• Es sollte alles besser werden beim Deutschen Fußball-Bund - aber es wurde alles noch viel schlimmer.
  • Die Bilanz eines völlig verkorksten Jahres.
Eine Analyse

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Was sollte das für ein Jahr werden für den Deutschen Fußball-Bund: Das Ziel war, eine fulminante Aufbruchstimmung im Verband und in der Nationalmannschaft zu erzeugen, ein neues Wir-Gefühl zwischen dem Team und seinen Fans, einen ebenso erfrischenden wie erfolgreichen Fußball zu zeigen, eine bessere Außendarstellung in einem von Krisen und Zerwürfnissen durchgeschüttelten Betrieb auszustrahlen und die größte Reform der letzten 20 Jahre auf den Weg zu bringen. Das war der Plan.

In den letzten zwölf Monaten ging an der Otto-Fleck-Schneise aber so ziemlich alles schief, weshalb der DFB nun noch schlechter da steht als zum Beginn dieses Jahres. Eine Bestandsaufnahme.

Das Chaos im Verband

Im Herbst des letzten Jahres trat Fritz Keller das gewiss nicht leichte Amt des DFB-Präsidenten an. Keller veranlasste sofort eine externe Generalinventur aller Bereiche des Verbandes, nur so "können wir Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen" nach bleiernen Monaten des Stillstands an allen Fronten, sagte Keller damals. "Ich glaube, Fritz Keller steht schon seit vielen Jahren für Bodenständigkeit, Professionalität und eine tolle Führungskultur", urteilte Joachim Löw.

Es schien wie die perfekte Besetzung des Amtes durch einen Fachfremden wie Keller, der sich als langjähriger Präsident des SC Freiburg in der Deutschen Fußball-Liga einen hervorragenden Ruf erarbeitet hatte und herausstach aus dem Gros der klassischen Verbandstiere - und dem im Gegensatz zu seinen Vorgängern weder ein Sommermärchen-Verdacht anhaftete noch der Verstoß gegen bestehende Compliance-Regeln.

Aber gleich sein erster großer Auftritt im "Aktuellen Sportstudio" ging gehörig daneben. Es war die Zeit unmittelbar vor dem ersten Corona-Lockdown, aber nach der Causa "Hopp gegen die Fans". Keller gab ein fahriges Bild ab, das im Gedächtnis hängen blieb. Und das er bis heute nicht revidieren konnte.

Und viel schlimmer: Keller hat seinen Verband offenbar nie richtig in den Griff bekommen, im Gegenteil. Seit Monaten geht es hinter den Kulissen drunter und drüber, es schwelt ein offener Machtkampf zwischen der kleineren Keller-Fraktion und jener Gruppe um Generalsekretär Friedrich Curtius, zu der unter anderem die Vizepräsidenten Rainer Koch und Peter Frymuth, sowie Schatzmeister Stephan Osnabrügge gezählt werden.

Immer wieder werden Scharmützel auch in der Öffentlichkeit ausgetragen, es kommt zu Durchstechereien interner Vorgänge. Gefühlt macht jeder was er will und wann er es will. Zuletzt preschte Peter Peters aus dem Nichts hervor und schlug im "Kicker" harte Töne an. Im DFB gäbe es ein "fehlendes Miteinander in der Spitze ohne jedes Vertrauen" und "viele Indiskretionen". Diese Einschätzung verwundert einigermaßen, ist Peters neben seiner Funktion als DFL-Aufsichtsratschef doch auch Vizepräsident beim DFB.

Peters sprach weiter von einem Misstrauen in den Gremien und rückte Curtius dafür in die Verantwortung. "Eigentlich ist es die Aufgabe und klare Zuständigkeit des Generalsekretärs als Bindeglied in der DFB-Zentrale, die gemeinsam beschlossene Präsidiumslinie reibungslos operativ umzusetzen. Das funktioniert leider nicht mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dieses Misstrauen wieder beseitigen lässt."

Der Verdacht liegt nicht nur hier nahe, dass sich derzeit jeder der Nächste ist beim DFB: Der eine will Präsident werden, der andere über den Verband in die Gremien der FIFA oder der UEFA. So ziemlich jeder verfolgt seine ganz eigene Agenda - was letztlich dazu führt, dass sich in der Führungsspitze niemand mehr über den Weg traut. Und das alles wird begleitet von einer schwachen Kommunikationsabteilung, die sich nicht an Absprachen hält oder diese erst gar nicht vereinbart.

Die Entwicklung der Mannschaft

1:1, 1:1, 3:3, 2:1, 3:3, 1:0, 3:1, 0:6. Das waren die Ergebnisse in diesem Kalenderjahr. Drei Siege, vier Remis und eine Niederlage - das ist die Bilanz eines gehobenen Mittelklasse-Teams. Und genau das ist die Nationalmannschaft derzeit. Das Team kann an einem guten Tag eine Spitzenleistung abrufen, keine Frage. Aber eine dauerhafte Rückkehr in die Weltspitze? Dafür reichen die gezeigten Leistungen nicht aus.

Joachim Löw hat nach dem Fiasko von Russland vor zweieinhalb Jahren einen neuen Stil propagiert, mit neuen Ideen und neuen Spielern. Und er hat damals um Geduld gebeten, schließlich bedeuteten die Veränderungen einen ziemlichen Paradigmenwechsel. Die schon damals kritischen Stimmen überhörte der Bundestrainer nonchalant. Deutschland müsse sich mehr zu einer Tempo-Umschaltmannschaft entwickeln, das alte Ballbesitz-Credo sei überholt. So dachte Löw.

