• Das Chaos auf dem Flughafen in Kabul hat sich etwas gelichtet - die Bundeswehr versucht nun, bei ihrer Evakuierungsoperation einen Zahn zuzulegen.
  • Bald soll sie dafür auch eine solide rechtliche Grundlage haben.
  • Erstmals befasst sich der Bundestag mit den Geschehnissen.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Nach einem chaotischen Start nimmt der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan Fahrt auf. Militärmaschinen vom Typ A400M pendeln nun zwischen Kabul und der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Sie flogen bis Mittwochabend nach Angaben aus Militärkreisen 673 Menschen aus. Die Bundesregierung brachte zugleich die rechtliche Grundlage für den Einsatz auf den Weg. Nach dem vom Kabinett beschlossenen Mandatsentwurf sollen bis zu 600 Soldaten bis spätestens Ende September im Einsatz sein. Für die Operation werden etwa 40 Millionen Euro veranschlagt.

Im Bundestag beschäftigten sich die Ausschüsse für Verteidigung und Außenpolitik mit der überraschend schnellen Machtübernahme der Taliban. Die Opposition warf der Bundesregierung Schönfärberei und Versagen bei der Lageeinschätzung in den letzten Wochen vor.

Heiko Maas, Bundesaußenminister, SPD, Pressekonferenz

Heiko Maas im Kreuzfeuer der Kritik - Grüne sprechen von einer "Schande"

Bundesaußenminister Heiko Maas musste zugeben, die Entwicklung in Afghanistan falsch eingeschätzt zu haben. Während aus den Reihen der FDP bereits sein Rücktritt gefordert wurde, greifen den SPD-Politiker nun auch die Grünen scharf an. (Teaserbild: EPA-EFE/Michael Sohn)

Aber auch im Koalitionslager gibt es Unmut. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete die Situation in Afghanistan als "dramatischen Scherbenhaufen". "Es ist ein menschliches Drama und eine Katastrophe, es ist eine politische Katastrophe, es ist ein moralisches Scheitern des Westens", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses.

Bundesländer wollen tausende Flüchtlinge aufnehmen

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen viel schneller als erwartet die Macht im Land übernommen. Jetzt versuchen Deutschland und andere westliche Staaten in Hauruck-Aktionen ihre Bürger und afghanische Helfer außer Landes zu bringen. Wegen chaotischer Zustände am Flughafen Kabul hatte der Evakuierungseinsatz am Montag schleppend begonnen.

Inzwischen beruhigt sich die Lage etwas und das Rollfeld kann durchgehend für Start und Landung genutzt werden. Die Situation um den Flughafen bezeichnete Bundesaußenminister Heiko Maas allerdings trotzdem als zum Teil "außerordentlich chaotisch". "Die Anzahl der Zugangspunkte ist beschränkt. Und nach unseren Informationen scharen sich Hunderte von Menschen vor diesen Toren, teilweise werden das auch Tausende und dabei ist es immer wieder zu Gewaltausbrüchen gekommen", sagte der SPD-Politiker am Mittwochabend nach der Sitzung des Krisenstabs der Bundesregierung.

Das Verteidigungsministerium twitterte am Mittwochabend, dass eine Militärmaschine vom Typ A400M in Taschkent defekt sei. Eine Ersatzmaschine sei in Kabul gelandet und eine weitere A400M mit Ersatzteilen sei vor Ort eingetroffen. Der Defekt der Maschine beeinflusse die Evakuierung nicht.

Gespräche mit Taliban noch ohne Ergebnisse

Vor allem für die ehemaligen afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr und der Bundesministerien ist die Lage dramatisch. Die Taliban lassen sie an den Kontrollpunkten am Flughafen nicht passieren.

Außenminister Heiko Maas hat deswegen den Afghanistan-Experten des Auswärtigen Amts, Markus Potzel, nach Katar geschickt, um dort mit Unterhändlern der Taliban zu sprechen. Das erste Treffen brachte aber keine Ergebnisse. "Wir haben bisher keine belastbaren Sicherheitszusagen, dass die Taliban afghanische Staatsangehörige frei zum Flughafen passieren lassen", sagte Maas anschließend. Am Donnerstag sollen die Gespräche fortgesetzt werden.

