• Annalena Baerbock, neue Außenministerin von Deutschland, hat ihren Antrittsbesuch in Polen absolviert.
  • Dabei ging es um heikle Themen wie Migration via Belarus, Reparationsforderungen, und Rechtsstaatlichkeit.
  • Ihr polnischer Amtskollege gab ihr Ratschläge mit auf den Weg - und wirkte dabei herablassend.

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Vielleicht waren die Worte von Polens Außenminister Zbigniew Rau zur Begrüßung von Annalena Baerbock väterlich gemeint. Aber was der 66-jährige Juraprofessor Deutschlands neuer Außenministerin gleich zu Beginn mit auf den Weg gab, wirkte auch streng und durchaus herablassend.

Er selbst habe dieses Amt erst vor knapp einem Jahr übernommen, sagte Rau der Grünen-Politikerin. "Und viele meiner theoretischen Vorstellungen von meiner Arbeit wurden korrigiert durch die laufende Praxis." Er wünsche ihr Glück. "Sie werden es brauchen bei der Erfüllung Ihrer Mission, aber auch in den polnisch-deutschen Beziehungen."

Rau unterstrich Forderung nach Wiedergutmachung für die Schäden des Zweiten Weltkriegs

Baerbock verfolgte Raus anschließenden, 20 Minuten dauernden Vortrag mit vielen Vorwürfen und Forderungen Polens an die neue deutsche Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP mit interessiertem Gesichtsausdruck und zugewandt: Sie sah ihren links neben ihr stehenden Amtskollegen in langen Passagen seiner Rede aufmerksam an.

Rau unterstrich Polens Forderung nach Wiedergutmachung für die Schäden des Zweiten Weltkriegs. "Wir erwarten von der neuen deutschen Regierung die Bereitschaft, sich dieser Verantwortung zu stellen, auch in der Form von Gesprächen über Rekompensationen und Wiedergutmachung."

Dies betreffe eine Entschädigung für polnische Kulturdenkmäler, Kunstwerke, Archive und Bibliotheken, die nicht durch Kriegshandlungen zerstört worden seien, "sondern als Folge das Strebens der Besatzungsmacht, sie aus dem Erbe der Menschheit zu tilgen". Für die Bundesregierung ist das Thema Entschädigungen rechtlich und politisch abgeschlossen. Sie beruft sich vor allem auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990.

Baerbock (Grüne) legte indes ein nachdrückliches Bekenntnis zur deutsch-polnischen Freundschaft ab. Diese Freundschaft sei "tief" und innerhalb der EU "unbezahlbar", sagte die neue Außenministerin am Freitag nach einem Gespräch mit ihrem polnischen Kollegen. "Angesichts der unermesslichen polnischen Opfer während des Krieges und der Besatzung" sei diese Freundschaft "alles andere als selbstverständlich".

Es gebe "vieles, wo wir uns einig sind, einiges, was uns trennt", sagte Baerbock und dankte Polen für seinen "Beitrag für Europa". Für sie sei "zuhören manchmal wichtiger als selber viel zu sagen" - und das bedeute für sie auch, "keine Politik über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg zu machen oder auf Kosten anderer".

Auch Baerbock spricht über Dinge, die keine Wohlfühlthemen sind

Doch auch Baerbock kommt auf Dinge zu sprechen, die aus polnischer Sicht keine Wohlfühlthemen sind. Polen müsse Hilfsorganisationen den Zugang zu Migranten an der Grenze zu Belarus ermöglichen, fordert sie. Deutschland stehe zwar in voller Verantwortung und Solidarität an der Seite Polens und der baltischen Staaten angesichts des Erpressungsmanövers des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko.

"Wir müssen aber auch, das möchte ich deutlich sagen, sicherstellen, dass angesichts der eisigen Temperaturen im Grenzgebiet humanitäre Hilfe zur Verfügung steht, und zwar auf beiden Seiten der Grenze." Die Menschen, die zum Opfer dieses zynischen Spiels geworden seien, trügen an der Situation keine Schuld und benötigten Hilfe - dies gelte besonders für die Kinder.

Seit Wochen versuchen Tausende Migranten und Flüchtlinge, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Die EU wirft Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Minsk einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen und so die Lage im Westen zu destabilisieren. Polen hat in einem drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze zu Belarus die Bewegungsfreiheit eingeschränkt - Hilfsorganisationen dürfen nicht hinein.

Um ihr Engagement in dieser Sache noch zu unterstreichen, wollte sich die Außenministerin nach ihrer Begegnung mit Rau noch mit Polens Beauftragtem für Menschenrechte treffen sowie mit Vertretern der Hilfsorganisationen, die unter sehr schwierigen Verhältnissen in der Grenzregion versuchen, in Not geratenen Migranten zu helfen.

Gemäßigte Töne fanden sowohl Baerbock als auch Rau beim Streitthema Rechtsstaatlichkeit. Sie setze hier auf eine gemeinschaftliche Verhandlungslösung mit Polen, sagte die Grünen-Politikerin. Wenn die Diskrepanzen wie bei diesem Thema sehr groß seien, "gilt es aber umso mehr, zu diesen Themen ganz intensiv im Gespräch zu sein". Gemeinsam und nicht nur bilateral müsse auf europäischer Ebene nach einer Lösung gesucht werden.

EU seit Jahren im Streit mit Regierungen von Ungarn und Polen

In der EU gibt es seit Jahren Streit mit den Regierungen von Ungarn und Polen, weil sie sich ausweislich etlicher Gerichtsurteile nicht an EU-Recht halten. Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizsystem seit Jahren um. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet.

"Insbesondere in der Außenpolitik und in der Diplomatie braucht man nicht nur ein bisschen diplomatisches Glück, sondern immer auch Hoffnung", sagte Baerbock auf die Frage, ob sie nach ihren Gesprächen in Warschau die Hoffnung habe, dass es im Rechtsstaatsstreit ein Einlenken Polens geben könne. Rau ergänzte, man brauche bei dem Thema Rechtsstaatlichkeit "einen strategischen, geduldigen Dialog".  © dpa

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