Das mag in den Spielen gegen die besten Gegner der Welt eine zutreffende Analyse sein. Für den großen Rest der Partien gegen Mannschaften auf Augenhöhe oder darunter passt diese Formulierung aber nur teilweise. Die Transformation der Mannschaft stockt gewaltig, das hat nicht nur das Debakel gegen die Spanier gezeigt.

Und ohne dieses eine Spiel überzubewerten, steckte da doch viel Wahres drin: Nicht alle deutschen Spieler sind für das absolute Spitzenniveau auch gut genug. Akteure von Weltformat sind Manuel Neuer und mit einigen Abstrichen Toni Kroos, alle anderen sortieren sich eine oder zwei Stufen darunter ein.

Die leidigen Diskussionen um die Verbannung von Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller hielten den Konflikt das ganz Jahr über schön am Köcheln und werden Löw und seine Mannschaft auch noch bis in die Vorbereitung zur EM im kommenden Jahr begleiten. Ein halbes Jahr vor dem Turnier - das ja eigentlich schon vor einem halben Jahr hätte stattfinden sollen - erscheint die deutsche Mannschaft nur bedingt einsatzbereit.

Die Debatte um den Bundestrainer Joachim Löw

Löw selbst war nach dem Spanien-Spiel - aber streng genommen nicht erst da - schwer angeschossen. Oliver Bierhoff hatte mit einigen krummen Sätzen dazu beigetragen und versuchte nun zu retten, was nur schwer zu retten war.

Im Nachgang des 0:6 war es der DFB-Direktor, der sich in der Öffentlichkeit zeigte und sich durch den Schutt wühlte, den Löw und seine Mannschaft angerichtet hatten. Eine merkwürdige Pressemitteilung führte auch in diesem Fall zu einem kleinen Kommunikationsdesaster, aber: Löw blieb im Amt. Und er erklärte sich wenige Tage später dann tatsächlich auch selbst der Öffentlichkeit.

Die Pressekonferenz geriet zu einer monumentalen One-Man-Show: Löw nutzte die Gelegenheit, um gegen den DFB auszuteilen und seine mächtige Stellung noch einmal und klar zu unterstreichen. Er habe seinen Vorgesetzten das eine oder andere klargemacht, nicht umgekehrt.

Stattdessen habe er einen Vertrauensbeweis eingefordert und diesen auch bekommen. Von Präsident Keller, mit dem es zwischenzeitlich auch ein Zerwürfnis gab: Keller soll Löw zu einem baldigen Rücktritt gedrängt haben.

Der Bundestrainer hat diese brenzlige Situation mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit gemeistert, die wohl nur ein Weltmeistertrainer haben kann. Aber er hält damit die bösen Geister nur ein paar Monate in Schach.

Mit dem ersten Spiel des neuen Jahres werden die Debatten wieder beginnen, das Abschneiden bei der Europameisterschaft wird zum Schicksal für Löw. Dessen Vertrag ist bis ins Jahr 2022 datiert, ein vorzeitiger Rauswurf dürfte den DFB sehr teuer zu stehen kommen.

Die Probleme im Amateur- und Jugendfußball

Der DFB Campus ist ein Jahrhundertprojekt, das in Stein gemeißelte Vermächtnis von Oliver Bierhoff an den DFB. Mindestens genauso wichtig ist aber die dringend notwendige inhaltliche Reform der Kinder- und Jugendausbildung in Deutschland. Die Zahlen sind alarmierend: In den letzten zehn Jahren hat der DFB rund 18 Prozent seiner Nachwuchsmannschaften verloren, von 2018 auf 2019 haben sich 3.450 Jugendteams abgemeldet.

Zu diesen Problemen an der Basis kommen noch jene, die sich im Spitzensegment eingeschlichen haben und die der DFB nun mit seinem "Projekt Zukunft" angehen will. Darin sind eine ganze Reihe von Maßnahmen aufgeführt, von einer neuen Trainerausbildung bis hin zu neuen Spiel- und Wettbewerbsformen und Inhalten für die hochgelobten Nachwuchsleistungszentren.

Das Problem: Selbst wenn die Reform im kommenden Frühjahr auf dem Parteitag verabschiedet wird, dürften erste positive Effekte in frühestens sieben, acht oder vielleicht erst in zehn Jahren zu erkennen sein.

Der DFB hat in der Ausbildung seiner Talente längst den Anschluss an die Konkurrenz verloren und rennt der Musik nun hinterher. Der dauerhafte Zwist zwischen den Profiklubs auf der einen und der breiten Basis im Amateurfußball auf der anderen Seite erschwert die Ausgangslage enorm und es ist keine Lösung in Sicht.

Einer wie Präsident Fritz Keller sei "wichtig für die Einigkeit der Amateure und Profis. Ich verspreche mir von ihm für die nächsten Jahre sehr viel", sagte Bundestrainer Löw. Passiert ist bisher aber fast gar nichts, wieder wurde ein Jahr verloren.

Verwendete Quellen:

  • Kicker.de: Peters: "Fehlendes Miteinander an der Spitze ohne jedes Vertrauen"
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