Ein Proeuropäer ist in Frankreich als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen: Emmanuel Macron. Und er hat große Pläne - auch für die EU. Angela Merkel scheint nicht abgeneigt - und kommt ihm in mancherlei Hinsicht erstaunlich weit entgegen.

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Das Duo Angela Merkel und Emmanuel Macron - "Merkron" - hat gute Chancen, Europa zu verändern - denn der Zeitpunkt für Reformen ist günstig.

Ein Finanzminister für Europa? Gar ein eigenes Parlament für die Eurozone? Noch stemmt sich nicht nur Finanzminister Wolfgang Schäuble gegen solche weitreichenden Vorschläge Macrons, doch unverkennbar ist: Wenn Deutschland und Frankreich sich zusammentun, könnte so manches in Bewegung geraten.

Das ist auch dringend nötig, denn: In der EU herrscht Handlungsbedarf. Zahlreiche Baustellen - sowohl innerhalb als auch außerhalb - verlangen nach Veränderung in der Euro-Zone:

Der Druck von außen auf die Europäische Gemeinschaft ist zuletzt stark gewachsen. Donald Trump sei Europa "bestenfalls egal", sagt Jana Puglierin, Leiterin des Europaprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, unserer Redaktion.

Als noch bedrohlicher sieht sie die Rolle von Russlands Präsident Wladimir Putin und des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan: Beide hätten sich von Europa abgewendet, legten es darauf an, die EU zu spalten und zu destabilisieren. Ein zerstrittenes und in der Folge schwaches Europa könnten beide Staaten gut für ihre eigenen Zwecke nutzen. Doch die Wissenschaftlerin sieht darin eine Chance: Europa muss sich selbstbewusst neu definieren.

  • Der Druck von innen: Brexit, Terror, Flüchtlinge und Populismus

2016 war für Europa ein Jahr der Läuterung: Der Fehlschlag einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik, das Erstarken von Populismus, Nationalismus und europafeindlichen Bewegungen, die Terrorgefahr und schließlich der Brexit - das Zusammentreffen so vieler gravierender Probleme habe Europa "wachgerüttelt", meint Europa-Expertin Puglierin.

Die Situation sei in vielerlei Hinsicht "prekär" - aber gleichzeitig sei es ein Glück, dass in dieser Krisenlage zwei der wichtigsten Länder der EU einig seien über den Ausbau der europäischen Integration.

Europafeindliche Gruppierungen versuchten, den wachsenden inneren Druck für ihre Zwecke auszunutzen - Macrons Sieg bei den Präsidentschaftswahlen aber verschaffe dem "Projekt Europa" Luft.

  • Nur zwei bis drei Jahre Zeit für neue Lösungen

"Wäre in Frankreich Marie Le Pen gewählt worden - es hätte das Ende des Europas bedeutet, wie wir es kennen." Nun aber, so Puglierin, sei wieder alles offen: "Wir haben jetzt und nach der deutschen Bundestagswahl im September ein Zeitfenster von zwei, drei Jahren, in denen weder in Frankreich noch in Deutschland gewählt wird.

Der "deutschland- und europafreundlichste Präsident, den die Franzosen je hatten" und die ebenso proeuropäische deutsche Kanzlerin könnten sich zusammentun und "ein Tandem für weitere Integrationsschritte bilden."

Auch im Fall einer Ablösung Merkels durch Martin Schulz würde sich die Situation nicht ändern - auch der Kanzlerkandidat der SPD ist überzeugter Europäer.

Puglierin lässt allerdings keinen Zweifel, dass es sich um die letzte Chance handeln könnte: "Wenn Macron innenpolitisch oder europapolitisch scheitert, könnte das den Sieg des rechtsextremen Front National bei den nächsten Wahlen bedeuten.

Und möglicherweise alle zukünftigen europäischen Anstrengungen unmöglich machen."

  • Frankreich und Deutschland als Zugpferde

Dass nun nicht mehr Deutschland allein die Rolle des europäischen Motors zukommt, sieht die Expertin als großen Vorteil: "Für uns ist die Zusammenarbeit mit den Franzosen besser, weil dann das Projekt Europa nicht mehr als deutsches Diktat gesehen werden kann."

Wenn zwei vergleichsweise starke Partner sich zusammentun und Kompromisse finden, könnte das auch die kleineren EU-Partner ermutigen. Es gebe zwar eine Vielzahl von Problemen, bei deren Lösung die beiden Staaten unterschiedlicher Meinung seien.

Doch für deutsche Kompromissbereitschaft werde auch der innenpolitische Druck auf Macron sorgen: "Frau Merkel weiß, wenn Macron scheitert, scheitert auch die deutsche Europapolitik. Macron weiß umgekehrt, dass auch er scheitert, wenn die beiden keine Kompromissen finden."

  • Europa stärken und die anderen Europäer mitnehmen

Dass eine enge Verbindung Deutschland-Frankreich die EU einseitig dominieren könnte, hält Puglierin für nicht wahrscheinlich: Auch zwei mächtige Mitglieder können sich nicht gegen 25 andere durchsetzen.

Am wichtigsten sei es zunächst, andere ins Boot zu holen: "Italien zum Beispiel steht bereit." Das Ziel, die Mitglieder der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) zu tiefergehender Kooperation ermuntern, werde ebenfalls überambitioniertes Handeln der Großen in Grenzen halten: Um etwa den weiter schwelenden Konflikt um die Flüchtlingspolitik zu überwinden, werde man den kleineren Ländern Kompromissangebote machen müssen.

Frankreich und Deutschland könnten Fall die kleineren Länder nicht dominieren - schon deshalb, weil sie selbst in vielen Punkten nicht einig seien.

  • Der Schäuble-Faktor

Der deutsche Finanzminister werde, meine Jana Puglierin, zu Unrecht für einen Bremsklotz bei der vertieften europäischen Einigung gehalten: "Wolfgang Schäuble ist ein dezidierter Europäer."

Seine Einwände gegen allzu weitgehende europäische Integration seien nachvollziehbar: Er sei aber nicht "grundsätzlich gegen alles", wolle lediglich die europäischen Kontrollinstanzen stärken, wolle Haushaltsdisziplin und -kontrolle durchsetzen und nicht der Zahlmeister Europas sein. "Das wollen die anderen auch nicht, und Schäuble ist einer, der dafür Wege finden kann."

Vielleicht, sagt Puglierin, komme ihr Fazit ein wenig der "Glaskugelleserei" nahe: Sie glaube, auch Schäuble werde kompromissfähig sein, wenn es um das große Projekt Europa geht.

Auf keinen Fall aber komme man um genaues Nachjustieren herum - "Durchwursteln geht nicht ewig gut".

Und mit "Merkron", dem Tandem aus Emmanuel Marcon und Angela Merkel als Vorreiter, würden sich in den nächsten Jahren viele Differenzen zwischen den Mitgliedsländern "auspendeln" lassen. "Mit viel Geduld und Kompromissbereitschaft und ohne die Dominanz der Großen."

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