Nach monatelangem Ringen hat sich die Ampel geeinigt: Die Nationale Sicherheitsstrategie ist da. Im Regierungslager herrscht Zufriedenheit. Die Opposition warnt vor der "Gefahr einer globalen Eskalation". Was steht in dem Papier?

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Es war ein Auftritt, der selbst im politischen Berlin ungewöhnlich ist. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahmen am Mittwochvormittag gleich vier Minister auf dem Podium der Bundespressekonferenz Platz. Das gab es hier seit 1978 nicht.

Bundespressekonferenz
Christian Lindner, Annalena Baerbock, Olaf Scholz, Boris Pistorius und Nancy Faeser stellen die Nationalen Sicherheitsstrategie vor. © picture alliance / Geisler-Fotopress/Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Die geballte Ampel-Power also. Denn es gab etwas zu verkünden: Erstmals hat Deutschland eine Nationale Sicherheitsstrategie. Damit will das Land auf innere und äußere Bedrohungen reagieren. Und die sind vielfältig – nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Cyber-Attacken, der Klimawandel, mögliche Anschläge auf kritische Infrastruktur, die Stabilität der weltweiten Lieferketten oder die Versorgung mit Medikamenten: Die Liste der Herausforderungen ist lang.

Die Ampel präsentierte in Berlin ein mehr als 40 Seiten starkes Papier, um das in den letzten Monaten heftig gerungen worden war. Bundeskanzler Scholz sprach vor der Hauptstadt-Presse von einer wichtigen Entscheidung. "Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand", sagte der Kanzler.

Motto: "Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig"

Scholz bemühte den, zugegebenermaßen etwas sperrigen, Begriff der "integrativen Freiheit". Damit ist gemeint, dass Bedrohungen für das Land längst nicht mehr nur im militärischen Bereich zu verorten sind. Oder mit anderen Worten: Sicherheit und Wohlstand können auf nahezu allen Feldern gefährdet werden. Daher will die Bundesregierung unter anderem die Nachrichtendienste bei Erkennung, Analyse und Abwehr von Bedrohungen stärken. Mehr ins Militär investieren. Und sich von China – einem Handels-, aber nicht Wertepartner, wie es in der Koalition heißt – unabhängiger machen.

"Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig", lautet das Motto der Nationalen Sicherheitsstrategie. Als zentrale Themen benennt das Papier:

  • Landes- und Bündnisverteidigung
  • Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz
  • Internationales Krisenmanagement und Entwicklungspolitik
  • Schutz vor fremder Einflussnahme und Spionage
  • Schutz von Technologie und kritischer Infrastruktur
  • Cyber- und Weltraumsicherheit
  • Rohstoff- und Energiesicherheit
  • Umgang mit Klimawandel und Pandemien
  • Ernährungssicherheit

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "Startschuss für unsere gemeinsame Sicherheit". Schon im Koalitionsvertrag und damit vor Moskaus Aggression hatte sich die Ampel auf eine Nationale Sicherheitsstrategie festgelegt. "Mit Russlands Krieg mussten wir erfahren, dass Frieden und Freiheit nicht vom Himmel fallen", sagte die Außenministerin am Mittwoch in Berlin.

Neben ihr saß Finanzminister Christian Lindner (FDP), dessen Ressort zwar inhaltlich mit Sicherheitspolitik nichts zu tun hat, das aber die Mittel dafür aufbringen muss. Alles hängt eben mit allem zusammen, so die Botschaft der Regierung.

Als Beispiel einer "360-Grad-Perspektive" auf Sicherheit nannte der FDP-Politiker die deutsche Finanzpolitik, die dabei geholfen habe, die Energie- und Rohstoffkrise abzufedern. Oder die Finanzmarktstabilität; ein Staat, der seinen Verpflichtungen in der Daseinsfürsorge nicht nachkommen kann, löst schnell Migrationsbewegungen aus.

Bund muss nicht jedes Jahr zwei Prozent seiner Ausgaben in Verteidigung stecken

Und natürlich ist es auch der Finanzminister, der die Mittel für ein zentrales Ziel der Nationalen Sicherheitsstrategie bereitstellen muss: die zwei Prozent Verteidigungsausgaben für die NATO. Die sollen "im mehrjährigen Durchschnitt" erreicht werden.

Heißt konkret: Der Bund muss nicht jedes Jahr zwei Prozent seiner Ausgaben in Verteidigung stecken. Aber eben im Durchschnitt; eine Entscheidung, die einigen im linken Flügel bei SPD und Grünen schwergefallen sein dürfte. Doch auch hier hat die Ampel ein Ergebnis erzielt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte: "Zwei Prozent sind ehrgeizig und sind mit Aufwand verbunden, trotzdem werden wir das machen."

Die Regierungspolitiker auf dem Podium demonstrierten Gemeinsinn, Entschlussstärke und -kraft. Gewiss war es ein historischer Tag in Berlin. Und das nicht wegen des Geburtstags von Bundeskanzler Olaf Scholz. Es ist das erste Mal, dass die vom Kanzler ausgerufene "Zeitenwende" sich konkret, für alle nachlesbar, in einem Papier der Regierung wiederfindet.

Opposition sieht "Gefahr einer globalen Eskalation"

Ist Deutschland damit für alles gewappnet? Mitnichten, findet die Opposition. "Diese sogenannte Strategie führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern erhöht die Gefahr einer globalen Eskalation", sagte die Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali unserer Redaktion. Das Papier der Ampel stehe für "mehr Aufrüstung, mehr Konfrontation, noch weniger Diplomatie". Es sei schockierend, dass SPD, Grüne und FDP auch nach über 15 Monaten Krieg in der Ukraine weiter auf Waffenlieferungen setzen wollten und "zur weiteren Eskalation beitragen".

Mohamed Ali fordert eine Politik, die "Frieden und Diplomatie in den Vordergrund stellt". Und die auf Eigenständigkeit in einer "multipolaren Welt" setzt. Man dürfe sich nicht der US-Außenpolitik unterordnen, sagte die Linken-Politikerin.

Union: Nationale Sicherheitsstrategie ist "in weiten Teilen blutleer"

Auch aus der Union sind Misstöne zu vernehmen, wenngleich aus anderen Gründen. Die Nationale Sicherheitsstrategie sei "in weiten Teilen blutleer", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz unserer Redaktion. Denn: Ihr fehle das Herzstück, ein Nationaler Sicherheitsrat. Den hatte auch die FDP gefordert, ohne sich aber durchsetzen zu können.

"Jetzt muss die Bundesregierung beweisen, dass sie bei der Umsetzung der Strategie besser ist als bei der verkorksten Erarbeitung", sagte Lindholz. Eine Anspielung auf Meinungsverschiedenheiten, Kompetenzgerangel und Streit ums Geld im Vorfeld.

Derlei Kritik dürfte Kanzler Olaf Scholz weit von sich weisen. Vor den Hauptstadt-Journalisten lobte er das Papier am Mittwoch überschwänglich. Und überhaupt: Es sei Ausgangs-, nicht Endpunkt. Frei übersetzt: Jetzt kann’s endlich losgehen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräche mit der Linken-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union, Andrea Lindholz
  • Bundespressekonferenz vom 14. Juni
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