere Eigenschaft der Deutschen.

Herr Woronin, wo schauen Sie das Spiel gegen das DFB-Team?
Andrij Woronin: Im Stadion in Lille.

Als Fan oder als Experte?
Nein, nein als Fan. Ich fahre mit meinem älteren Sohn hin. Es ist der Auftakt und gerade gegen Deutschland möchte ich dieses Spiel sehen. Ich habe Karten für alle drei Vorrundenspiele der Ukraine und habe vor, während der gesamten EM dabei zu sein.

Nationalcoach Michail Fomenko nannte den Auftakt gegen Deutschland eine "sehr wichtige Veranstaltung für unser Land und unsere Fans".
Jedes Spiel ist wichtig, gerade bei großen Turnieren. Es ist das erste Spiel, wir spielen gegen Deutschland, den klaren Favoriten in unserer Gruppe. Sollte die Ukraine verlieren, heißt das noch gar nichts.

Herr Fomenko dürfte auch auf die bewaffneten Konflikte im Osten der Ukraine mit russischen Separatisten und das Leid durch diese Auseinandersetzungen anspielen. Hilft der Fußball über die Sorgen hinweg?
Fußball ist Fußball. Politik ist Politik. Ich sehe keine Verbindung, keine Parallelen. Ein großes Turnier steht an. Da konzentriert man sich auf Fußball. Und nicht auf Politik. Die Spieler müssen das ausblenden und sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Ich bin mir sicher, dass sie das auch tun werden.

Emotionalität hat also keinen Platz?
Auf keinen Fall.

In diesem Sinne: Wie kann die Ukraine Deutschland am Sonntag Probleme bereiten?
Mit unserem Umschaltspiel von der Abwehr in den Angriff. Wir haben auf den Außen mit Andrij Jarmolenko und Jewhen Konopljanka zwei sehr schnelle und technisch versierte Spieler, die gegen eine Abwehr arbeiten können. Gerade gegen die Deutschen ist das wichtig, weil sie mehr Ballkontakte haben werden. Deswegen kommt es auf das Umschaltspiel an. Wir müssen den Ball nach vorne bringen.

In Deutschland wurde fast nur über Jarmolenko gesprochen. Das greift zu kurz, oder?
Wir haben viele gute Spieler dabei, nicht nur offensiv, sondern auch in der Abwehr. Einige sind international erfahren. Für uns wird entscheidend sein, ob das Zusammenspiel zwischen den Jungs passt. Aber: Deutschland ist der Favorit, nicht nur in diesem Spiel, sondern auch auf den Europameistertitel. Unsere Jungs werden sich das Spiel der Deutschen anschauen und überlegen, was sie selbst zu bieten haben.

Was denn?
Wenn wir gegen große Mannschaften spielen, lassen wir uns oft in die Defensive drängen. Das ist ein Fehler. Sie müssen mehr angreifen, nicht nur verteidigen. Dann wird es ein ganz anderes Spiel werden und selbst die Deutschen werden Probleme bekommen. Solange die Deutschen am Ball sind, wird es schwer für uns.

Herr Fomenko erklärte, dass sich das Weiterkommen aber wohl erst im dritten Gruppenspiel gegen Polen entscheiden werde.
Ich sehe das anders. Jedes Spiel ist entscheidend. Du kannst gegen Deutschland einen Punkt holen, gegen Nordirland gewinnen und du bist fast durch. Oder du gewinnst sogar die ersten beiden Spiele. Ich denke zum Beispiel, dass es gegen Nordirland schwerer wird als gegen Deutschland.

Warum?
Weil wir bei den Deutschen wissen, was wir zu erwarten haben, welchen Fußball sie spielen. Nordirland wird dagegen sicher über den Zweikampf kommen. Sie werden robust in diesen Zweikämpfen sein und damit gefährlich bei Standardsituationen. Und sie werden sehr viel laufen. Da musst du auch mit dem Kopf da sein. Bei Nordirland denkt ja jeder, das wird eine lockere Nummer. Aber so ist es nicht.

Abschließend: Wen haben Sie bei Deutschland besonders auf der Rechnung?
Keinen einzelnen Spieler. Fällt jemand aus, haben sie viele Möglichkeiten, diesen Spieler zu ersetzen. Das können nicht viele Mannschaften. Die Deutschen sind immer da, wenn es gilt, können sich fokussieren. Ich habe jahrelang selber in Deutschland gespielt, kenne diese Eigenschaft. Bei Deutschland gilt es, auf jeden aufzupassen.

Andrij Woronin spielte zwischen 2002 und 2012 insgesamt 76 Mal für die Ukraine und erzielte dabei acht Länderspiel-Tore. In der Bundesliga lief der heute 36-Jährige bis 2013 für Borussia Mönchengladbach, den 1. FC Köln, Bayer 04 Leverkusen, Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf auf. In insgesamt 155 Bundesligaspielen schoss der Stürmer 48 Tore. Zudem wurde er in der Saison 2002/03, damals beim 1. FSV Mainz 05 unter Vertrag, mit 20 Treffern Torschützenkönig der 2. Liga.
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