Die Evakuierung erfolgt über ein Drehkreuz in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Von dort geht es mit der Lufthansa weiter nach Deutschland. Die ersten 130 Evakuierten kamen in der Nacht zu Mittwoch in Frankfurt am Main an.

Die Bundesländer bereiten sich darauf vor, kurzfristig mehrere Tausend ausgeflogene Afghanen aufzunehmen. Zuerst trafen 19 gerettete Afghanen im Hamburger Erstaufnahmezentrum ein. Ein Reisebus, begleitet von zwei Fahrzeugen der Feldjäger, brachte die afghanischen Ortskräfte mit ihren Familien vom Frankfurter Flughafen in die Unterkunft im Hamburger Stadtteil Rahlstedt.

Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) will Nordrhein-Westfalen 1800 Menschen aufnehmen. Baden-Württemberg stellt sich auf bis zu 1100 Ortskräfte und Verwandte ein. Niedersachsen hält zunächst mindestens 400 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes bereit.

Nachträgliche Rechtsgrundlage für die Bundeswehr

Über den vom Bundeskabinett beschlossenen Mandatstext für den Bundeswehreinsatz soll der Bundestag nächste Woche abstimmen. Die Zustimmung gilt als sicher. Das Parlament muss jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen. In Ausnahmefällen ist das auch nachträglich möglich, vor allem, wenn Gefahr in Verzug ist. Das trifft nach Ansicht der Regierung auf die Evakuierungsaktion zu.

"Die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte duldet keinen Aufschub", heißt es in einem Begleitschreiben von Außenminister Heiko Maas (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zum Mandatsentwurf, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Es handelt sich um ein so genanntes robustes Mandat, das auch den Einsatz militärischer Gewalt erlaubt, "insbesondere zum Schutz der zu evakuierenden Personen und eigener Kräfte, sowie im Rahmen der Nothilfe".

Opposition wirft Regierung Versagen vor

Bei den Sondersitzungen des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses griff die Opposition die Regierung scharf an. "Heiko Maas ist federführend. Aber wir haben hier ein Komplettversagen der Bundesregierung", sagte der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. Sein Fraktionskollege Jürgen Trittin sagte: "Frau Merkel hat das getan, was sie am besten kann: nichts." Innenminister Horst Seehofer habe die Flüchtlingsabwehr höher gewichtet als das Leben von Menschen. "Und Heiko Maas hat dafür die Berichte geliefert, schönfärberische Berichte über die Situation in Afghanistan."

Maas selbst äußerte sich vor den wartenden Journalisten nicht. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beantwortete keine Fragen, versicherte aber erneut: "Die Bundeswehr wird so lange wie möglich, so schnell wie möglich, so viele Menschen wie möglich dort rausholen." Man müsse nun "die Durchhaltefähigkeit unserer Truppen" über die nächsten Tage sicherstellen.

Allerdings machte der CDU-Außenpolitiker Röttgen deutlich, dass Deutschland nun voll auf das Wohlwollen der militant-islamistischen Taliban angewiesen sei. "Alles, was dort stattfindet, findet statt, weil die Taliban es noch dulden. Und nur, sofern die Taliban es dulden." Tobias Pflüger von der Linken hatte denn auch den "Eindruck, die Evakuierung wäre zu einem früheren Zeitpunkt unter deutlich einfacheren Bedingungen möglich gewesen".

Unzufriedenheit nach Ausschusssitzungen

Die Auftritte von Maas und Kramp-Karrenbauer in den jeweiligen Ausschüssen überzeugten die Opposition nicht. "Neue Erkenntnisse gab es nicht", sagte der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. So habe Maas etwa nicht erklären können, wie es zu der Fehleinschätzung gekommen sei, dass Kabul nicht in die Hand der Taliban fallen werde. "Diese Frage bleibt weiterhin im Raum."

Auch der AfD-Außenpolitiker Armin Paul Hampel zeigte sich enttäuscht: "Für mich war das eine Kakophonie der Erklärungsversuche. Zu vielen Fragen gab es ausweichende Antworten." Sein Verteidigungskollege Gerold Otten monierte: "Der Eindruck der planlosen Phrasenpolitik (....) ist heute nicht vom Tisch gewischt worden." Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger erklärte: "Auch nach dieser Sondersitzung bleiben für mich sehr, sehr viele Fragen." (dpa/fra)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.