Simon Pearce, deutscher Comedian und Schauspieler, prangert alltäglichen Rassismus in Deutschland an. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über Nazi-Schläger, Spuckattacken gegen seine schwangere Frau – und er fordert von der Politik Unterstützung für Kulturschaffende in der Coronakrise.
Herr Pearce, wie lebt es sich beruflich als Comedian in der Coronakrise?
Simon Pearce: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Es war schön, dass ich für meine Familie mehr Zeit hatte, für meinen Kleinen. Der Shutdown war kurz vor seinem zweiten Geburtstag.
Was den Job angeht, habe ich mir finanziell in den letzten ein, zwei Jahren ein Puffer angelegt. Ansonsten ist es natürlich bescheiden.
Künstler fühlen sich in Coronakrise im Stich gelassen
Heißt?
Ein paar Künstler können es sich noch leisten, in diesem Notstand zu leben. Aber: Viele Veranstalter verrecken, muss man ganz klar so sagen. Erst kürzlich haben mir zwei kleine Theater geplante Auftritte abgesagt und mitgeteilt, dass sie den Betrieb einstellen müssen.
Uns allen geht die Bühne ab. Wir machen das primär fürs Publikum, fürs Gefühl, fürs Adrenalin. Man braucht Bestätigung und Applaus. Es fühlt sich gut an, wenn du in den Raum kommst, einen Witz machst, und alle lachen. Man fühlt sich als Künstler allein gelassen.
Von der Politik?
Ja. Anfangs wurde ganz schnell ganz viel versprochen. Bis heute passiert aber nichts. Dabei sind die Kulturschaffenden meines Wissens nach die drittstärkste Wirtschaftsbranche in Deutschland.
Es geht nicht nur um Künstler, sondern um Veranstalter, studentische Teilzeitkräfte an der Kasse, um Techniker, den Kameramann. Die meisten sind Soloselbstständige - und auf der Strecke geblieben. Soforthilfen bekommst du nur für Betriebskosten. Aber ein Mikro oder ein neues Headset brauche ich im Moment nicht.
Corona-Pandemie: "Hartz IV ist das Letzte, was ihnen bleibt"
Was fordern Sie von der Politik?
In der Automobilindustrie sind die Gelder sehr schnell geflossen. Oder, als es darum ging, die Lufthansa zu retten. Auch unsere Branche braucht bedingungslose Hilfen, zum Beispiel ein Grundeinkommen.
Dass nicht nur Opern subventioniert werden, sondern kleinere Kulturstätten, damit sie über die Runden kommen. Das Gros der Kultur-Fans geht nicht in die Staatsoper.
Wenn Sie von Notstand sprechen: Was erzählen Kollegen?
Ein Beispiel: Beim Quatsch Comedy Club in München dürfen statt 320 noch 70 Leute rein. Die zahlen drauf, sperren trotzdem auf, damit sie nicht in der Versenkung verloren gehen.
Ich habe Kollegen, die jetzt auf dem Bau arbeiten. Manche "hartzen". Hartz IV ist das Letzte, was ihnen bleibt.
Während des Corona-Lockdowns warb die Politik für digitale Kontakte, Videokonferenzen und Streams. DJs haben auf Social Media aufgelegt.
Für mich ist das gar nichts. Ich brauche Feedback, nach jedem Satz. Comedy ist Dialog. Virtuell, vor der Videokamera, ist wie mit Plastik reden. Es geht um das Gemeinschaftserlebnis.
Simon Pearce über Rassismus in Deutschland: "Viele fühlen sich peinlich ertappt"
Und Gesellschaftskritik. Wir sitzen in einem Café am Gärtnerplatz. Der Münchner Szene-Hotspot wurde in der Corona-Pandemie reihenweise von der Polizei geräumt, es kam zu einem umstrittenen Schlagstockeinsatz.
Ein Freund von mir wohnt hier. Wir haben uns auch mal ein Bier geholt, sind dann aber in eine Seitenstraße gegangen, weil es uns zu voll war.
