Schon die ersten Plenarsitzungen im neuen Bundestag zeigen, worauf sich Kanzlerin Angela Merkel von der CDU einstellen muss: harsche Attacken der AfD und eine mutige SPD. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt ein Politikwissenschaftler die Taktik der AfD und den neuen, rauen Ton im Parlament.

Ein Interview

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Mit der AfD ist erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag eingezogen. Für die SPD geht es in der Opposition indes darum, sich wieder zu profilieren.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird sich beiden Parteien erwehren müssen, der Ton, das zeigen schon die ersten Sitzungen, wird schärfer.

Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der AfD-Experte Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung die drastische Rhetorik der AfD, warum der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ganz entscheidend sein wird – und er schildert die neue Rolle der SPD im Parlament.

Herr Lühmann, bereits die erste Sitzung hat gezeigt, wie sich das Miteinander im Bundestag durch die neue Konstellation verschärft. Wie verändert sich der Ton durch die AfD?
Michael Lühmann: Da ist Provokation, Inszenierung als Außenseiter, das ganze Repertoire, mit dem Rechtspopulisten groß werden. Wie reagieren die AfD-Abgeordneten? Was sind die Denkwelten hinter ihren Äußerungen? Das wird man sich anschauen müssen. Wenn etwa im Duktus des Nationalsozialismus gesprochen wird, muss man das unaufgeregt und sachlich benennen. Das ist das, was Wolfgang Schäuble vorgibt.

Einen ersten Konflikt gab es, als AfD-Kandidat Albrecht Glaser in drei Anläufen zur Wahl des Bundestagsvizepräsidenten scheiterte.
Wer durch seine Äußerungen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, kann nicht Bundestagsvizepräsident werden. Dass sich die AfD indes prompt als Opfer inszeniert, ist ihr Politikstil. So funktionieren Rechtspopulisten. Spannend wird sein, wie sich die CDU verhält. Es gab Stimmen, die zu Glaser abwanderten und nicht nur aus der AfD kamen. Da muss Merkel aufpassen. Es gibt Beispiele aus dem Landtag in Sachsen-Anhalt, wo die CDU bereits für AfD-Anträge gestimmt hat.

Der parlamentarische Geschäftsführer, Bernd Baumann, hat seine AfD-Fraktion prompt mit Opfern des einstigen NS-Propagandaministers Hermann Göring verglichen. Erwartet uns eine Rhetorik auf einem neuen, drastischen Level?
Das alles ist schon in der Landespolitik zu beobachten, was ein wenig unter dem Radar der Öffentlichkeit passiert. Konflikte im Bundestag kommen dagegen in die Tagesschau, in große Tageszeitungen. Dem muss man sich inhaltlich stellen. Wenn man sich die AfD-Wählerschaft anschaut, sind viele Arbeitslose und Arbeiter darunter, also ganz klassische SPD-Wählerklientel oder Wähler der Linken. Hier können die Parlamentarier zum Beispiel zeigen, dass die AfD in punkto neoliberaler Wirtschaftspolitik sogar die FDP überholt, im Grunde nichts für diese Wählerschaft übrig hat.

Bei aller Sachlichkeit: Wird die Sprache im Bundestag verrohren?
Es ist typisch für die AfD, rhetorische Tabus zu brechen, übertriebene Vergleiche zu bemühen. Klar, geht da ein Raunen durch den Bundestag. Aber: In Mecklenburg-Vorpommern hatten wir die NPD im Landtag. Dort hat sich bewährt, wenn jemand klar und deutlich eine Gegenrede hielt, kurz und knapp. Das Spiel gegen Rechtspopulisten gewinnt man nicht, wenn man sich empört.

Schäuble erklärte, dass auch Streit zu einer Demokratie zähle. Gibt es also auch Vorteile für den politischen Diskurs im Parlament?
Hier sehen wir etwas, was den Aufstieg der AfD begünstigt hat. Etwas, was wir uns in der Bundesrepublik abgewöhnt haben: die Verteidigung der Demokratie. Das Bewusstsein, warum wir eine wehrhafte Demokratie haben, haben wir vergessen. Die Bundesrepublik ist schließlich aus dem Nationalsozialismus entstanden. Zu verdeutlichen, dass die Demokratie gefährdet ist, ist gut. Hier nimmt die AfD als Gegenspieler eine wesentliche Rolle ein.

Auch die SPD hat eine strikte Opposition angekündigt. Für Kanzlerin Angela Merkel wird es immer ungemütlicher, oder nicht?
Die SPD stellt sich personell gerade konservativer auf. Ihr parlamentarische Geschäftsführer aus Erfurt, Carsten Schneider, gehört dem konservativen Flügel der SPD-Fraktion an. Dieser sogenannte Seeheimer Kreis macht deutlich mehr Druck. Aufgabe der SPD wird sein, dass sie Sozialpolitik gegen die neue Regierung macht. Bei einem Jamaika-Bündnis wird es Lücken in der Sozialpolitik geben, weil die Positionen weit auseinanderliegen. Die Grünen sind noch der sozialste Part in dieser Regierung, aber immer noch weit davon entfernt, was soziale Gerechtigkeit für Sozialdemokraten bedeutet.

Heißt konkret?
Die SPD muss nicht mehr für eine abgeschwächte Sozialdemokratie stehen, sie ist schließlich nicht mehr in der Regierung. Für die SPD geht es künftig darum, Merkel inhaltlich zu stellen. Von rechts ruckelt die AfD, von links kommt die SPD. Merkel wird es nicht einfach haben und spätestens in zwei Jahren, da bin zumindest ich mir sicher, wird eine Halbzeitbilanz gezogen. Ich habe Zweifel, ob sie diese überstehen wird.

Inwiefern werden AfD und SPD nun die Bildung eines Jamaika-Bündnisses aus CDU/CSU, FDP und Grünen beeinflussen?
Hier ist der Einfluss begrenzt. Die Regierungsparteien haben genügend eigene Baustellen. Zwischen Horst Seehofer (Vorsitzender CSU, d. Red.) und Jürgen Trittin (Die Grünen) liegen gigantische Welten.

Der Politikwissenschaftler Michael Lühmann forscht am Göttinger Institut für Demokratieforschung unter anderem zu Rechtspopulisten in der Bundesrepublik Deutschland. Analysen zur AfD bilden aktuell einen Schwerpunkt der Arbeit des 37-Jährigen. Lühmann, der als Freier Autor für die Wochenzeitung "Die Zeit" und die Satire-Zeitschrift "Cicero" arbeitet.
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