An meinem Geburtstag sind wir mit sechs Leuten am Gärtnerplatztheater auf dem Bürgersteig gesessen, gut verteilt. Da kamen auch Polizisten. Sie haben gesagt: 'Es tut uns leid, aber das ist eben unser Job.' Die haben nicht die Polizeiausbildung gemacht, um am Münchner Gärtnerplatz trinkende junge Leute heimzuschicken.
Corona ist omnipräsent. Sie behandeln in ihrem Programm oft das Thema Rassismus. Bemühen Sie gezielt Ressentiments?
Ja, ich spiele bewusst mit Vorurteilen, um den Leuten ihren Mikro-Rassismus aufzuzeigen. Viele fühlen sich peinlich ertappt, entlarvt, gerade wenn es aus meinem Mund kommt. Wenn ich sage: 'Wir Afrikaner können eben gut laufen.'
Ertappt, weil Sie farbig sind? Schwarzer? Was ist korrekt?
Schwarzer oder PoC (Person of Color, Anm. d. Red.) ist geläufig. Ich persönlich finde Farbiger nicht schlimm. Aber: Wir sollten uns einig sein, dass wir das N-Wort nicht mehr sagen.
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Rassismus in Deutschland: "Ich wurde in München von Nazis verfolgt"
In München wurde lange ein Weißbier mit Cola mit dem N-Wort beschrieben.
Ist ja gut, wenn jemand das nicht böse meint. Aber andere Menschen fühlen sich dadurch beleidigt. Dieses Wort wegzulassen, ist echt nicht schwer. Das Weißbier mit Cola schmeckt nicht schlechter, wenn du es anders nennst.
Es gab zuletzt Bilder von afroamerikanischen NBA-Profis, muskulös gebauten Männern, die wegen Rassismus geweint haben.
Ich heule auch. Ich bin ein selbstbewusster Mensch. Aber jeden Tag meines Lebens muss ich meine Heimat, meine Identität erklären.
Mir fassen Leute in die Haare, fragen mich: 'Wo kommst du eigentlich her?' Ich werde bespuckt, bin geschlagen worden, wurde in München von Nazis verfolgt.
Meine Frau wurde bespuckt, als sie schwanger war. Ihr wurde ins Gesicht geschrien, dass das widerlich sei. In Würzburg hat ihr ein Mann vor die Füße gespuckt. Sowas passiert in Deutschland. Und wir werden öfter von der Polizei kontrolliert.
Sie selbst?
Im Zug, am Hauptbahnhof, beim Spazierengehen. In Schwabing von betrunkenen Polizisten, die privat mit zwei Frauen unterwegs waren. Das glauben einem die Leute gar nicht.
Ich habe mir meine Haut nicht angezogen, ich kann sie nicht ausziehen. Rassismus ist ein großes Problem in Deutschland. Und im Bundestag sitzt eine Partei, die von rassistischen Strukturen durchzogen ist: die AfD.
"Die AfDler sind nicht dumm"
Ich war 2016 beruflich als Journalist bei einer Wahlparty der AfD in Stuttgart. Da saß nicht der glatzköpfige Nazi mit SS-Runen …
…, sondern das Bürgertum. Als ich mich früher in Puchheim (Kleinstadt bei München, Anm. d. Red.) vor Nazis verstecken musste, hat man sie erkannt: typische Schläger.
Aber die AfDler sind nicht dumm, was viel gefährlicher ist. Ich lese gerade ein Buch: "Die rechte Mobilmachung". Sie treten als eins auf, behaupten Unwahrheiten so lange, bis diese Diskussionsgrundlage sind. Ein Beispiel: "Merkel hat die Grenzen aufgemacht". Die Grenzen waren nie zu.
Machen Sie sich Sorgen um Deutschland?
Es wird nicht den großen Umsturz geben, von dem manche Rechte träumen. Was mir Sorgen macht, ist die Rhetorik. Wir müssen diskutieren - mit AfD-Wählern und Corona-Leugnern. Bevor ich sage: 'Du bist ein Depp.'
Zu sagen, jemand ist ein Trottel, führt zu nichts. Dann igelt sich jeder in seiner Blase ein.
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